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„Hör auf mit dem Bullshit!“: Der Juso-Bundeskongress gerät für Bärbel Bas zur emotionalen Achterbahnfahrt
Auf dem Juso-Bundeskongress muss sich die Arbeitsministerin deutliche Kritik anhören. Besonders die Bürgergeld-Reform sorgt für hitzige Debatten. Wie Bas sich und am Ende auch Lars Klingbeil verteidigt.
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Vieles kann man Bärbel Bas vorwerfen. Dass sie nicht dahin gehen würde, wo es wehtut, nicht. Zog sie mit ihrem Auftritt bei den Arbeitgebern am Dienstag Hohn und Spott auf sich, stellte sie sich am Samstag dem Parteinachwuchs der Sozialdemokraten.
Was der SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas von den Jusos alles vorgeworfen wurde – und wie sie darauf reagierte.
Der Ort: Ein über 100 Jahre alter, prachtvoller Jugendstilbau mit roter Sandsteinfassade in der Mannheimer Innenstadt, der heute als Kongresszentrum genutzt wird. Während hier Politik gemacht wird, tummelt sich gegenüber um den für die Stadt charakteristischen Wasserturm die Bevölkerung über einen Weihnachtsmarkt.
Der Anlass: Der Bundeskongress der Jungsozialisten. Über drei Tage werden hier ein neuer Bundesvorstand gewählt, Anträge beraten, ein Arbeitsprogramm verabschiedet und vor allem: der Parteispitze die Leviten gelesen. Dafür strömt der SPD-Nachwuchs aus dem ganzen Land nach Baden-Württemberg. Der letzte Jusos-Parteitag im Ländle liegt über drei Jahrzehnte zurück. 1988 fand er in Karlsruhe statt. Stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos damals: ein gewisser Olaf Scholz.
Der Rückblick: Scholz hat man im vergangenen Jahr gleich zweimal zum damaligen Juso-Bundeskongress in Halle eingeladen. Gekommen ist er trotzdem nicht. Den Frust bekamen vorwiegend die damalige SPD-Vorsitzende Saskia Esken sowie Matthias Miersch ab, der damals noch Generalsekretär war und heute Fraktionschef ist. Statt Scholz warf man ihnen Versäumnisse der Ampel-Regierung sowie im Management der Kanzlerdebatte vor.

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Die Erwartungen: Heute stellt die SPD zwar nicht mehr den Kanzler, dafür sieben Bundesminister. Darunter Arbeitsministerin Bärbel Bas. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihr zeichnete sich schon vor ihrem Auftritt ab, obwohl sie aus dem linken Lager der Partei kommt. Schließlich hat sie die Abschaffung des Bürgergelds selbst vorangetrieben und andere aus Sicht der Jusos kritische Entscheidungen (Migration, Wehrpflicht, Familiennachzug) mitzuverantworten.
Der Ablauf: Am Samstagmittag tritt die SPD-Vorsitzende in hellrotem Blazer zunächst für 20 Minuten ans Redepult. Sie spricht über Ungleichheit, Faschismus und den Sozialstaat. Danach arbeiten sich die Jusos in kurzen Wortbeiträgen für eine Stunde an ihr ab, bevor Bas wieder darauf reagieren darf.
Die Unerwähnte: Ihren ersten größeren Applaus erhält Bas recht früh in ihrer Rede. „Wir kämpfen gegen Faschisten in diesem Land.“ Sie spricht viel über die wachsende Bedrohung durch den Faschismus. „Wir sind bereit dazu, gegen jede Form des Faschismus anzutreten.“ Der Sozialstaat sei ein Schutzschild dagegen. Die AfD erwähnt sie an diesem Tag mit keinem Wort.

