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Newsblog zum Referendum: Trump soll Erdogan zum Sieg gratuliert haben
Der türkische Präsident will nach dem Sieg beim Referendum schnell mit der Reform beginnen und treibt eine Verlängerung des Ausnahmezustands voran. Glückwünsche bekommt er offenbar aus Washington. Der Newsblog zum Nachlesen.
- Oliver Bilger
- Ingo Salmen
- Marius Mestermann
Stand:
- US-Präsident Donald Trump soll Erdogan am Montag telefonisch gratuliert haben - das berichten türkische Staatsmedien.
- Der Beglückwünschte spottet über Proteste in Istanbul und gibt sich angesichts der Kritik aus Europa gelassen.
- Bundesverteidigungsministerin von der Leyen glaubt an den Nato-Partner und hofft auf "besonnenen Dialog" in der Türkei.
- Türkische Medien berichten je nach Lagerzugehörigkeit sehr unterschiedlich über das Referendum.
- Zahlreiche Politiker zeigen sich enttäuscht vom Ausgang der Volksabstimmung.
- Die Ereignisse des gestrigen Tages finden Sie hier
(mit Agenturen)
Und das war der Newsblog...
... zum Tag nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum in der Türkei. Morgen früh finden Sie wieder alle aktuellen Informationen auf tagesspiegel.de. Wir wünschen eine gute Nacht!
Türkisches Kabinett beschließt Verlängerung des Ausnahmezustands
Unter dem Vorsitz von Recep Tayyip Erdogan habe das Kabinett am Montagabend eine Verlängerung um drei Monate beschlossen, sagte Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus in Ankara.
Zuvor hatte der Nationale Sicherheitsrat, den Erdogan ebenfalls leitet, die Maßnahme empfohlen. Vorbehaltlich der Zustimmung des Parlaments, wo Erdogans Partei AKP über eine absolute Mehrheit verfügt, gilt der Ausnahmezustand damit mindestens bis zum 19. Juli. (mm/dpa)
Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu twittert über den angeblichen Anruf Trumps:
Türkische Staatsmedien: Donald Trump gratuliert Erdogan zum Sieg
US-Präsident Donald Trump hat laut türkischen Staatsmedien seinem türkischen Kollegen Recep Tayyip Erdogan zu dessen Sieg beim Verfassungsreferendum gratuliert. Trump habe Erdogan am Montagabend angerufen, um ihm zu dessen Erfolg bei dem Referendum zu gratulieren, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Regierungskreise.
Politiker in der EU hatten sich dagegen zurückhaltend zu dem Abstimmungsergebnis geäußert, internationale Wahlbeobachter äußerten Kritik am Referendum. Mehrere Personen aus dem Präsidentenpalast in Ankara bestätigten der Nachrichtenagentur Reuters die Meldung über Trumps Anruf. (mm/AFP/Reuters)
Nationaler Sicherheitsrat empfiehlt Verlängerung des Ausnahmezustands
Der landesweite Ausnahmezustand in der Türkei soll erneut verlängert werden. Unter dem Vorsitz Recep Tayyip Erdogans habe der Nationale Sicherheitsrat am Montagabend die Verlängerung empfohlen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Als Begründung habe der Sicherheitsrat angegeben, die Maßnahme diene „dem Schutz unserer Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte und Freiheiten unserer Bürger“.
Formell muss nun noch das Kabinett ebenfalls unter dem Vorsitz Erdogans die Verlängerung beschließen. Dann muss das Parlament der Maßnahme zustimmen, das an diesem Dienstag erstmals seit dem Referendum zusammenkommt. Eine Zustimmung gilt als sicher, da Erdogans AKP über eine absolute Mehrheit verfügt.
