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Finden Sie zueinander? Friedrich Merz und Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann.

© Michael Kappeler/dpa

Verhandlungen über Schuldenreform: Ohne die Stimmen der Grünen fehlt Schwarz-Rot die Geschäftsgrundlage

Über Jahre blockierte die Union die finanzpolitischen Ideen der Ampel und verhöhnte den grünen Wirtschaftsminister Habeck. Nun braucht Schwarz-Rot die Stimmen der Grünen, doch die zögern.

Per Pressemitteilung erhöhen die Grünen am Donnerstagmittag den Druck auf Friedrich Merz: „Drei Grundgesetzänderungen in nicht einmal einer Woche durch den alten Bundestag bringen zu wollen, erscheint wenig durchdacht und ist fehleranfällig“, teilt die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, nach einem Gespräch im Ältestenrat mit. Für Union und SPD heißt das: Ihre Pläne für ein Sondervermögen und eine Reform der Schuldenbremse sind noch lange nicht durch.

Es klingt paradox, doch in diesen Tagen scheint die Kanzlerschaft von Friedrich Merz an den Grünen zu hängen. Union und SPD brauchen ihre Stimmen, um noch mit den Mehrheiten des alten Bundestags ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für Infrastrukturprojekte und eine Reform der Schuldenbremse, die unbegrenzte Ausgaben für die Verteidigung ermöglichen soll, zu beschließen. Scheitert das Vorhaben, fehlt Schwarz-Rot die Geschäftsgrundlage.

Für die Grünen ist es ein rasanter Rollenwechsel. Noch vor wenigen Monaten war es die Union, die der Ampel mit ihrem Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe den Haushalt durcheinanderbrachte. Das Umwidmen von Corona-Geldern hatten die Richter für nicht rechtens befunden und der Ampel damit ein 60-Milliarden-Loch gerissen. Vorschläge für ein Sondervermögen oder eine Schuldenbremsenreform hatte die Union in der Opposition immer wieder abgelehnt.

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Das Vorgehen von CDU/CSU und SPD befremdet uns sehr.

Die parlamentarische Geschäftsfüherin der Grünen, Irene Mihalic, über die Pläne von Schwarz-Rot.

Dass Merz nun – nur Stunden nach der Bundestagswahl – eine 180-Grad-Wende hinlegt, werten viele Grüne als Wählertäuschung und politisches Foulspiel. Zudem ärgert viele in der Fraktion, dass Union und SPD sie nicht schon früher in die Verhandlungen einbezogen haben. Erst unmittelbar vor der Präsentation der Pläne vor der Presse informierte Merz die beiden Grünen-Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge telefonisch.

Der Frust ist groß: „Friedrich Merz will jetzt mal kurz übers Wochenende einen grundlegenden finanzpolitischen Kurswechsel in unserem Land durchsetzen, nachdem er sich vorher monatelang jeder Lösung und Verantwortung verweigert hat“, sagt etwa der Haushälter Sebastian Schäfer. „Das Vorgehen von CDU/CSU und SPD befremdet uns sehr und ist in keiner Weise von Respekt und überlegtem Vorgehen geprägt“, sagt Mihalic.

Die Grenze des Erträglichen ist erreicht.

Ein scheidendes Fraktionsmitglied der Grünen zu den Plänen von Merz.

Für Merz könnte es eng werden. Union, SPD und Grüne kommen zusammen nur auf rund 30 Stimmen mehr als die nötige Zweidrittelmehrheit für eine Grundgesetzänderung. Gerade Abgeordnete, die aus dem Bundestag geflogen sind und als Abweichler keine Konsequenzen mehr zu befürchten hätten, hadern heftig.