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Die Arbeitgeber I: Dafür spricht sie über ihren Auftritt auf dem Arbeitgebertag am Dienstag in Berlin. „Da saßen sie, die Herren, meistens waren es Männer, in bequemen Sesseln, der ein oder andere im Maßanzug“, leitet Bas ein. Auf ihre dortige Aussage, dass die Haltelinie aus Steuermitteln finanziert würde und Beitragszahler nicht belaste, lachten mehrere Arbeitgebervertreter laut auf. „Die Ablehnung war deutlich zu spüren“, berichtet Bas vor den Jusos. Der Moment habe ihr noch einmal gezeigt: „Die Linien im Land verlaufen nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich.“
Totenstille: Die von ihr eingeleitete Abschaffung des Bürgergelds verteidigt Bas damit, dass die Union noch deutlich weiter gehen wollte. „Die wollten die Geldleistungen runterkürzen, Leute sofort in die Arbeit zwingen.“ Es sei ein harter Kampf gewesen und die SPD habe gut verhandelt. Keine Reaktion im Plenum. Auch nach ihrer Rede erhält Bas nur spärlich Applaus.
Erste Gegenreaktion: Die dann folgende Aussprache eröffnet der am Freitag erneut gewählte Juso-Chef Philipp Türmer. Vor allem kritisiert er die Verschärfungen bei der Grundsicherung. „Wir müssen endlich mal mit dem Gespenst der Totalverweigerer aufräumen“, sagt der 29-Jährige und wagt dafür folgenden Vergleich. „Es ist wahrscheinlicher, in vielen Gegenden beim Spazieren einen Wolf zu treffen, als beim Einkaufen einen Totalverweigerer.“ Die gebe es nicht.

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Die Kanzler-Kritik: Friedrich Merz geht Türmer dann direkt an. „Liebe Bärbel, unser Bundeskanzler ist doch das beste Beispiel, dass man vielleicht nicht bis 70 arbeiten sollte.“ Gelächter, Gejohle und Applaus aus dem Plenum. Mit Bezug auf den Rentenstreit wirft er Merz vor, er habe die Kontrolle über seine Partei verloren und „lieber auf internationaler Ebene rumgegurkt“. Auch die Junge Gruppe kritisiert er. „Das sind keine Reformvorschläge, das ist Enkeltrickbetrug.“
Lob für Bas: Die Rente ist eines der wenigen Themen, mit dem Bas bei den Jusos punkten kann. Ein Delegierter aus Mecklenburg-Vorpommern lobt ihre Standhaftigkeit, während „irgendwelche Schnösel“ Armen die Renten wegkürzen wollten. „Da gegenzuhalten ist richtig.“ Doch diesen Ansatz müsse sie auch beim Bürgergeld oder der Besteuerung von reichen Erben an den Tag legen.
Kritik für Klingbeil: Wer bei den Jusos noch schlechter wegkommt, ist ihr Co-Parteivorsitzender Lars Klingbeil. „Die Parteivorsitzende ist hier, Lars nicht. Täglich grüßt das Murmeltier“, sagt eine Delegierte. Der Landesvorsitzende aus Baden-Württemberg, Daniel Krusic, kritisiert Klingbeil fehle der Mut dafür. „Nur ein Wort dazu, lieber Lars: Schwach.“
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Mehr Mamdani wagen: Viele fordern von ihren Parteivorsitzenden an diesem Tag, die Partei aus der Mitte nach links zu führen. „Der Mittekurs der SPD ist gescheitert“, sagt ein Delegierter aus Hannover. „Die Mitte ist überbucht“, sagt die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Mareike Engel. Wiederum ein anderer stellt klar: „Wir sind keine der Partei der Mitte.“ Stattdessen müsse man wieder eine linke Volkspartei sein. Dass man damit erfolgreich sein könne, zeige ein Blick in die USA. „Wir müssen mehr Mamdani wagen“, fordert ein Delegierter. Zohran Mamdani hat vor Wochen mit einem sehr linken Programm die Bürgermeisterwahl in der Turbo-Kapitalismusstadt New York gewonnen.
Das Extra-Geschenk: Hinter das von der Parteibasis eingeleitete Mitgliederbegehren gegen die Bürgergeld-Reform stellen sich auch die Jusos. Eine Delegierte kritisiert, dass sich von der Parteispitze bis heute niemand bei den Initiatoren gemeldet habe und überreicht Bas dafür einen Zettel mit drei Telefonnummern derselben. „Vielleicht findet sich auf dem Heimweg die Zeit, tatsächlich in den Dialog zu treten“, sagt die Delegierte.
