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Reaktionen auf das Sondierungspapier: Grüne Länderminister nennen Finanzpaket „nicht zustimmungsfähig“
Horst Seehofer stellt sich gegen die Finanzpläne von Union und SPD. Auch in der Jungen Union brodelt es – in der künftigen Opposition sowieso. Die Grünen stellen ihre Zustimmung zu den Finanzplänen im Bundestag infrage.
Stand:
Die künftigen Oppositionsparteien haben die Sondierungsvereinbarungen von Union und SPD am Samstag scharf kritisiert. Aber auch aus den eigenen Reihen kommt Kritik an den Ergebnissen der Gespräche.
Der ehemalige CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer warf der Union wegen des geplanten riesigen Schuldenpakets Wortbruch vor. Die Pläne stimmten „mit dem von uns versprochenen glaubwürdigen Politikwechsel nicht überein“, sagte Seehofer der „Bild am Sonntag“. Das sei „das Gegenteil dessen, was wir vor der Wahl gesagt haben“.
„Eine so hohe Verschuldung ist immer ein Risiko. Für die wirtschaftliche Stabilität und für die Inflationsrate. Die kleinen Leute zahlen es am Ende. Verschuldung ist unsozial“, sagte Seehofer. „Wenn wir aus dem gigantischen Steueraufkommen, das wir ja haben, unsere Zukunft nicht mehr finanzieren können, dann läuft etwas falsch“, sagte Seehofer.
Wenn wir aus dem gigantischen Steueraufkommen, das wir ja haben, unsere Zukunft nicht mehr finanzieren können, dann läuft etwas falsch.
Der ehemalige CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer
Seehofer nannte es alternativlos, dass die Union in Kernthemen, die ihr wichtig sind, nachvollziehbare Neuanfänge durchsetzt, „allen voran auf den Mega-Feldern Migration, Bürgergeld, Bürokratieabbau und Kürzungen der öffentlichen Haushalte“. Nur dann könne man von einem Politikwechsel sprechen, „nur dann ist die verabredete hohe Verschuldung überhaupt vertretbar“.
JU-Chef vermisst „echte Strukturreformen“
Auch aus der Jungen Union kommt Kritik: JU-Chef Johannes Winkel bemängelt in der „Bild“-Zeitung, dass die Verhandler das Thema Wehrpflicht ausgespart haben. „Die Wehrpflicht wird kommen müssen, ob man das politisch schön findet oder nicht“, sagt der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation.
Winkel fordert eine gerechtere Lastenverteilung zwischen den Generationen: „Die Wehrpflicht kann nicht allein zulasten der jungen Generation gehen.“ Deshalb müsse man „über die Finanzierung der Aufrüstung noch einmal diskutieren“.
Zudem vermisst Winkel „echte Strukturreformen“. „Milliarden in die Systeme pumpen hilft nicht weiter. Der Staatsapparat, der in den letzten Jahren so brutal gewachsen ist, soll geschrumpft werden“, sagt er der „Bild“. „Eine massive Neuverschuldung, die nächste Generationen zahlen müssen – und das ohne echte Strukturreformen, das werden wir als Junge Union nicht unterstützen können.“
Grüne kritisieren geplante „Geschenke an Lobbygruppen“
Der Grünen-Politiker Michael Kellner hat bei dem in den Sondierungsgesprächen ausgehandelten Milliardenpaket deutliche Zugeständnisse von Union und SPD gefordert. „Das Sondierungspapier strotzt von Geschenken an Lobbygruppen“, sagte Kellner dem Nachrichtenportal t-online am Sonntag. „Union und SPD dafür die finanziellen Spielräume zu geben, ohne substanziell was für den Klimaschutz zu bekommen, hielte ich für politischen Irrsinn.“
Auch bei Grünen in den Ländern stoßen die Pläne der Sondierer auf Ablehnung. Drei Länderminister für Finanzen und Wirtschaft aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bremen halten die geplante Grundgesetzänderung bezüglich der Finanzpolitik „ohne wesentliche Änderungen (...) für nicht zustimmungsfähig“. Das geht aus einer gemeinsamen Stellungnahme hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Es brauche Korrekturen und schnelle Verhandlungen, die Bedenken und Anliegen der Länder berücksichtigten, heißt es in dem Papier weiter. Gefordert wird unter anderem die Verdoppelung des Anteils, den die Länder für Investitionen in Infrastruktur bekommen sollen, auf 200 Milliarden Euro.
