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Innenministerin Nancy Faeser sieht die Bundespolizei gut gerüstet angesichts möglicher weiterer hybrider Attacken.

© Foto: dpa/Wolfgang Kumm

Nach Explosionen an Nord-Stream-Leitungen: Europäer verstärken Sicherheit an ihrem Pipeline-Netz

Die Explosionen an den Nordstream-Pipelines alarmieren die Europäer. Innenministerin Faeser erklärt, man nehme die „aktuellen Bedrohungslagen“ ernst.

Nach den Explosionen an den Nordstream-Pipelines steht die Bundesregierung unter Zugzwang, die kritische Infrastruktur zur Energieversorgung in Deutschland zu sichern. Nach den Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigt die Bundespolizei angesichts der Bedrohungslage derzeit „mit allen verfügbaren Kräften“ Präsenz auf See. „Wir nehmen die aktuellen Bedrohungslagen ernst – und schützen uns“, sagte sie der „Süddeutschen Zeitung“.

Damit gehört Deutschland zu zahlreichen europäischen Ländern, die nach den Explosionen die Sicherheitsvorkehrungen zum Schutz der Energieversorgung erhöhten. In Großbritannien stehen die Öl- und Gaspipelines zur Versorgung der Insel in der Nordsee im Fokus einer zusätzlichen Sicherheitsüberprüfung. In Italien kündigte die Regierung Maßnahmen für einen verbesserten Schutz der Gaspipeline-Verbindungen nach Nordafrika an.

Nach den Worten von Faeser verfüge die Bundespolizei über „spezialisierte Fähigkeiten zur Intervention in konkreten Gefahrenlagen“. Dafür stünden moderne Polizeihubschrauber, neue Schiffe und maritime Fähigkeiten von Spezialkräften zur Verfügung. Auch im Bereich der Cybersicherheit seien in jüngster Zeit „Kräfte gebündelt und Schutzmaßnahmen hochgefahren“ worden. Faeser wies allerdings auch darauf hin, dass neben der Stärkung der Bundespolizei in den nächsten zehn Jahren auch 20 Milliarden Euro zur Bekämpfung von Cyberkriminalität nötig seien.

Deutschland muss vorangehen und die Koordination der Partner übernehmen.

Sergey Lagodinsky, Grünen-Europaabgeordneter

Der „Bild am Sonntag“ sagte Faeser, dass Deutschland, Dänemark und Schweden eine gemeinsame Untersuchung planten. „Mit meinen Amtskollegen ist vereinbart: Wir wollen jetzt ein Joint Investigation Team bilden - eine gemeinsame Ermittlungsgruppe nach EU-Recht, in die alle drei Staaten Ermittler entsenden“, sagte die Innenministerin.

Der Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky (Grüne) forderte die Bundesregierung auf, bei den Einsätzen auf hoher See eine europäische Führungsrolle zu übernehmen. „Eine koordinierte Aktivität europäischer Marinen muss her“, sagte Lagodinsky dem Tagesspiegel. „Deutschland muss hier vorangehen und die Koordination der Partner übernehmen“, sagte er weiter. Lagodinsky sprach angesichts der Pipeline-Lecks von einer „hybrid-militärischen Bedrohung“. Entsprechend müssten die Planung der Bundesregierung ausgerichtet sein.

Bei dem mutmaßlichen Sabotageakt an den Nordstream-Pipelines 1 und 2 waren vier Lecks vor der dänischen Insel Bornholm entdeckt worden. Nach einem Treffen mit ihrer britischen Amtskollegin Liz Truss stellte die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen noch einmal klar, dass die Lecks nicht durch einen Unfall entstanden seien. „Das ist Sabotage von kritischer Infrastruktur. Also ist es eine sehr ernste Situation“, sagte sie.

Gas strömt aus einem Leck an der Pipeline Nord Stream 2.
Gas strömt aus einem Leck an der Pipeline Nord Stream 2.

