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Die ukrainischen Unterhändler Rustem Umerov and David Arakhamia (r.) bei den Gesprächen mit Russland.

© Imago/ITAR-TASS

Update

Erste konkrete Vorschläge: Neue Hoffnung in den Friedensgesprächen – das ist der Stand

Signale einer Entspannung oder nur russische Taktik? Moskau kündigt an, die Militäroperationen bei Kiew und Tschernihiw zu verringern. Die USA sind skeptisch.

Mehr als vier Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine mit inzwischen tausenden Opfern und Millionen Geflüchteten gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer. Nach einer neuen Verhandlungsrunde in Istanbul hat Russland angekündigt, als Zeichen des Entgegenkommens gegenüber der Ukraine seine militärischen Aktivitäten in der Region Kiew und bei Tschernihiw „radikal“ zu verringern.

Die strategisch wichtige Stadt Tschernihiw liegt rund 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Kiew an der Grenze zu Belarus und war ebenso wie Vororte von Kiew in den vergangenen Wochen von der russischen Armee heftig beschossen worden. Zuvor hatte der russische Unterhändler Wladimir Medinski die direkten Beratungen in Istanbul „konstruktiv“ genannt.

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Die jüngsten russisch-ukrainischen Verhandlungen am Dienstag in Istanbul seien „bedeutsam“ gewesen, gaben die Unterhändler aus Moskau bekannt. Auch die ukrainische Seite äußerte sich zuversichtlich und sprach davon, dass nach den Verhandlungen von Istanbul nun ein Treffen der Staatschefs beider Seiten möglich erscheine.

Russlands Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin sagte zum Hintergrund der Entscheidung, dass die Gespräche zur Vorbereitung eines Abkommens über einen neutralen und nicht-atomaren Status der Ukraine inzwischen bei praktischen Schritten angelangt seien.

Der russische Delegationsleiter Wladimir Medinski sagte: „Die Gespräche sind konstruktiv verlaufen.“ Weiter sagte er, die Ukraine fordere grünes Licht aus Moskau für einen Beitritt zur Europäischen Union. Die ukrainischen Vorschläge würden nun Russlands Präsident Wladimir Putin vorgelegt. Allerdings stellte Medinski auch klar: „Das ist kein Waffenstillstand, sondern unser Bemühen, schrittweise zumindest in diesen Richtungen zu einer Deeskalation des Konflikts zu kommen.“

Der ukrainische Generalstab teilte mit, im Gebiet um Kiew und Tschernihiw werde der Abzug einzelner Einheiten der russischen Streitkräfte beobachtet. Auch der US-Sender CNN berichtete, US-Offizielle sähen schon jetzt Anzeichen für einen Rückzug russischer Truppenverbände aus der Gegend um Kiew. Demnach handelt sich es sich nicht um eine Pause, um neue Truppen in die Gegend zu bringen, sondern um einen „bedeutenden Strategiewechsel“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht „positive“ Signale. Dennoch gehe der Beschuss durch die russischen Angreifer weiter, sagte er in einer am Dienstagabend veröffentlichten Videobotschaft. „Die russische Armee hat immer noch ein großes Potenzial, um die Angriffe auf unseren Staat fortzusetzen.“ Deshalb werde die Ukraine ihre Verteidigungsanstrengungen nicht verringern.

Auch sollte es keinerlei Aufhebung von Sanktionen gegen Russland geben, sagte Selenskyj weiter. Dies „kann erst in Betracht gezogen werden, wenn der Krieg vorbei ist und wir zurückbekommen, was uns gehört“.

Ein Sprecher des britischen Premierministers Boris Johnson spricht von einem Rückgang der russischen Bombardements um Kiew. Hinsichtlich des von Moskau angekündigten teilweisen Rückzugs von Truppen sagte der Sprecher, man werde den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht nach Worten, sondern nach seinen Taten bewerten.

Dem belarussischen Journalisten Tadeusz Giczan zufolge sind zahlreiche russische Truppen auf dem Weg aus der Ukraine heraus. Experten sind sich uneins darüber, wie ernst die russischen Aussagen zu nehmen sind und ob sie nicht die Vorbereitung für weitere Offensiven sind.

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Aus US-Kreisen ist nämlich auch zu hören, dass es sich nicht um eine „Umgruppierung, nicht einen Abzug“ handeln könnte. Die Welt müsse sich auf weitere russische Großoffensiven in anderen Teilen der Ukraine einstellen, sagt ein Insider. Niemand dürfe die russischen Truppenbewegungen mit einem Ende des Konflikts verwechseln.

Die russische Ankündigung würde allerdings auch zu der Ankündigung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu passen, sich nun bei der Invasion auf die östliche Region Donbass konzentrieren.

Die „Befreiung“ des Donbass sei nun die Hauptaufgabe, sagt Schoigu der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Die erste Einsatzphase sei abgeschlossen. Die Fähigkeiten des ukrainischen Militärs seien erheblich geschwächt worden. Die Ukraine verfüge über keine Luftwaffe mehr. Sollte die Nato Flugzeuge und Luftabwehr an die Ukraine liefern, werde Russland angemessen reagieren.

