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Mit 96 Prozent auf Parteitag gewählt: Habeck führt die Grünen als Kanzlerkandidat in den Wahlkampf
Die Grünen schicken den Wirtschaftsminister mit einem starken Ergebnis als Spitzenmann in die vorgezogene Bundestagswahl. Der 55-Jährige bildet ein Duo mit Baerbock. Das Ziel lautet Kanzleramt.
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Die Grünen haben Robert Habeck auf ihrem Parteitag im Wiesbaden zum Kanzlerkandidaten gewählt. Ein Antrag, der Habeck als „Kandidat für die Menschen in Deutschland“ erklärte, erhielt 96,48 Prozent Zustimmung von den Delegierten.
Zuvor hatte Außenministerin Annalena Baerbock, die 2021 für die Partei angetreten ist, Habeck die Bühne bereitet. Sie lobte seine Leistung als Wirtschaftsminister in der Energiekrise. „Wer hat uns aus der russischen Abhängigkeit befreit und ist dafür bis ans Ende der Welt gereist?“, fragte sie den Parteitag.
Habeck sei nun genau der Richtige für diesen Winterwahlkampf, sagte Baerbock. Er sei ein Draußenminister und „nordisch by nature“ – ein Zitat der Hamburger Band Fettes Brot. „Wir zwei sind durch dick und dünn gegangen“, sagte Baerbock. „Und jetzt gehen wir gemeinsam wieder auf Tour: raus in die Kälte und raus in den Wind.“
„Kandidat für die Menschen in Deutschland“
In seinem Bewerbungsvideo hatte sich der 55-jährige Habeck am Küchentisch „als Kandidat für die Menschen in Deutschland“ vorgestellt – und wenn die Bürger wollten auch als Kanzlerkandidat. „Und ja lieber Robert, ich will genau das: dich als Kanzler!“, sagte Baerbock nun. Danach überließ sie Habeck für seine Bewerbungsrede die Bühne.

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Zuvor umarmten sich die beiden lange. Mit emotionalen Worten dankte Habeck Baerbock, mit der er in hervorgehobener Position ein Spitzenkandidaten-Duo bilden soll. „Was für eine Anführerin, was für eine Staatsfrau, aber vor allem was für eine Freundin“, sagte er.
Den Delegierten stellte er sich danach zunächst als Feminist vor. Als er noch als Schriftsteller gearbeitet habe, hätten seine Frau und er die Familie gemeinsam mit Schreiben durchgebracht, sagte er. Dabei hätte er genauso viele Windeln gewechselt und Kartoffeln gekocht wie am Schreibtisch gearbeitet.
Diese faire Aufteilung der Care-Arbeit sei in Deutschland allerdings noch immer nicht selbstverständlich. „Ein Land wird stärker, wenn es gleichberechtigt ist“, sagte Habeck. Das zu erreichen, sei nicht nur die Aufgabe der Frauen.
Habeck bekannte sich auch dazu, das Abtreibungsverbot im Paragraf 218 im Strafgesetzbuch abzuschaffen. Der Umgang mit dem Schutz des ungeborenen Lebens und Abtreibung sei eine gesellschaftliche Frage, die auch Männer angeht, sagte er. Diese Frage gehöre jedoch nicht ins Strafrecht. Selbstbestimmung definierte er als eine Kernüberzeugung der Grünen. „Möglichst viele Menschen sollten ihr Leben selbstbestimmt leben können, das ist der zentrale Gedanke von Bündnis 90/Die Grünen“, sagte er.
Habeck dachte an Rückzug
Habeck versuchte, den Begriff Freiheit für die Grünen neu zu definieren. Es gehe um Freiheit im rechtsstaatlichen Sinne, nicht im vulgären Sinne, sagt er und gab der FDP einen mit. „Es ist ein Irrtum zu glauben, Liberalismus bedeute man denke nur an sich selbst.“ Freiheit bedeute auch Verantwortung zu übernehmen für jene, die weniger Chancen hätten.
In seiner Rede räumte Habeck auch Zweifel ein, ob er noch der richtige für die Grünen ist. „Ich will offen sagen, dass auch ich über Rückzug nachgedacht habe“, sagte er. „Ich weiß, dass auch ich Vertrauen verloren habe“, sagte er. Aus dieser Resignation holte ihn sein Sohn, schilderte Habeck. Mit einem Satz, mit dem Habeck ihm einst das Schwimmen beibrachte: „Du musst dich bewegen, sonst gehst du unter.“
„Damoklesschwert“ Heizungsgesetz
Habeck verteidigte seine Regierungsbilanz – auch das Heizungsgesetz, das nun „wie ein Damoklesschwert“ über seiner Kandidatur hänge. „Klimapolitisch hätte das ganze Ding besser vor 15 Jahren beschlossen werden sollen“, sagte er. Die große Koalition habe festgeschrieben, dass Deutschland 2045 klimaneutral werden solle, aber gleichzeitig Gasheizungen weiter gefördert.
Beim Schreiben des Heizungsgesetzes habe man allerdings auch Fehler gemacht. Man habe jedoch die Kraft gefunden, diese zu korrigieren. Nun arbeiteten die Kommunen mit Hochdruck an der Wärmeplanung und es gebe viel Förderung für den Heizungstausch. „Daraus ist ein gutes Gesetz geworden“, sagte Habeck.
Auch sonst betonte Habeck die Hypothek, die die Große Koalition dem Land hinterlassen habe. Zu Beginn der Legislaturperiode habe man genug damit zu tun gehabt, „dass die Gasmangellage in Deutschland nicht die Lichter ausgehen lässt und das ist keine Metapher“, sagte er.
„Danach haben wir allerhand zu tun gehabt, die Energiepreise zu reduzieren.“ Das sei gelungen mithilfe der Erneuerbaren Energien. „Die Ursache dafür war die politisch hergestellte Abhängigkeit“ von Russland, sagte Habeck. Sie habe die Wirtschaftskrise der letzten Jahre verursacht.

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Habeck sagte hingegen vergleichsweise wenig dazu, wie er das Land aus der Krise holen will. Er will die Netzentgelte reduzieren und damit Strompreise senken. Habeck sprach sich zudem für eine Reform der Schuldenbremse und eine Vermögenssteuer aus, um nötige Investitionen zu finanzieren.
In der Migrationspolitik warnte er davor, die Migranten als Problem zu begreifen. Die Ursachen der Kriege und Vertreibung seien das Problem. So würden Flüchtlinge bewusst an die Grenze von Belarus gebracht, um die polnische Regierung zu destabilisieren.
Aus dem Streit ums Heizungsgesetz habe er gelernt, mehr mit den Menschen zu sprechen, sagte Habeck in einer anschließenden Diskussionsrunde. Deshalb definiert er seine Kandidatur nun demonstrativ als Angebot.
Verantwortung bekomme man nicht durch das Rütteln an Zäunen, sagte Habeck in Anspielung auf den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er bewerbe sich darum, Verantwortung zu übernehmen, „und wenn es uns ganz weit trägt, dann auch im Kanzleramt“.
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