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„Wie schon bei den Abstimmungen mit der AfD baut Friedrich Merz ein Erpressungsmoment auf“, sagt ein Fraktionsmitglied, das aus dem Bundestag geflogen ist. Die Vorschläge müssten sich grundlegend ändern. „Nur den Geldhahn aufdrehen, damit Merz durchregieren kann und dabei den Klimaschutz mit keinem Wort erwähnen, das geht nicht. Die Grenze des Erträglichen ist erreicht.“

Andere Grüne scheinen vor allem die Verhandlungsposition verbessern zu wollen. „Wir sind bereit zu verhandeln, aber Schwarz-Rot muss sich deutlich bewegen, damit wir am Ende zustimmen“, sagt Grünen-Chefhaushälter Sven-Christian Kindler, der ebenfalls aus dem Bundestag ausscheidet. Er kritisiert, dass Union und SPD allein für die Verteidigung die Schuldenbremse reformieren wollen, „aber nicht für Zukunftsinvestitionen und Klimaschutz“. Dies sei „ein Scheitern vor der Realität“.

Sebastian Schäfer fordert zudem eine faire Finanzierung des Sondervermögens. „Es kann nicht sein, dass allein zukünftige Generationen in die Haftung genommen werden für die Versäumnisse der Vergangenheit.“ Er will Reiche stärker in die Verantwortung nehmen. „Ein Verteidigungssoli erscheint mir dafür zum Beispiel eine interessante Idee.“

Der Zeitplan ist eng

Es ist ein Pokerspiel, das außer Kontrolle geraten könnte. Denn viel Zeit bleibt nicht, schon in der kommenden Woche sollen die Gesetze in den Bundestag eingebracht werden. In der Woche darauf stünde dann bereits die finale Befassung an, und ehe am 25. März der neue Bundestag zusammenkommt, müsste auch der Bundesrat noch zustimmen.

Von dort kommen von den Grünen, die in zahlreichen Ländern mitregieren, die deutlichsten Signale für eine Zustimmung. Wohl auch, weil die Schuldenbremse künftig auf eine Kreditaufnahme für die Länder ermöglichen soll. „Grundsätzlich halte ich die Vorschläge in ihrer Stoßrichtung und ihrer Dimension für richtig“, sagt etwa Mona Neubaur, Wirtschaftsministerin und Vize-Ministerpräsidentin in NRW. Das Land habe seit Jahren einen erheblichen Investitionsbedarf, daher brauche es nun „einen großen Wurf“, sagte Neubaur dem Tagesspiegel. „Zu diesem Wurf muss aber auch zwingend die Antwort auf die Frage gehören, wie er generationengerecht finanziert werden soll.“

Ähnlich aufgeschlossen gibt sich Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz: „Die Vorschläge von Union und SPD sind recht nah an den Punkten, auf die meine Partei und ich in der Vergangenheit immer wieder hingewiesen haben.“ Merz müsse nun schnell auf die Länder zukommen, fordert Bayaz, der Schwarz-Rot aber auch warnt: „Vor allem darf dieses Investitionspaket nicht den Reformdruck bei Arbeit, Rente oder Bürokratie mildern.“

In der CDU beobachtet man die Entwicklung mit Sorge. Und es schwingt auch Ärger über CSU-Generalsekretär Martin Huber mit, der am Aschermittwoch wieder einmal ganz subtil über Robert Habecks Kinderbücher, Annalena Baerbocks feministische Außenpolitik und Cem Özdemirs Tofuschnitzel herzog. Als hilfreich in einer Situation, da die Grünen zwingend für Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat gebraucht werden, empfindet es niemand – eher als dämlich und unnötig.

Martin Huber und Markus Söder haben die Verhandlungen mit den Grünen erschwert, finden viele in der CDU.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

„Das ist Teil des üblichen Übermuts, den sich die CSU an Aschermittwoch herausnimmt“, meint Baden-Württembergs ehemaliger CDU-Ministerpräsident Günther Oettinger stellvertretend für viele andere, „mehr steckt meiner Ansicht nach nicht dahinter.“ Einerseits verfolgt er das Geschehen mittlerweile nur noch von der Seitenlinie, andererseits ist er jemand, der aus alter Verbundenheit weiter im Austausch mit Merz steht und auch den bayerischen Parteichef Markus Söder gut kennt.