Erdogan hatte den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres ausgerufen. Er wurde seitdem zwei Mal verlängert und wäre in der Nacht zu Mittwoch auslaufen. Der Ausnahmezustand kann theoretisch beliebig oft verlängert werden, allerdings jeweils nur für maximal vier Monate. (mm/dpa)
Von der Leyen: "Weiterhin gemeinsame Sicherheitsinteressen"
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht trotz des Ausgangs der Volksabstimmung in der Türkei die Nato-Mitgliedschaft des Landes nicht in Frage gestellt. "Die Entwicklung in der Türkei macht es uns schwer, aber keiner sollte glauben, dass eine Türkei außerhalb der Nato einfacher ist im Umgang als eine Türkei in der Nato", sagte von der Leyen der "Bild"-Zeitung (Dienstagsausgabe).
"In der Nato können wir mit der Türkei über unsere Vorstellungen einer demokratischen und offenen Gesellschaft intensiver diskutieren, gerade auch im Interesse der vielen Türken, die eine tiefergehende Spaltung ihres Landes verhindern und zum besonnenen Dialog innerhalb der Türkei wie auch zum Bündnis zurückkehren wollen", so die Ministerin.
Es sei jetzt vor allem am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu zeigen, dass er in der Allianz ein verlässlicher Partner bleiben möchte. "Uns verbinden weiterhin gemeinsame Sicherheitsinteressen", fügte die Ministerin hinzu. (mm/AFP)

Erdogan und die Todesstrafe
Karikatur von Klaus Stuttmann. Mehr gibt's hier: tagesspiegel.de/karikatur
Erdogan: EU-Beitrittsgespräche nachrangig
Präsident Recep Tayyip Erdogan will nach dem Sieg beim Referendum rasch mit dem Umbau des Staates beginnen. Zunächst werde die Justiz reformiert, kündigt Erdogan am Montag auf den Stufen des Präsidentenpalastes in Ankara vor jubelnden Anhängern an. Kritik der Beobachtergruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) am Wahlablauf wies er zurück. Die Türkei habe Berichte der OSZE weder gesehen, noch gehört oder anerkannt.
Erdogan sagte zudem, einige europäische Länder hätten sich stärker gegen Verfassungsänderungen ausgesprochen als die türkische Opposition. Es sei nicht so wichtig, sollte die Europäische Union die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei abbrechen.
Auch eine Volksabstimmung über den Beitrittsprozess brachte er ins Spiel: "Sie lassen uns seit 54 Jahren an der Tür der Europäischen Union warten." Die EU drohe, die Gespräche einzufrieren, doch das sei "nicht wichtig" für die Türken. "Wir können vor unser Volk treten und wir werden seiner Entscheidung gehorchen."
Kritik von Wahlbeobachtern und der Opposition wies er entschieden zurück: "Dieses Land hat eine demokratischere Abstimmung gehalten, als sie jemals in irgendeinem anderen Land des Westens gesehen wurde." Die internationalen Beobachter sollten sich nicht an dem Wettrennen beteiligen, "Schatten auf die Abstimmung zu werfen". (mm/Reuters/AFP)

Proteste in Istanbul
In Istanbul ist es am Tag nach dem Referendum zu Protesten gegen Staatschef Recep Tayyip Erdogan gekommen. Im Stadtteil Besiktas im Zentrum der Millionenmetropole versammelten sich am Montagabend rund 2000 Demonstranten, wie eine dpa-Reporterin berichtete. Sie skandierten unter anderem „Dieb, Mörder, Erdogan“. Anwohner lehnten sich aus dem Fenster. Sie klatschten und schlugen als Zeichen des Protestes auf Töpfe. Zunächst kam es nicht zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Die Gruppe „Hayir Besiktas“ (Nein Besiktas) hatte in dem Demonstrationsaufruf geschrieben: „Wir sind hier gegen Betrügereien, Ungerechtigkeiten und gestohlene Stimmen!“ Auch in anderen Stadtteilen Istanbuls sowie in der Hauptstadt Ankara und der westtürkischen Stadt Izmir hatten Regierungskritiker zu Protesten aufgerufen.
