
© dpa/Kay Nietfeld
Milliardenpaket für die Länder: Wer bekommt das viele Geld für die Infrastruktur?
Der Bund stellt 100 Milliarden Euro bereit. Die Länder entscheiden über die Verteilung. Ob damit kommunale Schulen und Kitas saniert werden können, muss landesweit ausverhandelt werden.
Stand:
Freitagmorgen im Deutschen Bundestag. Auf der Tagesordnung steht das 100-Milliarden-Paket für die Infrastruktur von Ländern und Kommunen.
Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) verlässt nach den ersten Redebeiträgen den Plenarsaal. Was ein Unding, schimpft der Linken-Abgeordnete Christian Görke vom Pult aus, angesichts der Wichtigkeit dieses Themas.
Noch während Görke spricht, kehrt Klingbeil auf seinen Platz auf der Regierungsbank zurück, den sein Staatssekretär Dennis Rohde für einen kurzen Moment hütete. Dort bleibt er bis über das Ende der Debatte hinaus sitzen. Den Blick auf Görke und die Reihen der Linksfraktion gerichtet: Kopfschütteln beim Finanzminister.
So manches wird sich Klingbeil vorwerfen lassen. Dass ihm das Thema Investitionen nicht wichtig sei, gehört nicht dazu. „Es wird so viel investiert wie selten zuvor“, sagte er. Mit dem 500-Milliarden-Sondervermögen für die Modernisierung der Infrastruktur und Klimaschutz stelle man „massive Investitionsmittel“ bereit.
Die Länder sollen daraus ein Fünftel erhalten. Das am Freitag von Klingbeil im Bundestag eingebrachte Länder-und-Kommunal-Infrastrukturfinanzierungsgesetz soll das ermöglichen.
Sein Parteifreund Thorsten Rudolph sprach von einem „Segen für dieses Land“. Unionsfraktionsvize Mattias Middelberg nannte es „den konkretesten und besten Beitrag, um die Infrastruktur vor Ort zu stärken.“
Die Macht liegt bei den Ländern
Doch die relevante Frage ist weniger, wie viel es gibt, sondern wo das Geld investiert wird. Und wer es ausgeben darf. Den entscheidenden Satz sagte Klingbeil in seiner Rede selbst. „Die Länder verteilen die Mittel.“ Genau hier liegt aus Sicht vieler Sachverständiger, der Opposition und selbst der Regierungsparteien das Problem.
So sind die Mittel nicht konsequent an einen Zweck gebunden. Sie können für alles Mögliche ausgegeben werden, auch Projekte, die schon geplant waren, bereits umgesetzt werden oder für die es schon eine öffentliche Teilfinanzierung gibt. Darauf machte unter anderem der Grünen-Haushaltspolitiker Sebastian Schäfer aufmerksam. „Das können wir uns nicht leisten“, sagte er.
Schon der Bundesrechnungshof forderte zu Wochenbeginn in einem Gutachten Nachbesserungen. Das Geld müsse wirtschaftlich, nachhaltig und zielgenau eingesetzt werden.
Kommunen fühlen sich übergangen
Dazu sind die Länder – anders als ursprünglich in Klingbeils Gesetzesentwurf vorgesehen – nicht mehr verpflichtet, den Kommunen auch nur einen Cent der hundert Milliarden zu überweisen. Kommunale Spitzenvertreter fürchten, dass sie nur einen kleinen Teil der Mittel erhalten, obwohl sie landesweit über 60 Prozent, in einzelnen Landesteilen gar 90 Prozent der öffentlichen Investitionen tätigen.
„Im Moment haben wir die Befürchtung, dass Bund und Länder mit diesen Mitteln ein Geschäft zulasten Dritter, nämlich der Kommunen, auf den Weg bringen, es gibt das erkennbare Bestreben der Länder, die Mittel für ihre Haushalte zu vereinnahmen“, sagte André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, dem Tagesspiegel: „Das ist nicht hinnehmbar.“ Er fordert eine verpflichtende Quote von 75 Prozent.
Um Schulen, Kitas, Straßen oder den örtlichen Nahverkehr zu sanieren, liegt bei den Kommunen schon heute ein Investitionsstau von 200 Milliarden Euro vor. Viele schreiben rote Zahlen. Allein letztes Jahr betrug das Haushaltsdefizit der Kommunen rund 24 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Die Erwartungen waren also groß, dass das Geld aus dem Sondervermögen vor allem bei ihnen ankommt.
Quote mancherorts über 60 Prozent
Nun sind sie voll von den Länderchefs abhängig – und die gehen unterschiedlich damit um. In Schleswig-Holstein hatte man sich schon im Juni darauf geeinigt, dass die Kommunen 62,5 Prozent der Mittel erhalten sollen. In Rheinland-Pfalz sind es 60 Prozent, wobei das Land dazu noch Haushaltsmittel von 600 Millionen beisteuert, sodass die Quote auf 72 Prozent steigt. In Magdeburg hat das Kabinett von Reiner Haseloff Anfang September beschlossen, „insgesamt zwei Drittel der auf Sachsen-Anhalt entfallenden Mittel für die kommunale Infrastruktur“ zu verwenden. In Sachsen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern sind es 60 Prozent.
In Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen hält man sich aktuell noch bedeckt. Die Begründung: Das Gesetzgebungsverfahren in Berlin läuft noch. An sie fließt rund die Hälfte der 100 Milliarden, NRW allein erhält rund 21 Milliarden.

© dpa/Fabian Strauch
Im Bundestag stand am Freitag vor allem das Bundesland von Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im Fokus. Die SPD-Haushälterin Wiebke Esdar zeigte sich besorgt, „dass NRW noch keine Festlegung gemacht hat.“ Ihre Mutmaßung: Mit viel können die Kommunen nicht rechnen, sonst hätte Wüst das noch vor den Kommunalwahlen am Sonntag verkündet. Der Linken-Politiker Sascha Wagner sagte, Gerüchten zufolge seien nur 50 Prozent der Mittel für die Kommunen vorgesehen.
Die Abhängigkeit der Kommunen von den Ländern geht zuletzt auf die Koalitionsparteien selbst zurück. Für ihre Zustimmung zum schwarz-roten Investitionsbooster haben die Ministerpräsidenten, Kanzler- und Vizekanzler unter anderem die Freiheit über die Mittelverwendung des Sondervermögens abverhandelt. Obwohl sie durch die neue Möglichkeit, sich um 0,35 Prozent zu verschulden, ohnehin über mehr finanziellen Handlungsspielraum verfügen.
Das sehen selbst die Abgeordneten aus den eigenen Reihen kritisch. „Der Bund tut schon sehr viel für die Länder“, sagte Unionsfraktionsvize Middelberg. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir uns mit den Ländern auf Mindestquote geeinigt hätten.“
Esdar äußerte sich ähnlich und nannte die ursprünglich vorgesehene Quote von 60 Prozent. Nun müsse man umso härter verhandeln. Damit meint sie offenbar die Kommunen. Denn die müssen sie schließlich führen.
- Baden-Württemberg
- Bayern
- CDU
- Deutscher Bundestag
- Hendrik Wüst
- Lars Klingbeil
- Mecklenburg-Vorpommern
- Niedersachsen
- Nordrhein-Westfalen
- Rheinland-Pfalz
- Sachsen
- Sachsen-Anhalt
- Schleswig-Holstein
- Schule
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: