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„Inhaltlich ist das eine Nullnummer“: Geben die Rentenrebellen trotzdem auf?
Der Kanzler zeigt sich zuversichtlich, dass seine Unionsfraktion nächste Woche Ja sagt zum Rentenpaket der Regierung. Dort aber heißt es: „Das ist noch nicht durch.“
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Mit kleinen Augen und versteinerten Mienen laufen die jungen Abgeordneten am Freitagmorgen hintereinander in die Fraktionssitzung. Schweigend passieren sie die aufgebauten Kameras und Mikrofone und verschwinden in den Sitzungssaal der Union. Nach ihrem Treffen mit Kanzler, Kanzleramtschef und dem Fraktionsvorsitzenden wirken die Rentenrebellen auf einmal sehr zahm.
Emotional dürfte es sich um eine Mischung aus Ehre und Enttäuschung handeln, was die 18 Jüngsten von CDU und CSU in diesem Moment erleben. Einerseits haben sie es als Frischlinge im Parlament schon so weit gebracht, dass der Regierungschef und seine zwei wichtigsten Parteifreunde nach langer Nacht zuerst sie aufsuchten und von den Ergebnissen des Koalitionsausschusses berichteten. Andererseits war die Botschaft an die Jungen klar: Jetzt ist genug.
Ein achtseitiges Papier mit Lösungsvorschlägen hatten sie allen Teilnehmern der koalitionären Spitzenrunde vorab noch einmal zukommen lassen. Es sollte neben den Versprechen bezüglich einer künftigen Rentenreform im Großformat auch schon im Hier und Jetzt Änderungen am Rentenpaket geben.
Hopp oder top – keine inhaltlichen Verhandlungen mehr
Diese Option aber ist nun endgültig vom Tisch. Nach dem gemeinsamen Kabinettsbeschluss von Anfang August hat nun auch der Koalitionsausschuss als höchstes Entscheidungsorgan des schwarz-roten Bündnisses entschieden, dass der Gesetzentwurf zur Renten-Haltelinie in seiner bestehenden Fassung zur Abstimmung gestellt wird. In der kommenden Woche, in der Fraktionssitzung am Dienstag, sollen sich alle bekennen. Von den Jungen wird verlangt, einzulenken.
Die dramatische Weltlage ist nur ein Argument, aber doch ein sehr wichtiges in der unionsinternen Debatte, warum das Bündnis mit der SPD nicht an der Frage zerschellen darf, wo das Rentenniveau in sieben Jahren liegt. CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat es in der Fraktionssitzung vom Montag so ins Verhältnis gesetzt, Merz tat es einen Tag später beim Arbeitgebertag.
„Wenn wir uns in dieser Welt behaupten wollen, dann geht es in diesen Tagen, Wochen und Monaten um mehr als nur um eine 48-Prozent-Haltelinie“, so der Kanzler mit Blick auf das von Amerika, China und Russland bedrängte Europa: „Wenn wir aus dem Blick verlieren, was jetzt auf dem Spiel steht, dann werden uns unsere Kinder und unsere Enkelkinder bitterste Vorwürfe machen – sie werden sich nicht mehr an eine 48-Prozent-Haltelinie erinnern.“
Keine 72 Stunden später sitzt er im Informationssaal des Kanzleramts mit SPD-Chef Lars Klingbeil sowie dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder und hat „die begründete Hoffnung“, dass der Rentenstreit abgeräumt ist und es nächste Woche eine Mehrheit für das Gesetzespaket geben wird.
Woher diese Hoffnung rührt, wird nicht ganz klar. Ja, man hat einen Begleittext formuliert, mit dem Prinzipien einer künftigen Großreform benannt und die Teilnehmer der Rentenkommission festgelegt werden, die sie vorbereiten soll. Die Junge Gruppe von Pascal Reddig soll einen Platz darin erhalten und so Einfluss auf das Regierungshandeln bekommen. Während aber der Kanzler vom „Vertrauen“ in die SPD spricht, dass diese wirklich eine Großreform mitträgt, hätten die Jungen dafür gern mehr als eine Absichtserklärung in der Hand.
Auch Ralph Brinkhaus unterstützt die Jungen
Und nicht nur sie. In der vorgeschalteten Fraktionssitzung ergreifen nicht nur Johannes Winkel als Chef der Jungen Union und der junge Haushälter Yannick Bury das Wort und tragen erneut ihre Sachargumente vor. Vor allem Burys Beitrag wird von Anwesenden als leidenschaftlich wahrgenommen, am Ende erhalten beide Rebellen großen Applaus aus der Fraktion. Und auch ein deutlich älterer, der frühere Fraktionschef Ralph Brinkhaus, unterstützt sie.
In diesem Moment wird deutlich, dass es dem Kanzler und seinem Fraktionschef noch nicht gelungen ist, den Widerstand zu brechen. Mehr als ein Dutzend ernsthafte Sympathisanten hätten die Rebellen weiterhin, heißt es aus der Fraktion. Einer von ihnen, der namentlich nicht genannt werden will, äußert sich extrem enttäuscht. „Inhaltlich ist das eine Nullnummer – da gibt es nichts zu deuteln“, sagt er: „Wir lassen das jetzt sacken, wie wir politisch damit umgehen.“
Ein anderer sagt, es sei für die Generationengerechtigkeit „kein Gewinn“ und „bedauerlich“, dass in der Koalition nicht mehr durchsetzbar gewesen sei. Auch er bleibt anonym, weil die Junge Gruppe erst am Wochenende über das weitere Vorgehen und letztlich auch das Abstimmungsverhalten beraten will. Frühestens am Montag will sie es öffentlich machen.