Dem unterstellen viele Christdemokraten traditionell nichts Gutes. Und so wird in manchen Kreisen auch jetzt wieder spekuliert, welche Agenda der machtbewusste CSU-Vorsitzende verfolgen könnte. Will er die Schuldenbremsenreform mit den Grünen, die kleine Koalition mit der SPD und damit auch Merz scheitern sehen, um sich dann doch wieder als alternativer Kanzlerkandidat ins Spiel zu bringen? Konkrete Hinweise darauf gibt es nicht – dass diese Fragen hinter vorgehaltener Hand überhaupt diskutiert werden, zeugt von großer Nervosität.

Auf der Spitzenebene geht es gerade eher um die richtige Verhandlungstaktik, da in den Sondierungsgesprächen am Donnerstag und Freitag auch die Migrationspolitik zum Thema wird. Will man die Grünen noch mehr verstören, indem man jetzt – wie sich die Union das vorstellt – der SPD eine deutliche härtere Migrationspolitik abringt und diese noch am Wochenende in einem Sondierungspapier aufschreibt? Würde man dann eine Zustimmung der Umweltpartei nicht noch stärker gefährden, als es sich jetzt schon andeutet?

Auch die SPD ist alarmiert

Auch in der SPD gibt es die Sorge, dass es misslingt, die Grünen für das Finanzpaket an Bord zu holen. Eigentlich müssten CDU, CSU und SPD nun ihre Sondierungen unterbrechen, um erst einmal die Grünen dafür zu gewinnen, heißt es in SPD-Kreisen. Man müsse ihnen Angebote machen. Die Lage sei durch innerparteiliche Kämpfe bei den Grünen nicht eben einfach. Über CSU-Chef Markus Söder heißt es bei der SPD, dieser wolle den CDU/CSU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz „kujonieren“.

Sollten das von CDU, CSU und SPD vereinbarte Paket im alten Bundestag scheitern, dann müsse man mit den Sondierungen neu beginnen, heißt es bei den Sozialdemokraten. Dann sei „alles auf null gestellt“ und es gelte der alte Spruch: „Nichts ist geeint, wenn nicht alles geeint ist.“

Die Chancen für Schwarz-Rot sänken nach einem solchen Fehlstart ebenfalls. Die Suche nach einer verfassungsändernden Zweidrittelmehrheit im neuen Bundestag werde sich als schwierig erweisen. Da nämlich wären Union, SPD und Grüne auf die Zustimmung der Linken angewiesen.

In puncto Verteidigung wäre ein Konsens mit der Linken schwer bis unmöglich, heißt es in der SPD-Bundestagsfraktion. Union und SPD hatten für die Verteidigung eine finanziell nach oben offene Regelung geschaffen: Alle Ausgaben für Verteidigung oberhalb von einem Prozent der Wirtschaftskraft sollen von der Schuldenbremse befreit werden. Dies habe, anders als ein beziffertes Sondervermögen wie bisher, den Vorteil, für Russland schwerer berechenbar zu sein. Die Einigung würde dem Bund ermöglichen, in einem extremen Fall beispielsweise fünf Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben. Derzeit sind es zwei. Die Nato dürfte im Juni ein neues Ziel verabschieden. Die Linken im Bundestag dürften sich aber auf diesen Mechanismus kaum einlassen, heißt es in der SPD.

Der Druck, unter dem Schwarz-Rot nun stehe, wachse auf vielfältige Weise, heißt es in der SPD: innerparteilich, zeitlich (Konstituierung des neuen Bundestages am 25. März) und international (Putin, Trump). Merz’ Kanzlerschaft ist noch lange nicht ausgemacht.

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