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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spricht zum Bundestag.

© IMAGO/epd

Reaktion auf Selenskyj-Rede: Die Ukraine-Politik der Bundesregierung ist beschämend

Die Bundesregierung weiß keine Antwort auf die Bitten des ukrainischen Präsidenten. Deutschland beschäftigt sich lieber mit sich selbst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Für die deutsche Außenpolitik und auch für die parlamentarische Demokratie war der Donnerstagmorgen im Bundestag ein Tiefpunkt. In einer bewegenden Rede berichtete der ukrainische Präsident von der Stadt Mariupol, die seit fünf Tagen ununterbrochen beschossen wird, von den Menschen, die Bomben und Raketen nicht entkommen können. Wolodymyr Selenskyj flehte Bundeskanzler Olaf Scholz geradezu an, den Ukrainern zu helfen.

Zwei Minuten nach der Rede ging der Bundestag zur Tagesordnung über, und der Kanzler schwieg. Es wirkte, als sei die Selenskyj-Rede für die Abgeordneten der Ampel-Koalition nur eine lästige Pflicht, die abzuarbeiten ist. Die deutsche Politik lieferte der Welt damit ein beschämendes Schauspiel.

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Doch das eigentliche Problem liegt noch viel tiefer: Drei Wochen nach dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine hat die Bundesregierung keine Antwort auf die Bitten des ukrainischen Staatspräsidenten. Scholz hatte Ende Februar unter dem Eindruck des russischen Angriffs eine Regierungserklärung abgegeben, in der er eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik verkündete: Die Bundesregierung gab ihre Ablehnung gegen Waffenlieferungen in die Ukraine auf, stimmte dem Ausschluss mehrerer russischer Banken aus dem Zahlungssystem Swift zu und versprach 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr.

Handelt die deutsche Politik wie ein Staubsaugroboter?

In der deutschen Öffentlichkeit hat Scholz für seine Kehrtwende viel Lob bekommen. Die Welt blicke seitdem anders auf Deutschland, sogar von „Bewunderung“ war die Rede.

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Die Außensicht auf Deutschland ist allerdings viel nüchterner: Lieber spät als nie, sagte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas. Der britische Journalist Philip Oltermann verglich die deutsche Politik mit einem Staubsaugroboter, der erst seine Richtung ändert, wenn er gegen eine Wand gestoßen ist. Tatsächlich änderte die Koalition ihre Haltung zu Waffenlieferungen erst, als ukrainische Städte unter Beschuss waren und der Druck der europäischen Partner zu groß wurde.

Leider steuert die deutsche Ukraine-Politik schon auf die nächste Wand zu. Es scheint, als würde die Bundesregierung dort weitermachen, wo sie vor der Regierungserklärung des Kanzlers aufgehört hat: Lautstark erklärt sie, was auf gar keinen Fall geht – bleibt aber Vorschläge schuldig, wie man der Ukraine helfen könnte.

Scholz lehnte einen Stopp der Öl- und Gasimporte aus Russland kategorisch ab. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck argumentiert, einen solchen Schritt könne Deutschland nicht verkraften. Bis Mitte des Jahres soll das Land von russischer Kohle unabhängig werden, bis Ende des Jahres vom Öl. Diese Maßnahmen helfen Deutschland, sich aus der fatalen Abhängigkeit von Moskau zu befreien. Der Ukraine dagegen helfen sie nicht, für die Menschen in Mariupol, Charkiw und Kiew kommt dies zu spät.

Lieber spricht man über den Spritpreis

Mit den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas kann Russlands Präsident Putin sein Regime und seine Armee über Wasser halten und Söldner aus Syrien bezahlen. Wenn die Bundesregierung einen totalen Importstopp für zu riskant hält, sollte sie zumindest entweder die Einfuhr von russischem Öl sofort beenden oder die bestehende Gaspipeline Nord Stream dichtmachen. Doch statt konkrete Schritte anzugehen, die der Ukraine helfen können, diskutiert das politische Berlin lieber über den Spritpreis. Während Russland in Europa einen Angriffskrieg führt, beschäftigt sich Deutschland wieder hauptsächlich mit sich selbst.

Weitere deutsche Waffenlieferungen, die in Kiew dringend gebraucht würden, plant die Bundesregierung bisher nicht. Wenn es um den völligen Ausschluss Russlands von Swift oder um einen EU-Kandidatenstatus für die Ukraine geht, wird Deutschland innerhalb der Europäischen Union wieder als Bremser wahrgenommen. Scholz und seine Regierung finden keine Antwort auf die Herausforderung durch Putins Russland. Für ein großes europäisches Land wie Deutschland ist das beschämend.

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