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Der russische Präsident Wladimir Putin spricht während einer Konferenz mit dem Präsidenten von Turkmenistan.

© REUTERS/Maxim Shemetov

Ist Putin Hitler, Stalin oder Zar?: Historische Analogien sollen den Handlungsdruck erhöhen

Putin ist alles zuzutrauen: Das sagen die, die Angst vor russischem Imperialismus haben, und auch die, die einen dritten Weltkrieg befürchten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Die Auseinandersetzung darüber, wie der Westen der Ukraine helfen soll, verläuft spiegelbildlich. Zwei Ängste wetteifern um Anerkennung. Da ist zum einen die Angst vor russischem Imperialismus, der weit über die Ukraine hinausgeht und zu einer erneuten Unterwerfung vieler Staaten Osteuropas führt. Da ist zum anderen die Angst vor einem Einsatz russischer Atomwaffen, der einen dritten Weltkrieg unter Einbeziehung der Nato zur Folge hat.

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Eine zentrale Bedeutung haben in beiden Diskursen Äußerungen von Wladimir Putin. Was meint der russische Präsident ernst? Wann blufft er? Das erste Lager fühlt sich in seiner Angst bestätigt durch die Analogie, die Putin jetzt zwischen sich und Peter dem Großen zog. Der habe im Krieg gegen Schweden „nichts genommen, er hat es zurückgeholt“, sagte Putin. Es sei unmöglich, einen Zaun um ein Land wie Russland zu bauen. Die Drohung mit einem Einsatz von Atomwaffen hält das erste Lager für einen Bluff.

Genau andersherum argumentiert das zweite Lager. Ernst nehmen müsse man Putin mit dessen Warnungen vor einer nuklearen Eskalation. Die Gefahren einer erneuten Hegemonie Russlands über Osteuropa würden übertrieben. Wie verblüffend nah man sich ist, trotz entgegengesetzter Positionen, drückt sich in dem Satz aus: Putin ist alles zuzutrauen. Dem nämlich stimmen die meisten zu.

Weil Ängsten mit den Mitteln der Vernunft allein nicht beizukommen ist, werden zunehmend historische Vergleiche herangezogen. Ist Putin ein zweiter Hitler, wie Polens Präsident Andrzej Duda meint? Betreibt der Westen gegenüber Russland eine Appeasementpolitik wie 1938 in München, als Hitler, um ihn zu beschwichtigen, Land in der damaligen Tschechoslowakei zugesprochen wurde? Trägt Deutschland für die Ukraine, wie es deren Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagt, die „gleiche historische Verantwortung wie für Israel“?

Die Sorgfalt der Worte – so wichtig wie nie

Solche Vergleiche sind oft ebenso falsch wie richtig – warum wird Putin nicht eher mit Stalin assoziiert? –, aber um Erkenntnisgewinn geht es ja nicht. Stattdessen soll, ob in polemischer oder strategischer Absicht, der Handlungsdruck erhöht werden. Die rhetorische Munitionierung dient der schnelleren Lieferung realer Waffen an die Ukraine.

[Lesen Sie außerdem zum Thema Putin: Imperiale Geschichtsbilder: Putin sieht sich als Erbe des Zarentums (T+)]

Das aber kann auch schiefgehen. Als Wolodymyr Selenskyj im März vor dem israelischen Parlament, der Knesset, sprach und den Angriff Russlands auf sein Land mit dem Holocaust verglich, stieß das sofort auf Empörung. Die Worte des ukrainischen Präsidenten „grenzen an Holocaust-Leugnung“, hieß es.

Wie wichtig es ist, gerade in dieser ohnehin erheblich aufgeheizten Atmosphäre seine Worte sorgfältig zu wägen, zeigte zuletzt die Posse um die Frage, warum Olaf Scholz nicht sagt: Die Ukraine muss den Krieg gewinnen. Das freilich sagt, wohlweislich, kein einziger westlicher Staatschef, weder Joe Biden noch Boris Johnson, weder Emmanuel Macron noch Justin Trudeau. Penibel wird darauf geachtet, keine Bedingungen für einen Waffenstillstand zu präjudizieren.

Das Ziel des Westens muss es bleiben, die Ukraine nach allen Kräften zu unterstützen, Russland zu schwächen und andere Länder, wie China, von aggressiven Akten abzuschrecken. Weder darf die Angst vor einer Eskalation des Krieges ausgeblendet werden noch die Angst vor russischer Hegemonie. Wer das nicht in der Balance hält, handelt fahrlässig.

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