Erdogan verspottete die Demonstranten in seiner Ansprache vor dem Präsidentenpalast: „Während das Ergebnis vom 16. April unser Volk zufriedengestellt und glücklich gemacht hat, hat es andere ganz ohne Zweifel enttäuscht“, sagte er. „Wie ich sehe sind die mit den Kochtöpfen und Pfannen wieder aufgetaucht.“ In Anlehnung an die niedergeschlagenen Gezi-Proteste vom Sommer 2013 sagte Erdogan: „Das sind eben Gezi-Leute. Das sind die mit den Töpfen und Pfannen.“ Auch damals hatten Anwohner ihrem Protest durch das Schlagen auf Kochtöpfe Ausdruck verliehen. (dpa)
USA mahnen zur Achtung von Bürgerrechten
Die USA haben nach dem Referendum die türkische Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan aufgefordert, die grundlegenden Rechte und Freiheiten aller Bürger zu achten. Dabei dürfe es nicht darauf ankommen, wie diese abgestimmt haben, heißt es in einem Statement des Sprechers des US-Außenministeriums, Mark Toner, vom Montag: "Demokratien gewinnen ihre Stärke daraus, dass sie unterschiedliche Meinungen respektieren."
Zur "demokratischen Entwicklung" des Nato-Partners gehörten das Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit und einer "vielfältigen und freien" Medienlandschaft. Toner erinnerte Ankara auch an dessen Verpflichtungen, etwa aus der Schlussakte von Helsinki. Dennoch sagte er: „Die Vereinigten Staaten werden die demokratische Entwicklung in der Türkei weiter unterstützen“, sagte Toner. Es müsse nun der endgültige Bericht der OSZE-Kommission abgewartet werden. (mm/dpa/AFP)
Zwei sehr konträre Einschätzungen aus der Türkei
Die oppositionsnahe Tageszeitung Cumhuriyet beschäftigt sich weiter mit den Unstimmigkeiten und den kurzfristigen Änderungen während der Wahl und schreibt: "Die Wahlkommission hat sich selbst belogen." Da die Entscheidung, nicht korrekt gestempelte Stimmzettel für die Wahl zuzulassen erst 1,5 Stunden nach Beginn der Auszählungen im Osten der Türkei getroffen wurde, würden die Oppositionsparteien CHP und HDP Einspruch einlegen und die Stimmzettel aus dieser Region anfechten. "Erst Tage zuvor hat die oberste Wahlkommision (YSK) in einem Erklär-Video zur Wahl darüber informiert, dass Stimmzettel ihre Gültigkeit verlieren, sobald diese mit außer dem von der Behörde zur Verfügung gestellten Stempel mit der Aufschrift 'Tercih' (Präferenz) beschriftet werden."
Die AKP-nahe Tageszeitung Sabah schreibt "Von der PKK bis zu Gülen-Anhängern werden von Deutschland Terroristen genährt. Mit denen gemeinsam haben die Deutschen gegen das Referendum gearbeitet. Das zustimmende Ergebnis der Wahl konnte die deutsche Presse nicht verkraften, trotz ihrer andauernden türkeifeindlichen Berichterstattung. So kommentieren sie den Erfolg Erdogans weiterhin als Niederlage, obwohl 52 Prozent für das Präsidialsystem gestimmt haben, und fragen nun, war es Erdogans Sieg oder war es Wahlbetrug?"
Ankara: Einschätzung der Wahlbeobachter "inakzeptabel"
Die türkische Regierung hat die Kritik der internationalen Wahlbeobachter am Referendum in der Türkei als "inakzeptabel" zurückgewiesen. Das Außenministerium in Ankara erklärte am Montag, die Einschätzung der Beobachter spiegele eine "parteiische und befangene Herangehensweise" wider.
Der Vorwurf, das Referendum habe internationalen Standards nicht entsprochen, sei „inakzeptabel“. Die Beobachtermission hatte zuvor nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die Änderung der Abstimmungsregeln am Sonntag scharf kritisiert. (AFP, dpa)
Kreml: "Willensbekundung des türkischen Volkes"
Der Kreml hat dazu aufgerufen, die Ergebnisse des Referendums zu achten. „Das ist eine souveräne Angelegenheit der Republik Türkei“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau. „Wir denken, dass alle die Willensbekundung des türkischen Volkes achten sollten.“
Das Ergebnis sei ähnlich knapp ausgefallen wie bei der Abstimmung über den britischen EU-Austritt, schrieb der Vorsitzende des Außenausschusses im Föderationsrat, Konstantin Kossatschow, auf Facebook. Ähnlich entschieden und unumkehrbar wie die britische Premierministerin Theresa May werde nun Erdogan seine Ziele umsetzen. Er werde sich von der EU abwenden, sagte Kossatschow voraus.