Während Merz, Söder und Klingbeil im Kanzleramt die Ergebnisse der Nacht präsentieren, läuft im Bundestag zeitgleich die Haushaltsberatung für den Arbeits- und Sozialetat. SPD-Chefin Bärbel Bas spricht als zuständige Ministerin und lobt die Rentenkompromisse. In den Unionsreihen sitzen Winkel, Reddig und Bury – alle auch fachlich für das Thema Rente zuständig – und verweigern der Ministerin demonstrativ den Applaus. Der junge Abgeordnete Johannes Wiegelmann schüttelt demonstrativ den Kopf.
Die letzte Rede in der Debatte hält ausgerechnet Winkel. Doch den Rentenstreit lässt der 34-Jährige unerwähnt. Stattdessen warnt der JU-Chef generell vor der Schuldenlast für die nächste Generation, die eine „Zeitbombe“ sei. Gebe es keine Reformen, versteinere man den Haushalt in den 30er Jahren und verliere jede politische Handlungsfähigkeit. Die Grüne Ricarda Lang wertet diese generelle Stellungnahme als Vorboten für ein Beidrehen der Jungen.
Der Begleittext, die geplante Ausrichtung der Rentenkommission und die Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge sind wichtige, aber leider nicht verbindliche Signale.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Pauls
Erst einmal aber zieht sich eine kleine Gruppe um Winkel und Reddig für längere Zeit in das Abgeordnetenrestaurant des Reichstagsgebäudes zurück. Obwohl der Ausgang der Koalitionsspitzenrunde weitgehend den Erwartungen entspricht, wirken die Jungen doch überrascht und unvorbereitet, und müssen sich erst einmal sammeln. Ein offizielles Statement gibt es vorerst nicht.
„Das ist noch nicht durch“, wird in Fraktionskreisen in Bezug auf die Junge Gruppe gesagt: „Die werden ein hartes Wochenende vor sich haben.“ Die Gespräche dürften aber eher informeller Natur sein, ein offizielles sogenanntes Beichtstuhlverfahren, bei dem sie bei Fraktionschef Jens Spahn antanzen müssten, ist nicht angesetzt. Eher liegt es schon hinter ihnen: Die politischen wie die persönlichen Folgen einer Ablehnung des Gesetzes wurden ihnen bereits nahegelegt.
Verspricht der Kanzler schon wieder zu viel?
Trost finden sie womöglich darin, dass es nicht nur ihnen so geht. Es gibt weitere Abgeordnete auf den Fluren, die erzählen, dass sie sich noch nicht sicher sind, wie sie abstimmen wollen. Einer von ihnen, der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Pauls (CDU) aus Hessen, gibt seine Bedenken auch zu Protokoll.
„Mit dem aktuellen Gesetzesentwurf geben wir erst einmal viel Geld aus und wollen hinterher Reformen anstreben“, sagt er: „Der Begleittext, die geplante Ausrichtung der Rentenkommission und die Stärkung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge sind wichtige, aber leider nicht verbindliche Signale.“ Wie die Junge Gruppe ist auch er angesichts der Erfahrungen mit den sozialdemokratischen Fachpolitikern skeptisch, ob die SPD Wort hält.
Innerhalb der Unionsfraktion gibt es freilich auch Personen, die für das Rentenpaket werben. „Ich hätte auch vorher schon zugestimmt“, sagt der Finanzpolitiker Olav Gutting: „Aber gut, dass jetzt der Auftrag für die Kommission steht und Signale aus der SPD zu Reformbereitschaft kommen.“
„Der Ertrag des Koalitionsausschusses ist positiv“, sagt Stefan Nacke, der Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe innerhalb der Union. Er setzt große Hoffnungen in die Rentenkommission: „Entscheidend ist, dass es jetzt einen umfassenden Arbeitsauftrag gibt, der keine Denkverbote hat. In der Rentenkommission haben wir jetzt die Chance, die Defizite des Koalitionsvertrags zu bereinigen“, sagt Nacke, der dadurch die Möglichkeit sieht, dass es noch in dieser Legislaturperiode eine große Rentenreform gibt.
Sein Kanzler ist da schon weiter und kündigt am Morgen an, dass ab jetzt in einem Jahr die politischen Beschlüsse für eine komplette Neuaufstellung der Altersversorgung in der Bundesrepublik gefasst würden. Verspricht Merz schon wieder zu viel, um danach die selbst hochgeschraubten Erwartungen zu enttäuschen? Manch einer jedenfalls hat es so wahrgenommen.
Georg Günther aus Mecklenburg-Vorpommern trägt den Koalitionsbeschluss zur Rente mit. Er wünscht sich aber, dass solche berechtigten inhaltlichen Debatten künftig zu früheren Zeitpunkten geführt werden: „Unsere Spitze muss das besser organisieren – sonst könnten wir beispielsweise bei der Erbschaftssteuer bald eine ähnliche Diskussion bekommen.“
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