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Jahresbericht des Verfassungsschutzes: Das sind die drei größten Gefahren für Deutschland
Junge Rechtsextreme und „Wegwerfagenten“: Fast täglich gebe es Angriffe auf die verfassungsgemäße Ordnung, sagt Alexander Dobrindt. Drei Bereiche machen den Behörden dabei besonders große Sorgen.
Stand:
Das erste Fazit zieht Alexander Dobrindt (CSU) mit einem seiner ersten Sätze: „Die verfassungsmäßige Ordnung Deutschlands ist fast täglich Angriffen ausgesetzt“, sagt der Bundesinnenminister am Dienstagmorgen in Berlin.
Dobrindt sitzt bei der Vorstellung des neuesten Jahresberichts des Bundesamts für Verfassungsschutz neben dessen Vizepräsidenten Sinan Selen, beide zeigen ernste Mienen. Denn ob bei Sabotage und Spionage, Desinformation oder bezüglich Gewalttaten und Bedrohungen: „Wir sehen in allen Bereichen steigende Aktivitäten und Angriffe“, sagt Dobrindt. Das ist keine gute Bilanz.
Doch drei Bereiche machen dem Verfassungsschutz derzeit besonders große Sorgen:
Zunehmende Radikalisierung
Den wohl drastischsten Anstieg gab es im vergangenen Jahr im Bereich der politisch motivierten Gewalt: Fast 85.000 Fälle lassen sich laut Zahlen des Bundeskriminalamts dieser Kohorte zuordnen – ein Anstieg von fast 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dazu zählen Fälle mit rechts- wie linksextremem Hintergrund, aber auch etwa islamistische Taten. Überall gibt es Zuwachs, in allen sieht Dobrindt eine „ernste Gefahr“, wie er sagt.
Hauptsächlich für den starken Anstieg verantwortlich sind laut Dobrindt aber rechtsextremistisch motivierte Straftaten, worauf man „ein besonderes Augenmerk richten“ müsse: Die Zahl der Fälle, die sich diesem Hintergrund zuordnen lassen, sei zuletzt um 47,4 Prozent gestiegen – auf insgesamt 37.835.
„Diese Zahlen gehen stark einher mit dem eskalierenden Nahostkonflikt, der instrumentalisiert wird, um antisemitische Positionen zu verbreiten“, sagt Dobrindt. Auch die Zahl antisemitisch motivierter Gewalttaten ist 2024 gestiegen, um 25,6 Prozent auf 54 Fälle.
Doch auch generell ist die Zahl der Personen, die dem rechtsextremistischen Milieu zugeordnet werden, stark gestiegen: Sie umfasste Ende 2024 laut Verfassungsschutz rund 50.000 Menschen. Im Jahr 2023 waren es noch etwas mehr als 40.000, also gut ein Fünftel weniger. Die Zahl der Rechtsextremisten, die als gewaltorientiert eingestuft werden, ist auf 15.300 Personen angestiegen.
Interessant ist hierbei der langfristige Vergleich. Vor zehn Jahren galten noch rund 25.000 Menschen als gesichert rechtsextrem, die heutige Zahl zeigt also eine Verdopplung der Fälle.
Immer jüngere Täter
Zwar betonen sowohl Dobrindt als auch Selen, dass zum konkreten Alter der Tatverdächtigen noch keine belastbaren Zahlen vorlägen, doch beide lassen keinen Zweifel daran, dass ihnen ein Umstand besonders große Sorgen macht: Die Tendenz, dass es die Behörden mit immer jüngeren Tätern zu tun haben. „Die Taten im analogen Einsatzraum lassen darauf schließen, dass wir ein Problem in diesem Bereich haben“, sagt Sinan Selen.
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Es handele sich dabei zwar nicht um ein reines Online-Phänomen, aber seine Behörde stelle fest, dass sich immer mehr junge Menschen im Netz radikalisierten: „Diese ,Jugendlichkeit‘ bereitet uns besondere Sorgen, weil sie sich sehr schnell radikalisieren und zur Tat übergehen“, sagt Selen.
Ende Mai hatten BKA und Verfassungsschutz die mutmaßlich rechtsextremistische Terrorgruppe „Letzte Verteidigungswelle“ zerschlagen. Sie soll unter anderem für Brandanschläge verantwortlich gewesen sein. Die festgenommenen Mitglieder waren zwischen 14 und 18 Jahren alt.
„Rekrutierung und Radikalisierung findet zunehmend im digitalen Bereich statt“, sagt Selen. „Daran müssen wir unsere Bekämpfungsstrategie anpassen.“
Spionage und Sabotage
Die deutsche Spionage- und Cyberabwehr sei „ständig gefordert“, sagt Alexander Dobrindt. Dabei sei weiterhin eine steigende Tendenz bei russischen Aktivitäten zu beobachten. Aber auch von China, dem Iran, Nordkorea und der Türkei gehe Gefahr aus. Allerdings seien die Ziele der Akteure unterschiedlich.
China etwa sei vor allem im digitalen Raum aktiv und betreibe Wirtschaftsspionage, sagt Selen: „Wir dürfen uns nicht nur auf Russland konzentrieren, sondern wir haben eine vielfältige Bedrohungslage“.
Mit Blick auf Russland warnt Dobrindt hingegen vor dem zunehmenden Einsatz sogenannter Low-Level-Agenten. Das seien Menschen, die von russischen Nachrichtendiensten zur kurzfristigen Erfüllung von Aufträgen angeworben würden – meist über das Internet, wo sie dann auch angeleitet würden. Sie gehören demnach aber nicht selbst den Nachrichtendiensten an. „Die werden angeheuert, ohne genauen Umfang ihrer Taten zu kennen und sind wesentlicher Teil der Bedrohung“, so der Innenminister.
Derzeit werden mehrere Fälle untersucht, in denen diese Low-Level eine Rolle gespielt haben könnten. Ende 2024 erhob die Generalbundesanwaltschaft Anklage gegen drei Deutsch-Russen, denen unter anderem geheimdienstliche Agententätigkeit vorgeworfen wird. Und auch im Fall von im Juli 2024 am Leipziger Flughafen in Brand geratenen Paketsendungen wird wegen eines mutmaßlichen Sabotagehintergrunds ermittelt.
Low-Level-Agenten kämen vor allem bei Operationen zum Einsatz, bei denen „Personen identifiziert und festgenommen werden“ könnten, so Dobrindt. Das, so der Minister weiter, wollten ausländischen Nachrichtendienste offenbar nicht mehr „mit echten Agenten machen.“
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