Grünen-Chefin nennt Pläne „Gift für unser Land“
Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner hatte bereits am Samstagabend bei einer Pressekonferenz mit ihrem Co-Vorsitzenden Felix Banaszak die Pläne von Schwarz-Rot als „Gift für unser Land“ bezeichnet. Statt strukturelle Probleme zu lösen, wollten die Parteien schon wie in früheren schwarz-roten Regierungen alles mit Geld zuschütten, erklärte Brantner in Berlin.

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Die Parteispitze stellte daher ihre Zustimmung zu dem geplanten Milliarden-Schuldenpaket im Bundestag infrage. „Von einer Zustimmung sind wir heute weiter entfernt als in den letzten Tagen“, sagt Co-Parteichef Felix Banaszak.
„Wir sehen, dass die Sondierungspartner sich rechtzeitig genügend die Schatzschatulle vollmachen wollen, um ihre Wahlversprechen zu finanzieren“, ergänzte Co-Parteichefin Franziska Brantner. Sie sagte, das Sondierungspapier habe die Grünen „ein Stück weiter weggebracht von einer Zustimmung“. Union und SPD benötigen die Zustimmung der Grünen zu einer Grundgesetzänderung für ihr Schuldenpaket und einer Lockerung der Schuldenbremse, die der Bundestag noch in alter Zusammensetzung beschließen soll.
Brantner bemängelte, in der Wirtschaft könnten CDU/CSU und SPD „keine neuen oder innovativen Ansätze“ vorweisen. Außerdem hätten die Sondierer zum Thema Bürokratieabbau „nichts Konkretes“ genannt. Und weiter: „Enttäuschenderweise ist zum Thema Europa außer warmen Worten nichts drin.“
Banaszak kritisierte, dass im Sondierungspapier ein Plan für die Bewältigung der Klimakrise fehle. Die Grünenspitze sieht in den Beschlüssen von Union und SPD eine Fortsetzung der Politik der „großen Koalition der Vergangenheit“ und meint damit die Bundesregierung unter Angela Merkel bis 2021.
Die Grünen seien aber weiter verhandlungsbereit. Verhandlungsführerinnen sind die Co-Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge, die sich in der zurückliegenden Woche zweimal für jeweils etwa eine Stunde mit den Sondierern von Union und SPD getroffen hatten. „Wir stehen zu unserer Zusage, dass wir konstruktiv verhandeln über zusätzliche Infrastrukturgelder, über unsere Verteidigungsfähigkeit, für konsequente Maßnahmen für den Klimaschutz“, sagte Brantner.
Linke beklagt Fehlen sozialer Themen
Die Linkspartei hat die Ergebnisse der Sondierungen von Union und SPD scharf kritisiert und das Fehlen sozialer Themen beklagt. Das Sondierungspapier sei „so katastrophal wie erwartet“ und soziale Themen ein „blinder Fleck“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek und Sören Pellmann am Samstag. „Zentrale Themen wie Wohnungsbau, Gesundheit, Stärkung von Familien, gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West oder bezahlbare Lebensmittel werden nebenbei verhandelt oder nicht einmal erwähnt.“
„Es scheint, Union und SPD haben ihre Energie vor allem darauf verwendet, das Asylrecht bis zur Unkenntlichkeit zu schleifen“, hieß es weiter. Ergänzt werde diese „überaus problematische Prioritätensetzung mit einem Blankoscheck für Aufrüstung und einem Sondervermögen, dessen Inhalt niemand kennt“.