© Foto: AFP

Die Regierungen in Dänemark und Schweden haben eine Untersuchung zu den Explosionen an den Pipelines eingeleitet, die unter anderem auch von der Bundesregierung unterstützt wird. Am Freitag hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg und den Regierungschefs von Dänemark, Norwegen und Schweden über die Lage nach den „Vorfällen“ an den Nord-Stream-Gasleitungen in der Ostsee beraten. Norwegen hat Russland seit dem Beginn des Ukraine-Krieges als wichtigster Erdgas-Lieferant der EU abgelöst. Der norwegische Ministerpräsident Jonas Störe erklärte, dass sein Land die Unterstützung Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens angenommen habe. „Wir sind in Gesprächen mit unseren Verbündeten, um die (militärische) Präsenz im norwegischen Sektor zu erhöhen“, sagte Störe.

In einem Brief, den die Regierungen in Kopenhagen und Stockholm an den UN-Sicherheitsrat übermittelten, ist davon die Rede, dass die Lecks von Explosionen mit einer Sprengkraft wie „hunderte Kilo“ Sprengstoff verursacht worden seien. Die Zerstörungen an den Röhren seien demnach von „mindestens zwei Explosionen“ herbeigeführt worden. Der Kreml hat die Vermutung, dass Russland hinter einem Sabotageakt stecke, zurückgewiesen.

Unterdessen wurden im Nordosten der Ukraine sind nach Angaben eines Regionalgouverneurs mindestens 20 Tote in zivilen Fahrzeugen gefunden. Wie der Gouverneur der Region Charkiw, Oleg Synegubow, am Samstag im Onlinedienst Telegram mitteilte, hätten die Besatzer Zivilisten angegriffen, „die vor dem Beschuss fliehen wollten“. Derweil wurde der Chef des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, Ihor Muraschow, nach den Angaben russischer Behörden vorübergehend festgenommen, „um Fragen zu beantworten“. Russland hält das Atomkraftwerk seit Anfang März besetzt.

Angesichts der russischen Annexion von Teilen der Ukraine sagte Mychajlo Podoljak, ein Beraters des ukrainischen Präsidentenbüros, er halte es für vorstellbar, dass Russland tatsächlich taktische Atomwaffen einsetzen könnte. „Angesichts der inneren Panik in der Russischen Föderation und der zunehmenden militärischen Niederlagen steigt das Risiko dafür“, sagte Podolyak der „Bild“-Zeitung.

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warnt davor, „Putins Narrativ“ zu folgen.
Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter warnt davor, „Putins Narrativ“ zu folgen.

© Foto: Kai-Uwe Heinrich TSP

Dagegen sagte der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter dem Tagesspiegel, die Drohung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, taktische Nuklearwaffen oder andere Mittel wie etwa chemische Waffen einzusetzen, sei „keine neue Drohung“. Vielmehr sei es „ein Mittel der Abschreckung, mit dem Russland gezielt mit unseren Ängsten spielt“. Kiesewetter bezeichnete die nukleare Drohung als „ein Mittel der hybriden Kriegsführung“, das Putin einsetze, „um unsere Bevölkerung zu verunsichern und die regelbasierten Staaten zu entzweien“.

Kiesewetter warnte davor, „Putins Narrativ“ zu folgen. Vielmehr teile er die Auffassung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, sich nicht von Nuklear-Drohungen Putins beirren zu lassen. „Sicher müssen wir das ernst nehmen, und es besteht natürlich immer ein solches Risiko“, sagte der CDU-Politiker. „Verhindern können wir dies aber, indem wir unsere eigene Abschreckung erhöhen und Putin mit Stärke und Geschlossenheit begegnen.“ Ein Einsatz solcher Waffen würde Russland auf Dauer „vollständig isolieren, auch von seinen bisherigen Noch-Partnern oder zumindest neutralen Staaten wie China oder Indien. Deshalb dürfen wir uns nicht irre machen lassen.“

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