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Bundesaußenminister Heiko Maas wird mit den Taliban reden und verhandeln müssen.

© Annegret Hilse/AFP

Hilfe für leidgeprüfte Afghanen: Deutschland hat drei gute Gründe für Gespräche mit den Taliban

Deutschland soll testen, wo Kooperation den Afghanen im Alltag hilft. Und bedenken: Gehen Ärzte und Ausgebildete, wird die Lage hoffnungslos. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

So forsche Töne muss man sich erstmal trauen, wenn man dringend auf Hilfe angewiesen ist. Die Taliban sind bereit, den Deutschen zu vergeben, sofern die ihr Regime diplomatisch anerkennen und es finanziell unterstützen.

Die neuen Herrscher in Kabul haben ihr PR-Handwerk gelernt und wissen, was bei vielen Deutschen zieht: ein schlechtes Gewissen einreden und großzügig Schwamm drüber versprechen, sofern die Deutschen wieder lieb sind. Ob sie mit der Nummer wohl bei Franzosen oder Briten erfolgreich wären?

Die Bundesregierung hat aber gute Gründe für Gespräche. Die drei wichtigsten: eigene Interessen; die Verantwortung, eine fatale Situation nicht noch schlimmer werden zu lassen; humanitäre Hilfe für die leidgeprüften Afghanen.

Ob die Taliban ihre Macht ausbauen, ist offen

Das deutsche Vorgehen in Afghanistan war nicht fehlerfrei. Untaten, für die man die Taliban um Verzeihung bitten müsste, gab es eher nicht. Umgekehrt ist daran zu erinnern, dass die Taliban die Al-Qaida-Terroristen schützten, als die annähernd 3000 Menschen in den USA ermordeten, darunter Deutsche. Diese Opfer sind weder vergessen noch vergeben.

Nach den vielen – meist zu rosigen – Fehleinschätzungen der Lage in Afghanistan sollte eine nüchterne Analyse der Machtverhältnisse die Linie vorgeben. Ob die Taliban ihre Macht konsolidieren, sich gegen den Widerstand im Pandschirtal und gegen den Islamischen Staat behaupten oder ein Bürgerkrieg folgt, ist offen. Auch deshalb ist eine rasche diplomatische Anerkennung nicht geraten.

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Zudem gibt es reichlich Grund, den Taliban zu misstrauen. Sie müssen über längere Zeit beweisen, dass auf ihre Zusagen Verlass ist. Diplomatische Vertretungen können auch ohne offizielle Anerkennungen arbeiten.

Deutschland hat Interessen, ist aber nicht erpressbar

Und miteinander reden, auch über Hilfe? Das tun Deutsche und Taliban ja längst. Nur hoffentlich im richtigen Ton. Wenn Außenminister Heiko Maas so häufig bedauert, dass man leider verhandeln müsse, klingt das, als müsse Deutschland sich Taliban-Wünschen beugen bis an den Rand der Erpressbarkeit.

Längst in Verhandlungen mit den Taliban: der deutsche Sonderbeauftragte Markus Potzel.
Längst in Verhandlungen mit den Taliban: der deutsche Sonderbeauftragte Markus Potzel.

© picture alliance/dpa

Beide Seiten haben jedoch Interessen. Deutschland möchte die Ortskräfte, die es beim überstürzten Abzug zurücklassen musste, herausholen, weitere Afghanen vor Todesgefahr retten und Entwicklungsprojekte fortführen, soweit das sinnvoll geht. Die ganze EU will vermeiden, dass allgemeine Verzweiflung eine Massenmigration auslöst.

Brain Drain: Gewissenskonflikte wie einst im Umgang mit der DDR

Vor allem beim letzten Punkt kommt es in der Praxis zu Ziel- und Gewissenskonflikten. Wie einst im Umgang mit der DDR. Denn die Taliban brauchen neben Geld auch Ärzte, Krankenschwestern, Dolmetscher, Ingenieure, Fachkräfte – genau die Leute also, die oben auf der Liste derer stehen, die der Westen aufnehmen möchte.

Die humanitäre Lage der Zurückbleibenden wird allerdings schlimmer, wenn das medizinische Personal geht. Generell macht ein „Brain Drain“ der Ausgebildeten den Alltag noch hoffnungsloser. Erst recht, wenn der Westen den noch antreibt.

Wie ein verantwortbarer Kompromiss gelingen könnte, müssen Deutschland, die EU und die USA nun ausgerechnet mit Fundamentalisten verhandeln. Die diplomatische Anerkennung kann da getrost warten, bis klarer wird, was mit den Taliban möglich ist.

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