In der Türkei seien viele unzufrieden mit der Machterweiterung für Erdogan, schrieb die kremltreue Zeitung „Komsomolskaja Prawda“: „Diese Leute werden die russisch-türkische Annäherung nach Kräften zu verhindern suchen.“ Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets Ende 2015 durch die türkische Luftwaffe hatte Moskau die Türkei mit Sanktionen bestraft. Im Sommer 2016 wurde der Streit aber beigelegt. (dpa)
Beobachtermission sieht kein "wahrhaft demokratisches Referendum"
Nach dem Referendum in der Türkei hat die internationale Wahlbeobachtermission scharfe Kritik an der Organisation der Abstimmung geäußert. Befürworter und Gegner des Präsidialsystems hätten im Wahlkampf nicht die "gleichen Möglichkeiten" gehabt, kritisierte Cezar Florin Preda von der Wahlbeobachtermission des Europarats und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) am Montag in Ankara.
Die späte Änderung der Abstimmungsregeln habe "gegen das Gesetz" verstoßen und wichtige "Schutzvorkehrungen" beseitigt, sagte Preda. Er bezog sich auf eine umstrittene Entscheidung der Hohen Wahlkommission am Sonntag, auch nicht offiziell zugelassene Wahlunterlagen als gültig zu werten. Preda stellte aber klar, die Experten würden nicht von Betrug sprechen und hätten keine Informationen, um die Manipulationsvorwürfe der Opposition zu bestätigen.
Preda kritisierte zwar, dass Beobachtern teils der Zugang zu Wahllokalen verweigert worden sei. Insgesamt sei die Abstimmung aber "geordnet und effizient" verlaufen. Der rechtliche Rahmen für das Referendum sei jedoch unzureichend geblieben "für die Abhaltung eines wahrhaft demokratischen Referendums".
Einschätzungen weiterer Beobachter sind hier zusammengefasst. (mm/AFP)
Gabriel will Türkei die Tür zur EU offen halten
Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) will die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara nicht abbrechen. „Die Türkei hat es in der Hand. Entscheidungen stehen doch für längere Zeit noch gar nicht an, jetzt ginge ein Beitritt ohnehin nicht“, sagte Gabriel der „Bild“-Zeitung.
„Die Türkei sollte sich nicht noch weiter von Europa entfernen, schon in ihrem eigenen Interesse.“ Er bekräftigte aber die bisherige rote Linie der Bundesregierung, nach der die Beitrittsverhandlungen bei einer Wiedereinführung der Todesstrafe abgebrochen werden müssten. Das wäre „gleichbedeutend mit dem Ende des Traums von Europa“, sagte Gabriel.
Mit deutlichen Worten lehnte der Außenminister einen Ausschluss der Türkei aus der Nato ab. „Die Türkei bleibt ein großer Nachbar, den wir selbst zur Zeit der Militärdiktatur Anfang der 80er Jahre nicht aus der Nato ausgeschlossen haben, um ihn nicht in die Hände der Sowjetunion zu treiben“, sagte er. (dpa)
Erdogan kündigt wieder Einführung der Todesstrafe an
Präsident Erdogan hat sich am Flughafen von Ankara auf einem Bus stehend an seine Anhänger gewandt und das Ergebnis des Referendums gefeiert. Wie schon am Abend zuvor war sein Versprechen, die Todesstrafe wieder einzuführen, der einzige konkrete Punkt, den Erdogan für die Zukunft vermittelt. Daneben sagte er, die Türkei werde "ab sofort jetzt noch viel stärker" werden.
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