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In Bulgariens Hauptstadt Sofia geraten am 9. Mai Anhänger und Gegner Russlands aneinander.

© IMAGO/NurPhoto

Desinformation in Bulgarien: „Russlands Ziel ist Zwietracht und Chaos“

E-Government-Minister Boschanow warnt: Vielen sei nicht bewusst, wie der Kreml Desinformation zur Einflussnahme nutzt. Wie Bulgarien sich wehren will.

Von Oliver Bilger

Den Termin fürs Interview vereinbart das Kabinettsmitglied mit dem Aufgabenbereich Digitales über ein paar kurze Nachrichten auf Whatsapp. Boschidar Boschanov ist Minister für E-Government in einem Regierungsbündnis, das sich aus vier teils sehr unterschiedlichen Parteien zusammensetzt.

Der 34-Jährige gehört der Partei Demokratisches Bulgarien an und ist seit Dezember im Amt. Zuvor arbeitete er als IT-Experte und gründete ein Unternehmen für Informationssicherheit. Mit dem Tagesspiegel spricht Boschanow über die Gefahren von Desinformationen und wie seine Regierung jetzt darauf reagieren will.

Herr Boschanow, Russland setzt Bulgarien seit Wochen stark unter Druck: Gaslieferungen wurden gestoppt, es gibt Cyberangriffe. Wieso ist Bulgarien so sehr im Visier?

Russland will Einfluss auf Bulgarien ausüben. Es will den Einfluss behalten, den es bereits seit langem gibt. Wahrscheinlich möchten Russland ein Trojanisches Pferd in der Europäischen Union haben.

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Beobachter sprechen zudem von einem vermehrten Einsatz von Desinformationskampagnen.

Wir sehen eine Zunahme der Desinformation, aber wir können sie nicht wirklich messen, weil Facebook uns keine Daten zur Verfügung stellt. Ich mag es, Dinge zu quantifizieren. Ich spreche von Facebook, weil es das dominierende soziale Netzwerk in Bulgarien ist. Aber gleiches gilt wahrscheinlich auch für Twitter, Tiktok oder Instagram. An der Cyberfront beobachten wir eine Zunahme von DDoS-Angriffen und Ransomware-Attacken, was keineswegs unerwartet ist.

Boschidar Boschanow ist Minister für E-Government in Bulgarien.
Boschidar Boschanow ist Minister für E-Government in Bulgarien.

© Oliver Bilger

Zu Beginn des Krieges lautete meine Botschaft: Wir sehen keine Zunahme, weil Russland sich auf die Ukraine konzentriert, aber wir werden vermutlich in den kommenden Monaten mehr Attacken erleben – wir müssen darauf vorbereitet sein. Leider hatte ich recht. Wir – ich spreche zumindest für meine Partei in der Regierungskoalition – wollen Bulgarien „entputinisieren“ und den gesamten Einfluss des Kremls in verschiedenen Bereichen beseitigen: Wirtschaft, Politik, Geheimdienste, Medien.

Mit Bulgarien zielt Russland ausgerechnet auf ein Land, das lange ein enger Verbündeter war. Was ist das Ziel Russlands?

Russlands Ziel ist nie besonders konkret, es geht um Zwietracht und Chaos. Die bulgarische Gesellschaft hegt aus historischen Gründen positive Gefühle gegenüber Russland, und der Kreml missbraucht dies: gezielte Desinformation, nicht nur während des Krieges, sondern schon viele Jahre davor. Unter Verwendung bestimmter Narrative: von der großartigen russischen Armee, der traditionellen, konservativen slawischen Macht, für die der Kreml und Putin selbst stehen, vom dekadenten Westen und einer aggressiven Nato und EU.