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Die Ukraine beharrt allerdings im Austausch für einen möglichen neutralen Status auf harten Sicherheitsgarantien. Diese sollten von den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats wie den USA, Frankreich, Großbritannien, China oder Russland kommen, sagte Delegationsmitglied David Arachamija am Dienstag vor Journalisten in Istanbul. Dazu könnten auch die Türkei, Deutschland, Kanada, Italien, Polen, Israel und andere Länder gehören.

Die Garantien sollten ähnlich wie der Artikel fünf des Nato-Vertrages formuliert sein. Demnach sind die Mitglieder des Militärbündnis zum sofortigen militärischen Beistand im Falle eines Angriffs auf einen Partner verpflichtet.

Gebietsabtretungen seien für Kiew weiter indiskutabel. „Wir erkennen nur die Grenzen der Ukraine an, die von der Welt mit Stand 1991 anerkannt sind“, betonte der Fraktionsvorsitzende der Partei von Präsident Wolodymyr Selenskyj. Dabei könne es keine Kompromisse geben.

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Entgegen der Verhandlungsteilnehmer sieht US-Außenminister Antony Blinken bei den Friedensgesprächen bislang keine wirklichen Fortschritte. Er habe nichts gesehen, was darauf hindeute, dass es auf effektive Weise vorangehe, sagte Blinken am Dienstag. Die USA hätten bei Russland zumindest keine wirkliche Ernsthaftigkeit ausgemacht.

Blinken erklärte: „Es gibt das, was Russland sagt. Und es gibt das, was Russland tut. Wir konzentrieren uns auf das Letztere.“ Was Russland tue, sei die „andauernde Brutalisierung der Ukraine und ihrer Bevölkerung“. Sollte Moskau glauben, mit dem Versuch einer Unterwerfung des östlichen oder südlichen Teils der Ukraine Erfolg zu haben, „dann machen sie sich selbst etwas vor“.

Biden will „Handlungen“ der russischen Streitkräfte sehen

Auch US-Präsident Joe Biden reagiert deutlich zurückhaltend. Er wolle die Aussagen nicht bewerten, bis er „die Handlungen“ der russischen Streitkräfte sehen werde, sagte Biden am Dienstag im Weißen Haus. „Wir werden sehen, ob sie das umsetzen, was sie vorschlagen“, sagte er. Bis es eine tatsächliche Veränderung gebe, werde der Druck auf Moskau mit „harten Sanktionen“ weiter aufrecht erhalten und auch das ukrainische Militär werde weiter unterstützt, sagte Biden.

Mit Blick auf eine Schalte mit seinen Amtskollegen aus Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien vom Dienstag fügte Biden hinzu, es sei „Konsens“ jetzt erst mal abzuwarten, was die Russen täten. „Wir werden weiter genau beobachten, was passiert.“

Moskau hatte das Nachbarland vor knapp fünf Wochen überfallen und fordert unter anderem eine Anerkennung der 2014 annektierten Halbinsel Krim als russisches Staatsgebiet sowie die Anerkennung der ostukrainischen Gebiete Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten.

Präsidentenberater Mychajlo Podoljak sagte in seinem Kommentar, dass die Frage der Krim nach dem Ende der aktuellen Kampfhandlungen innerhalb von 15 Jahren diskutiert werden solle. Ebenso ausgeschlossen von einer aktuellen Friedenslösung solle die Frage des Status der Gebiete Donezk und Luhansk behandelt werden.

Ein russischer Raketenwerfer in der Ukraine.
Ein russischer Raketenwerfer in der Ukraine.

© Imago/Itar-Tass

Die türkische Regierung wertet die Ergebnisse der Friedensverhandlungen in Istanbul als deutliche Schritte zu einem Ende des Kriegs in der Ukraine. Bei den Gesprächen der russischen und ukrainischen Delegation seien „die bedeutendsten Fortschritte“ seit Beginn der Gespräche erzielt worden, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstag. Er fügte hinzu, der Kriege müsse „jetzt enden“. Nach Angaben des türkischen Außenministeriums ist die aktuelle Gesprächsrunde für einen Frieden in der Ukraine beendet. Es werde keinen zweiten Verhandlungstag geben.

Das Nato-Land Türkei hat enge Beziehungen zu Kiew und Moskau und ist von Russland etwa in den Bereichen Energie- und Getreideversorgung sowie im Tourismus abhängig. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat immer betont, keinen der beiden Partner aufgeben zu wollen.

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Die Signale einer möglichen Entspannung im Krieg zwischen Russland und der Ukraine verliehen den Aktienbörsen am Dienstagnachmittag zusätzlichen Auftrieb. Der deutsche Leitindex Dax baute daraufhin seine Gewinne deutlich aus und stieg zuletzt um 2,7 Prozent auf 14.805 Punkte. Der Ölpreis geriet dagegen unter Druck.

Mit Spannung wird erwartet, ob Russland seine Drohung wahr macht und ab Donnerstag Gas und Öl nur noch gegen Rubel-Zahlungen liefern wird. Die G7-Staaten lehnen dies ab, weil die Verträge auf Euro und Dollar laufen. „Niemand wird Gas umsonst liefern, das ist einfach unmöglich, und man kann es nur in Rubel bezahlen“, sagte der Sprecher des russischen Präsidialamtes, Dmitri Peskow. Die Folge könnten ein Lieferstopp und deutliche Auswirkungen in den Volkswirtschaften Westeuropas sein. (mit Agenturen)

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