Der eine Satz: „Wer mitmacht, hat nichts zu befürchten.“ Immer wieder kritisieren die Jusos Bas für diesen Satz, den sie nach dem Koalitionsausschuss über die härteren Sanktionen in der Grundsicherung gesagt hat. „Dieser Satz macht Angst“, sagt ein Delegierter aus NRW. Er berichtet von einer Freundin, die offen queer sei, einen Master habe, aber keinen Job finde und chronisch krank sei. Die Bürgergeld-Debatte löse bei ihr „existenzielle Ängste“ aus.
Wir erwarten, dass du deinen Job als Ministerin machst.
Ein Bremer Delegierter über Bärbel Bas
Die Jobbeschreibung: Ein Bremer Delegierter wirft Bas vor, mit der Bürgergeld-Reform nach unten zu treten und zu wenig Arbeitspolitik zu machen. „Du bist Arbeitsministerin, dann rede auch über Arbeit.“ Selbst die Christlich Demokratische Arbeitnehmerschaft würde das mehr tun. Bas müsse stärker über den Mindestlohn und Lohndumping sprechen. „Wir erwarten, dass du deinen Job als Ministerin machst.“
Bullshit-Bingo: Immer wieder fällt das Wort „Bullshit“. Der Kanzler hatte vor Wochen mehrfach erklärt, der Sozialstaat in jetziger Form sei nicht mehr finanzierbar. Bas sagte darauf, das sei „Bullshit“. Die Jusos bezeichnen so heute mal die Rentenpläne der Regierung, die Stadtbild-Aussagen des Bundeskanzlers oder die Verschärfungen beim Bürgergeld. Am deutlichsten wird die Vorsitzende des NRW-Landesverbands. „Dieser Entwurf aus deinem Haus ist Bullshit“, sagt Nina Gaedike. Vielmehr sei es ein „Drecksentwurf“. Als letzte Rednerin vor Bas‘ Erwiderung sagt sie den Blick auf Bas gerichtet: „Hör auf mit dem Bullshit!“
Die Erwiderung: Anders als die ehemalige SPD-Vorsitzende Saskia Esken im vergangenen Jahr, nutzt Bas nach der Aussprache für 15 Minuten die Möglichkeit, auf die Kritik einzugehen. Viele Beiträge seien richtig gewesen. „Ich stehe hier und will kein Mitleid.“ Doch die SPD stecke nun einmal in einer Koalition. „Ich weiß, dass ihr die nicht wolltet“, sagt Bas, worauf die Delegierten laut applaudieren. Doch 84 Prozent der Mitglieder hätten sich dafür ausgesprochen. Außerdem sei es die einzige demokratische Regierungsoption gewesen.

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Die Verteidigung: Auf die Forderung, sie solle ihren Job als Arbeitsministerin machen, sagt Bas: „Da habt ihr Recht, das mache ich auch.“ Für einen kurzen Moment bringt sie die Delegierten zum Lachen. Dann verweist sie auf das Tariftreuegesetz oder die baldige Umsetzung der Plattformrichtlinie, mit der die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte der Lieferbranche besser werden sollen. „Da werde ich den Finger in die Wunde legen.“
Die Arbeitgeber II: Erneut kommt sie auf den Arbeitgebertag zu sprechen. Für sie sei das ein Schlüsselereignis gewesen. „Ich stehe nicht nur im Wind, das ist ein Orkan, den ich gerade erlebe“, sagt Bas. Doch sie sei es, die den Sozialstaat überhaupt noch hochhalte.
Die Entschuldigung: An einer Stelle übt Bas auch Selbstkritik. Ihre Aussage zur Mitwirkung bei der neuen Grundsicherung („Wer mitmacht, hat nichts zu befürchten“) nimmt sie zurück. „Dieser Satz war nicht gut“, sagt Bas: „Er hat Leuten Angst gemacht, das nehme ich voll auf meine Kappe.“
Rückendeckung für Klingbeil: Ganz am Ende nimmt sie dann auch noch ihren SPD-Co-Vorsitzenden in Schutz und lobt zumindest seine Arbeit als Finanzminister. Der sei gerade dabei, Steuerschlupflöcher zu schließen und Schwarzarbeit zu bekämpfen. „Da sind wir beide auf dem Platz“, sagt Bas. Im Saal reagiert darauf niemand. Nach einer Umarmung mit Jusos-Chef Türmer tritt sie von der Bühne. Und die Jungsozialisten applaudieren versöhnlich.
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