Viele Menschen sind sich gar nicht bewusst, dass sie Falschinformationen ausgesetzt sind, im Laufe der Jahre festigen sich ihre Einstellungen dadurch immer stärker. Das zeigt sich auch in den Umfragen: Bevor der Krieg begann, lag die Zustimmung zum Kreml in Bulgarien bei etwa 60 Prozent, was zu hoch ist. Durch den Krieg wurde dies ein wenig entzaubert. Die Zustimmung ist um die Hälfte gesunken. Eine andere Umfrage zeigt jedoch, dass mehr als 50 Prozent der Bulgaren meinen, der Westen sei schuld am Krieg in der Ukraine, der Westen habe die Russen provoziert. Das ist ihr Narrativ, es lässt sich offensichtlich in dieser Umfrage ablesen.

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Welche anderen Narrative finden sich besonders häufig in Bulgarien?

Eines zielt ab auf die ukrainischen Flüchtlinge, die in bulgarischen Hotels untergebracht sind oder teure Autos fahren. Es gibt tatsächlich einige, die mit ihren Luxusautos hierhergekommen sind. Wir haben 100.000 Ukrainer, ein paar von ihnen haben Autos. Der Versuch, die Flüchtlinge gegen die bulgarische Bevölkerung auszuspielen, ist eines der verbreitetsten Narrative. Ein anderes Narrativ: Die Ukraine tötet Zivilisten im Donbass und Russland muss den Donbass befreien. Das ist die Rhetorik des Kremls.

Sie haben kürzlich im Parlament erwähnt, dass die osteuropäischen Länder besonders von Desinformationskampagnen betroffen sind. Wie kommt das?

Das ist aus der Geschichte bedingt, wegen der Verbindungen zu Russland. Wir sind Grenzländer, wir nehmen die meisten Flüchtlinge auf. Polen bietet Millionen Zuflucht, viele kamen nach Rumänien, in die Slowakei, nach Bulgarien. Durch die Nähe zu Russland wächst in den Ländern die Angst der Bürger, sie könnten die nächsten sein, wenn sich der Krieg ausweiten sollte. Desinformationen verstärken die Angst.

Die noch junge bulgarische Regierung ist die erste, die das Problem der Desinformation in Bulgarien wirklich angehen will. Warum?

Meine Partei und die Partei „Wir setzen den Wandel fort“ sind die pro-westlichsten Parteien. Vor uns gab es immer eine Regierung, die irgendwie pro Kreml war: Sie spielte mit dem Westen, schüttelte Hände mit Angela Merkel. Gleichzeitig setzte sie strategische Projekte des Kremls wie Pipelines um. Jetzt versuchen wir zum ersten Mal, das Problem anzupacken.

Was unternehmen Sie?

Wir haben viele Möglichkeiten geprüft, und auf hiesiger Ebene können wir nicht wirklich viel tun. In Bulgarien können wir die sozialen Medien nicht selbst regulieren, weil der Markt dafür einfach zu klein ist. Wir können und sollten keine Maßnahmen zur direkten Sperrung von Websites einführen. Denn erstens ist das ein sehr gefährliches Unterfangen und zweitens würde es gar nicht funktionieren.

Das liegt an der Art und Weise, wie die Desinformationskampagnen funktionieren: Sie nutzen anonyme Websites mit gefälschten Nachrichten, und sie nutzen Troll-Fabriken, um Kommentare zu diesen Artikeln zu teilen und sie durch die Algorithmen von Facebook zu verstärken.

Selbst wenn wir eine Fake-News-Website erkennen – anonym, kein Impressum, kein Eigentümer –, dann ist es technisch schwierig, sie zu sperren. Eine DNS-Sperre richtet nicht viel aus, weil man den Namen der Seite ändern kann und von Facebook aufgeführt wird. In dem Moment, in dem wir blockieren können, erstellen die Verantwortlichen die nächste Website. Und wenn wir diese Möglichkeit zum Sperren hätten, wäre das ein sehr gefährliches Instrument der Zensur.

Was ist Ihre Alternative?

