zum Hauptinhalt
Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, gibt zu Beginn der Fraktionssitzung seiner Partei ein Pressestatement.

© dpa/Kay Nietfeld

Kampfpanzer für die Ukraine: SPD-Fraktionschef Mützenich wird vom Bremser zum Beschleuniger

Der SPD-Fraktionschef ist ein Parteilinker und war nie ein Freund von Aufrüstung. Doch ohne ihn könnte der Kanzler keine Kampfpanzer an die Ukraine liefern.

Von Hans Monath

| Update:

Aus jeder Zeile von Rolf Mützenichs Brief sprach die Genugtuung, die Kritiker des bei Waffenlieferungen an die Ukraine angeblich zaudernden Kanzlers widerlegt zu haben. „All die vorschnellen Urteile lösen sich in heiße Luft auf. Weder bremst Deutschland noch ist es isoliert“, schrieb der SPD-Fraktionschef seinen Abgeordneten am Mittwoch nach der gemeinsamen Entscheidung mehrerer Länder, der von Russland angegriffenen Ukraine Leopard-Kampfpanzer zur Verfügung zu stellen.

Der SPD-Politiker goss darin Häme über Vertreter von Grünen und FDP, die ein „mediales Trommelfeuer“ gegen Olaf Scholz „gefüttert“ hätten. Ausdrücklich sprach er dem Kanzler Dank für seine „Führungs- und Nervenstärke“ aus.

Doch auch Botschaften, die fehlen, sind wichtig. Der Zeit seines Lebens militärkritische Politiker vom linken Flügel der SPD, der von Kritikern als „Panzersperre“ („Bild“) verhöhnt wird, definierte mit keinem Wort Grenzen für künftige Waffenlieferungen. Nur der Kanzler selbst tat dies, als er in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Scholz?“ ausschloss, auch Kampfflugzeuge zu liefern.

Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Verteidigungspolitikerin, über Rolf Mützenich

Auf den ersten Blick erscheint es als Widerspruch. Denn der Kölner Abgeordnete gilt seinen Gegnern als Vertreter eines irregeleiteten Entspannungsdenkens im Verhältnis zu Russland. Tatsächlich beharrt Mützenich auf die grundsätzliche Möglichkeit von Verhandlungen mit Moskau, preist den Wert von Diplomatie. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann nannte ihn auf Twitter „Sinnbild aller zentralen Verfehlungen deutscher Außenpolitik“.

Mützenich, der nukleare Abschreckung seit seiner Doktorarbeit über Atomwaffenstrategie ablehnt, will in den Augen seiner Kritiker nicht anerkennen, dass nur militärische Gewalt Wladimir Putins Imperialismus stoppen kann.

Aber wie passt das zusammen mit der Tatsache, dass der Fraktionschef am Donnerstag vergangener Woche dem Kanzler einen Freibrief für weitere Waffenlieferungen ausstellte? Wörtlich sagte er da: „Es gibt keine roten Linien. Von daher soll die Ukraine das bekommen, was für das Selbstverteidigungsrecht wichtig ist.

Händedruck für einen Unterstützer: Bundeskanzler Olaf Scholz mit SPD-Chefin Saskia Esken und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Fraktionssaal im Reichstag.
Händedruck für einen Unterstützer: Bundeskanzler Olaf Scholz mit SPD-Chefin Saskia Esken und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich im Fraktionssaal im Reichstag.

© dpa/Kay Nietfeld

Dafür gibt es zwei wichtige Erklärungen. Die erste lautet: Die neue Rolle als Waffenlieferant ist für den Rüstungskritiker eine Zumutung. Aber Mützenich glaubt an die Gestaltungskraft sozialdemokratischer Politik, ist fest entschlossen, einen SPD-Kanzler im Amt zu halten, auch wenn seine Loyalität mehr der Funktion als der Person gilt.

Die zweite lautet: Noch immer sieht Mützenich Spielraum auch für eigene Initiativen seiner Fraktion, will alle Möglichkeiten nutzen, die Regierungsarbeit „stärker parlamentarisch mitzugestalten“, wie er das einmal nannte.

9
SPD-Abgeordnete von insgesamt 206 votierten gegen das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Manche unterschätzen seine Entschlossenheit dabei. Der Arbeitersohn war nach dem Scheitern an einer Lateinprüfung einst von der Universität Köln nach Bremen gewechselt, kann aber als Personifizierung des lateinischen Spruchs „Suaviter in modo, fortiter in re“ gelten: Sanft im Ton, unbeirrbar in der Sache. Seine eigene Person stellt der 63-Jährige gerne als unscheinbar dar. Dabei ist er hartnäckig wie wenig andere.

Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 bei einer Übung der Bundeswehr. Die Ukraine wird nun solche Geräte bekommen – allerdings nicht nur aus Deutschland.
Ein Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 bei einer Übung der Bundeswehr. Die Ukraine wird nun solche Geräte bekommen – allerdings nicht nur aus Deutschland.

© AFP/Ronny Hartmann

Von der Entscheidung des Kanzlers für das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr wenige Tage nach dem russischen Überfall soll Mützenich erst Stunden vorher erfahren haben. Für den Fehler von Scholz, ihn nicht früher einzubinden, habe der Fraktionschef einen Preis verlangt, sagt ein bestens vernetztes Fraktionsmitglied: Die Regierung musste entgegen ihrem Entwurf ebenso viel Geld für Diplomatie und Entwicklungsarbeit zusagen wie für die Bundeswehr.

In der scharfen Kritik an Mützenichs streitbaren Positionen geht eine Tatsache leicht verloren: Auch wegen des massiven Werbens des Fraktionschefs verweigerten nur neun von 206 SPD-Abgeordneten dem Sondervermögen ihre Zustimmung. Durch die Faktion gehe bei den Waffenlieferungen der gleiche Riss wie auch durch die Bevölkerung, sagte der SPD-Außenpolitiker Michael Roth diese Woche. Trotzdem trägt sie jede Entscheidung des Kanzlers sehr geschlossen mit.

Rolf Mützenich hat sich sehr klar und solidarisch geäußert.

Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der ZDF-Sendung „Was nun, Herr Scholz“

Auch diese verlässliche Unterstützung der größten Ampelfraktion ist Voraussetzung deutscher Handlungsfähigkeit in Zeiten des Krieges. Warum sie wichtig ist, lässt das Gedankenspiel erahnen, wie es um die Einheit der Nato aussehen würde, wenn Scholz eben keine „Carte blanche“ erhielte, sondern um jeden einzelnen Panzer wochenlang mit der Hälfte seiner Fraktion streiten müsste.

Der Kanzler weiß offenbar genau, dass ein in der Öffentlichkeit zuweilen zögernder Fraktionschef vom linken Flügel ihm mehr Unterstützung sichern kann als ein harter Realpolitiker – und seine Partei zusammenhält, weil auch die skeptischen Stimmen in der SPD einen Ort haben.

Gefragt im ZDF, wie nützlich in der Debatte Mützenichs Verteidigung seiner Politik gegen die Kritiker gewesen sei, nannte Scholz einen für Sozialdemokraten zentralen Begriff. Der Fraktionschef, so lobte er, habe „sich sehr klar und sehr solidarisch geäußert“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false