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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat in seiner ersten Amtszeit 15 Gnadengesuche entschieden.

© Sebastian Christoph Gollnow/dpa

Exklusiv

Privileg des Bundespräsidenten: Grüne und Linke fordern Abschaffung des Begnadigungsrechts

In den USA sorgt die Begnadigung von Präsidenten-Sohn Hunter Biden für eine Kontroverse. Auch in Deutschland hat der Bundespräsident dieses Sonderrecht, das nun kritisiert wird.

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In diesen Tagen öffnen sich in vielen Justizvollzugsanstalten wieder zahlreiche Türen, aus denen die Gefangenen als freie Menschen treten. In der Adventszeit greift im ganzen Land die alte Tradition der Weihnachtsamnestie, bei der Gefangene kurz vor Heiligabend frühzeitig entlassen werden. 97 Menschen sind es in diesem Jahr in Berlin, 248 in Nordrhein-Westfalen, zwei im Saarland.

Die Weihnachtsamnestie, die zum Kompetenzbereich der Justizminister der Länder gehört, knüpft an christliche Traditionen an, ermöglicht jedoch nur für Gefangene, die sowieso zum Jahreswechsel aus der Haft entlassen würden, eine minimale Haftentlassung. Doch in Deutschland kann auch deutlich weitreichender begnadigt werden. Anders als in den USA, wo die Begnadigung von Präsident Joe Biden für seinen Sohn aktuell für kontroverse Debatten sorgt, ist das hierzulande jedoch kein Aufreger. Denn Informationen über die Begnadigungen gibt es fast keine.

Grundlage für die Amnestie ist Artikel 60 des Grundgesetzes. Doch es ist weder bekannt, wen der Bundespräsident begnadigt, noch auf welcher Grundlage er seine Entscheidungen trifft. Noch nicht einmal die Anzahl der Personen, die Frank-Walter Steinmeier seit Amtsantritt 2017 begnadigt hat, will man im Schloss Bellevue preisgeben.

Eine Klage für mehr Transparenz scheiterte

„Es ist Staatspraxis, dass die Statistik über die Gnadenentscheidungen des jeweiligen Bundespräsidenten erst nach dessen Ausscheiden aus dem Amt veröffentlicht wird“, teilt ein Sprecher des Bundespräsidialamts auf Tagesspiegel-Anfrage mit.

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Das Projekt „Frag den Staat“, das sich für mehr Informationsfreiheit einsetzt, hat gegen das intransparente Verfahren im April vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg geklagt – und verloren. Immerhin teilte ein Vertreter des Bundespräsidialamtes in der mündlichen Verhandlung mit, Steinmeier habe in seiner ersten Amtszeit zwischen 2017 und 2022 insgesamt 15 Gnadengesuche entschieden.

Das wären vier Entscheidungen mehr als bei seinem Amtsvorgänger Joachim Gauck, der nur fünf Jahre im Amt war und eine mehr als in den zwei Jahren von Christian Wulff. Aber deutlich weniger als die 28 Angelegenheiten in den sechs Jahren Amtszeit von Horst Köhler.

Insgesamt geht die Zahl der Gnadengesuche seit Jahren zurück. So musste etwa Walter Scheel – Bundespräsident von 1974 bis 1979 – noch 301 Entscheidungen treffen. Hintergrund ist, dass der Bundespräsident nur Straftäter, die durch die Gerichtsbarkeit des Bundes verurteilt wurden, begnadigen kann.

301
Gnadengesuche hatte Bundespräsident Walter Scheel entschieden

Bis auf wenige Ausnahmen, etwa bei der Begnadigung der RAF-Terroristinnen Verena Becker (1989) und Adelheid Schulz (2002), bleibt unklar, wen der Bundespräsident begnadigt. Dies habe Gründe im Datenschutz- und Persönlichkeitsrechts, teilt ein Sprecher des Bundespräsidialamts mit: „Die Veröffentlichung einer positiven Entscheidung sowie die damit verbundene Berichterstattung könnte zudem der Reintegration und Resozialisierung des Begnadigten behindern.“

Das Begnadigungsrecht ist ein Relikt der Monarchie.

Die Juristin Elisa Houven kritisiert das Privileg des Bundespräsidenten.

An dieser Praxis gibt es jedoch Kritik. „Mit der Begnadigung setzt sich der Bundespräsident über ein Urteil hinweg, das ein Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren gefällt hat“, kritisierte Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht und Richterin am sächsischen Verfassungsgerichtshof, im „Deutschlandfunk“. Ihr Fazit: „Das Begnadigungsrecht ist ein Relikt der Monarchie, ein antiquiertes Majestätsrecht, das in einen demokratischen Rechtsstaat nicht passt.“

Auch im Bundestag gibt es kritische Stimmen zu dem besonderen Privileg des Bundespräsidenten. „Das Gnadenrecht ist vorkonstitutionell und gehört abgeschafft“, sagt der Grünen-Abgeordnete Till Steffen. Als langjähriger Justizsenator in Hamburg hat er von seinem Begnadigungsrecht, abgesehen von der Weihnachtsamnestie, nie Gebrauch gemacht.

Auch die Linken-Abgeordnete Clara Bünger hält das Instrument für „aus der Zeit gefallen“. Die Juristin fordert mehr Transparenz, nach welchen Kriterien die Amnestie erteilt werde. „Die Persönlichkeitsrechte der Strafgefangenen bleiben dann geschützt, gleichzeitig entsteht nicht der Verdacht auf Willkür und Geheimniskrämerei des Bundespräsidenten. Denn theoretisch könnte auch Beate Zschäpe begnadigt werden – ohne, dass es die Öffentlichkeit erfährt“, sagt Bünger mit Verweis auf die NSU-Terroristin.

In der Union hat man jedoch kein Interesse an einer Reform. „Nicht nur das Amt des Bundespräsidenten, sondern das Begnadigungsrecht selbst würde Schaden nehmen, wenn es einem Zwang zu umfassender Transparenz unterfiele“, sagt Vize-Fraktionschefin Andrea Lindholz. Der Bundespräsident könne es nicht allen Recht machen, so Lindholz: „Wir haben grundsätzlich Vertrauen und Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten.“

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