Wir verfolgen zwei Ansätze. Der erste ist europäisch: Das geplante Gesetz über digitale Dienste (Digital Service Act, DSA) ist eine sehr gute Möglichkeit, um soziale Netzwerke verantwortungsvoller zu machen. Sie müssen mehr Daten offenlegen und ihre Algorithmen transparenter machen. Nur so kann man sie verbessern, um die Verbreitung von Falschnachrichten zu bekämpfen. Derzeit tun die Plattformen nicht genug dagegen. Wahrscheinlich müssen Regierungen und Plattformen hier stärker zusammenarbeiten.

Der DSA öffnet die Tür für diese Art der Zusammenarbeit. Somit ist der DSA ist ein erstes konkretes Werkzeug, um Algorithmen zu regulieren. Die Umsetzung wird zwar einige Zeit in Anspruch nehmen, aber es ist der einzige nachhaltige Weg, der nicht das Risiko birgt, einen Zensurapparat zu schaffen.

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Und der zweite Ansatz?

Das ist die Analyse. Wir werden eine Einheit einrichten, die Medien beobachten soll. Das ist etwas, was viele Privatunternehmen aus kommerziellen Gründen tun. Wir wollen es aus Gründen der nationalen Sicherheit tun. Wir werden prüfen, was aktuell wichtige Nachrichten sind und wie sie sich verbreiten. Dann kann die Regierung mit der ihrer Kommunikation darauf reagieren.

Soziale Netzwerke will Minister Boschanow künftig stärker beobachten.
Soziale Netzwerke will Minister Boschanow künftig stärker beobachten.

© Tobias Hase/dpa

Können Sie ein Beispiel nennen?

Zu Beginn des Krieges hatten wir eine Pendlerkrise. Es gab das Gerücht, dass Russland wegen des Krieges die Treibstofflieferungen stoppen und es nicht genug Benzin geben werde. Die Menschen standen vor den Tankstellen Schlange. Das kann wiederum zu einer Treibstoffknappheit führen. Und es führte zu einem Preisanstieg. Wenn lange Schlangen vor den Zapfsäulen warten, verdoppelt die Tankstelle natürlich den Preis.

Bei der rückwirkenden Analyse haben wir festgestellt, dass es kurz zuvor einen großen Anstieg von Berichten über Kraftstoffmangel gab. Hätten wir also eine proaktive Überwachung der Nachrichtentrends gehabt, hätten wir gewusst, dass dieses Narrativ über Artikel und Trolle verbreitet wird. Wir wären in der Lage gewesen, proaktiv zu informieren: Es gibt keine Treibstoffknappheit, sondern es wird versucht, Angst vor Engpässen zu schüren. Die neue Einheit wird proaktiv einen Überblick liefern, damit wir wissen, was in den sozialen Netzwerken geschieht und wir rechtzeitig darauf reagieren können.

Wie wichtig ist es über die Maßnahmen für Social Media hinaus, Journalismus und Medien in Bulgarien zu stärken?

Das ist sehr wichtig. Um die Medienlandschaft in Bulgarien ist es nicht sehr gut bestellt. Unser Pressefreiheits-Ranking von Reporter ohne Grenzen hat sich dieses Jahr zwar verbessert, ist aber immer noch weit vom europäischen Niveau entfernt. Der Kreml beeinflusst darüber hinaus Medien durch Finanzierung. Wir können zwar nichts beweisen, aber Narrative werden, vor allem von einigen Journalisten, mit den Worten aus dem Kreml an unsere Medien weitergegeben. Es gibt hier noch viel zu tun.

Außerdem beschäftigen wir uns mit der Steigerung von Medienkompetenz. Dies ist allerdings eine mittel- bis langfristige Investition. Man kann nicht in Kriegszeiten Medienkompetenz trainieren und erwarten, dass sie in den nächsten zwei Monaten funktioniert. Deshalb legen wir den Schwerpunkt auf kurzfristige, mittelfristige Maßnahmen, die eine schnellere Wirkung entfalten können.

Das Interview wurde im Rahmen eines Rechercheaufenthalts in Bulgarien geführt, den das Medienprogramm Südosteuropa der Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte.

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