Ramelow nennt Vorgang „verantwortungslos“
Thüringens ehemaliger Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) nennt eine mögliche Zustimmung des alten Bundestages zum geplanten Sondervermögen „verantwortungslos“. „Das kann man so nicht machen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Laut Ramelow, der für die Linke auch dem neuen Bundestag angehört, kommt die Vereinbarung einer „sehr pauschalen Ermächtigung des Haushaltsgesetzgebers“ gleich, „den Verteidigungsetat nach Belieben über Kredite zu finanzieren“. Aus seiner Sicht dürfte dies dazu führen, „dass nur noch rund 44 Milliarden Euro des Verteidigungshaushalts durch Einnahmen gedeckt werden müssten“.
„Unterstellt man das bekannte Nato-Ziel, dass mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben wären, müssten rund 44 Milliarden Euro über Kredite finanziert werden“, führte Ramelow aus. „Bei drei Prozent wären es 88 Milliarden Euro und bei den von US-Präsident Donald Trump geforderten fünf Prozent sogar 220 Milliarden Euro.“
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In der Vereinbarung über das von der SPD favorisierte schuldenfinanzierte Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für die Infrastruktur fehlt aus Sicht des Linken-Politikers das Wort „zusätzlich“. Es werde also lediglich suggeriert, dass frisches Geld komme, betonte er. „Tatsächlich würden die Investitionen mit dem übrigen Haushalt verrechnet“.
Dabei gäbe lediglich eine „Umschichtung zugunsten der Verteidigungsausgaben“. „Und für die Bildung läuft gar nichts, weil das Kooperationsverbot nicht angetastet wird“, sagte Ramelow mit Blick auf die Vorgabe, wonach der Bund auf die Bildungspolitik der Länder keinen Einfluss ausüben darf. Ramelow sagte: „Das alles ist keine Lösung. Das ist eine Falle.“
FDP vermisst „echte Entlastungen“ für Unternehmen
Die liberale FDP bezeichnete die Einigungen von Schwarz-Rot als unzureichend. „Die Bürger und Unternehmen, die auf echte Entlastungen und Reformen gehofft haben, werden schwer enttäuscht“, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der Deutschen Presse-Agentur.
„Dem gigantischen Schuldenpaket steht nur einzelnes Stückwerk gegenüber. Es bleibt bei Bürokratie durch Lieferkettengesetz und ideologisierter Klimapolitik – ist das Gegenteil von der Wirtschaftswende, die unser Land so dringend braucht“, so Dürr.
Auf der Plattform X schrieb er weiter: „Bei Migration wird offensichtlich 1:1 der Plan der alten Ampel umgesetzt. Das ist zu wenig für unser Land.“
AfD sieht Bruch von Wahlversprechen
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht hält die Sondierungsergebnisse von Union und SPD für völlig unzureichend und prophezeit deshalb eine Zunahme der Unzufriedenheit im Land. „Die Sondierungsbeschlüsse sind ein roter Teppich für die AfD ins Kanzleramt 2029“, erklärte sie. „Union und SPD haben immer noch nichts verstanden. Es ist eine naive Illusion, mit dieser Schmalspur-Sondierung und gigantischen Aufrüstungsschulden die Probleme unseres Landes in den Griff bekommen zu wollen. Im Gegenteil, es droht die Fortsetzung des Niedergangs und der wirtschaftlichen Talfahrt.“
Und die AfD hat Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz vorgeworfen, mit der Sondierungsvereinbarung von Union und SPD seine Wahlversprechen zu brechen. „Für den Bruch seiner Wahlversprechen und seine Kapitulation vor dem Verschuldungswahn der SPD hat Friedrich Merz lediglich vage Versprechungen und Formelkompromisse in der Migrationspolitik voller Vorbehalte und Hintertüren bekommen“, erklärten die Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla.
