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Intensivfachpflegerinnen betreuen einen Patienten.

© picture alliance/dpa

Impfpflicht im Bundestag durchgefallen: Deutschland steht im Herbst wieder blank da

Die Ampel hat sich massiv verkalkuliert. Die politische Niederlage wiegt schwer. Es fehlt ein Plan, wie die Impflücke geschlossen werden kann. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Maria Fiedler

Die Idee, bei schwierigen ethischen Fragen im Bundestag den Fraktionszwang aufzuheben und verschiedene Lösungen in den Wettstreit treten zu lassen – sie ist eigentlich gut.

Im Falle der Impfpflicht war die offene Abstimmung zusätzlich mit Erwartungen aufgeladen: Sie sollte die erhitzte Debatte im Land befrieden und eine breite Akzeptanz für die Entscheidung schaffen. Ein hehres Ziel. Doch diesem Anspruch ist der Bundestag nicht gerecht geworden. Von der herbeigesehnten „Sternstunde“ war das Parlament weit entfernt.

Da warfen sich Union und Teile der Ampel unter der Reichstagskuppel gegenseitig „schäbiges“ Verhalten und „billiges machtpolitisches Kalkül“ vor. Es wurde gestritten um die Abstimmungsreihenfolge der Anträge – Verfahrensfragen sind schließlich Machtfragen. Am Ende ist die Impfpflicht auch deshalb gescheitert, weil parteipolitischer Streit die Auseinandersetzung in der Sache überlagerte.

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Verantwortlich fühlen dürfen sich sowohl die Ampel als auch die Union. Ein Momentum für die Impfpflicht hätte es im vergangenen Herbst gegeben. Damals war während der Delta-Welle die Lage so düster, dass die Luftwaffe Corona-Patienten innerhalb Deutschlands verlegen musste. Reihenweise Politiker, die zuvor die Impfpflicht ausgeschlossen hatten, machten eine Kehrtwende. Auch in der Bevölkerung gab es eine deutliche Mehrheit.

Kanzler Scholz auf dem Weg in den Bundestag.
Kanzler Scholz auf dem Weg in den Bundestag.

© Kay Nietfeld/dpa

Gesundheitsminister Karl Lauterbach und Kanzler Olaf Scholz hätten nach dem Amtsantritt im Dezember sofort versuchen können, eine Mehrheit für eine Impfpflicht zu finden. Doch weil es in der FDP von Anfang an vehemente Gegner gab, versuchte die Ampel gar nicht erst, einen gemeinsamen Entwurf vorzulegen.

Man entschied sich für das langwierige, offene Verfahren mit Gruppenanträgen und Orientierungsdebatte, das eine Impfpflicht auch ohne eigenen Ampel-Mehrheit hätte möglich machen sollen. Eine Fehlkalkulation, wie sich nun zeigt.

Während der monatelangen Debatte änderte sich die Lage, Omikron tauchte auf, die Impfpflicht erschien plötzlich weniger dringlich. In den vergangenen Wochen wurde immer deutlicher, dass es für die Impfpflicht ab 18 keine Mehrheit gibt. Es erhöhte nicht das Vertrauen in den politischen Prozess, dass nun zwei Tage vor der wichtigen Abstimmung im Schnellverfahren ein Kompromiss gestrickt wurde: die Impfpflicht ab 60.

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Die Union wiederum hat sich zwar bemüht zu begründen, warum sie sich dem nicht anschließen wollte. Vor allem ging es ihr darum, die Impfpflicht nicht sofort zu beschließen, sondern nur die Voraussetzungen zu schaffen, dass sie bei Bedarf schnell eingeführt werden kann. Aber auch das politische Kalkül war unübersehbar.

Unionspolitiker haben stets betont: Wenn die Ampel keine eigene Mehrheit hat, werden wir ihr nicht aus der Patsche helfen. Die Union verweigerte sich sogar der Aufhebung des Fraktionszwangs. Friedrich Merz als Oppositionsführer wollte offenbar Kanzler Olaf Scholz seine Grenzen aufzuzeigen. Es ging darum, die Ampel vorzuführen.

Innere Zerrissenheit war zum politischen Stillstand geworden

Tatsächlich ist das nun ein Tag der herben Niederlagen. Für Kanzler Scholz, der zwar leise, aber stetig seine Unterstützung für die Impfpflicht bekundet hatte. Für Lauterbach, der sich stets vehement für die Impfpflicht ab 18 stark gemacht hatte – nur um sie jetzt ganz scheitern zu sehen. Und für die Ampel, die vorgeführt bekommt, dass ihre innere Zerrissenheit zu politischem Stillstand führen kann.

Schwerer als die politische Niederlage wiegt aber, dass Deutschland für den Herbst wieder blank da steht. Es gibt nun keinen Plan, wie die Impflücke geschlossen werden kann – was aber dringend nötig wäre. Niemand garantiert, dass die nächste Corona-Variante nicht wieder schwerere Verläufe mit sich bringt. Sollte man nicht zumindest versuchen, über eine bloße Beratungspflicht die Impfquote noch zu erhöhen?

Die Suche nach einer Lösung darf jedenfalls hier nicht enden. Die Union hat angekündigt, weiter gesprächsbereit zu sein. Die Ampel sollte sie beim Wort nehmen.

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