Lob von SPD-Vize Rehlinger
Lob kommt hingegen aus den Reihen der Sozialdemokraten: „Ich glaube, das ist einfach schlicht ein gutes Paket für Deutschland, das hilft, dass wir wieder auf die Beine kommen“, sagte die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger am Samstag im „heute journal“ des ZDF. Es gebe „große Herausforderungen, aber es gibt auch große Antworten“, die eine künftige Koalition aus CDU/CSU und SPD finden wolle.
Den Kompromiss beim Thema irreguläre Migration findet Rehlinger gelungen. „Es wird auch keine Grenzschließungen geben, aber es gibt eine Verschärfung der Grenzkontrollen.“ Dass dies abgestimmt mit den europäischen Nachbarn geschehe, sei wichtig für die SPD. Zudem wolle man im Gegenzug Einwanderung in den Arbeitsmarkt erleichtern. Rehlinger sprach von den Prinzipien „Humanität und Ordnung“, die für die Migrationspolitik gelten müssten.
Caritas begrüßt geplante Investitionen im Sozialen
„Mit den bereits vorab bekannt gewordenen Reformen des Grundgesetzes wollen CDU/CSU und SPD die nötigen Spielräume für die großen Investitionserfordernisse schaffen. Mit Kitas und Krankenhäusern nennt die Einigung zwei Bereiche sozialer Infrastruktur, in die zusätzlich zu investieren die soziale Sicherheit wirksam stärken wird“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Welskop-Deffaa der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Samstag in Berlin.
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Erfreulich sei, dass in dem am Samstag von den Parteispitzen vorgestellten Sondierungspapier eine große Pflegereform angekündigt werde. „Pflegende Angehörige müssen verlässlich entlastet werden. Eine vernetzte Weiterentwicklung von ambulanter und stationärer Pflege ist unabdingbar, für Prävention von Pflegebedürftigkeit muss es gezielte Ansätze geben“, betonte Welskop-Deffaa. Die Pflegeversicherung müsse auf eine nachhaltige Grundlage gestellt werden.
Die Caritas-Präsidentin unterstrich zudem: „Das Papier der Sondierungsgruppe setzt auch in der Familien- und Generationenpolitik wichtige Duftmarken: verlässliche Kinderbetreuungsangebote und Tagespflegen sind die Voraussetzung dafür, dass Paare ihren Alltag partnerschaftlich ohne Überforderung bestehen können.“
Außerdem sei positiv zu bewerten, dass die Parteien sich für eine sozial und ökonomisch ausgewogene Klimaschutzpolitik aussprechen. „Die Weiterfinanzierung des Deutschlandtickets und seine Weiterentwicklung zu einem Deutschlandticket family plus zählen für den Deutschen Caritasverband zu den wesentlichen Bausteinen einer modernen Mobilitätspolitik, die sich als soziale Teilhabepolitik versteht“, sagte Welskop-Deffaa.
Städte- und Gemeindebund begrüßt „wichtige Schritte zu echter Migrationswende“
„Die sehr deutliche Begrenzung der illegalen Migration, die Beschleunigung der Rückführungen und die zusätzlichen Mittel für die Integration der Menschen mit Bleiberecht sind richtige Akzente“, sagte André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Dies seien „wichtige Schritte auf dem Weg zu einer echten Migrationswende“.
Als weitere wichtige Signale in dieser Richtung nannte Berghegger „das Festhalten an der Bezahlkarte und die Wiedereinführung der Sprach-Kitas“. Diese von den möglichen Koalitionspartnern vereinbarten Maßnahmen seien aus kommunaler Perspektive begrüßenswert.
Das Sondierungsergebnis enthalte zudem „wichtige Impulse, um Bürger, Wirtschaft und Kommunen zu entlasten“, sagte Berghegger weiter. „Vieles der nun getroffenen Vereinbarungen schafft Planungssicherheit und erleichtert den Kommunen die weitere Arbeit an der Transformation der Energieversorgung.“ Allerdings seien noch weitere Konkretisierungen in den Koalitionsverhandlungen notwendig, etwa im Bereich der Digitalisierung oder bei der Mobilität. (dpa, AFP, KNA, Tsp)
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