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Schwarz-rote Koalitionsverhandlungen: Union und SPD streiten um Wehrpflicht, Israel-Politik und das 3,5-Prozent-Ziel
Bei ihren Koalitionsgesprächen können sich die Fachpolitiker von CDU, CSU und SPD bei zentralen Fragen zur Außen- und Sicherheitspolitik nicht einigen. Nun müssen die Parteispitzen ran.
Stand:
Union und SPD sind bei ihren Koalitionsgesprächen in zentralen Fragen der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik uneinig.
So müssen die führenden Köpfe von CDU, CSU und SPD strittige Themen wie eine Wiederaufnahme der Wehrpflicht, ein mögliches 3,5-Prozent-Ziel bei den Verteidigungsausgaben oder eine Integration des bisherigen Entwicklungsministeriums in das Auswärtige Amt (AA) klären.
Die entsprechende Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen („Verteidigung, Außen, Entwicklung, Menschenrechte“) hat sich bei diesen und weiteren Themen nicht geeinigt, wie aus ihrem Abschlusspapier hervorgeht. Das Papier liegt dem Tagesspiegel vor.
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Mit traditionellen Formeln hingegen konnten Union und SPD auf einen Nenner kommen, etwa mit Bezug auf den Sitz der Vereinten Nationen in Deutschland („Die Bundesregierung wird den deutschen VN-Sitz in Bonn weiterentwickeln.“).
Auswärtiges Amt fürchtet Bedeutungsverlust
Relevanter sind, neben allerhand allgemeinen Floskeln, die Unterschiede. So plädiert die Union dafür, den bestehenden Bundessicherheitsrat zu einem Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt aufzuwerten. Dieser soll wesentliche Fragen „der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs-, Wirtschafts- und Entwicklungspolitik“ koordinieren.
Die SPD ist gegen eine solche Reform, sach- wie machtpolitisch. CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz und die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm hatten einen Nationalen Sicherheitsrat im Bundeskanzleramt verlangt.
Nun, wo Merz gute Chancen hat, nächster Bundeskanzler zu werden, ist eine solche Verlagerung von Kompetenzen in die Regierungszentrale in seinem eigenen machtpolitischen Interesse. Im AA gibt es hingegen die Sorge, weitere Kompetenzen zu verlieren.
Merz dürfte in hohem Maße selbst Außenpolitik machen. Altgediente Diplomaten müssen, zugespitzt formuliert, befürchten, dass das AA zu einer obersten Bundesbehörde degradiert wird. Schon unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) verlor das AA Kompetenzen an das Kanzleramt, vor allem in der Europapolitik. Lange vorbei sind die Zeiten, in denen der Außenminister an EU-Gipfeln teilnahm. Das alles ist schon jetzt längst allein Sache des Kanzlers.
Differenzen bei der Israel-Politik
Union und SPD legen zudem zwei unterschiedliche Fassungen zum Israel-Absatz des Papiers vor. Während die Union unter anderem schreibt, die Weltgemeinschaft dürfe „eine nukleare Bewaffnung des Iran nicht zulassen“, verzichtete die SPD auf diesen Hinweis. CDU/CSU wollen die Konsultationen mit der israelischen Regierung wieder aufnehmen, die SPD nicht.
Für Rüstungsgüter nach Israel solle es keine Exportbeschränkung geben, verlangen CDU und CSU. „Ohne umfassende Reformen wird Deutschland die UNRWA nicht weiter finanzieren“, heißt es im Unionsvorschlag. UNRWA steht für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten.
Die SPD wiederum dringt, anders als die Union, auf „einen neuen Anlauf für die Zweistaatenlösung“. Die Siedlungspolitik Israels widerspreche dem Völkerrecht, schreiben die Sozialdemokraten in ihrem Passus: „Pläne zur Annektierung von palästinensischen Gebieten lehnen wir ab. Die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen muss beendet werden.“
Im Gegensatz zur Union will die SPD im Koalitionsvertrag ein „Bekenntnis zur Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung“ von Nuklearwaffen. „Es gilt, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern“, heißt es in dem SPD-Passus weiter.
Einig sind sich Union und SPD, die „Investitionen in unsere Verteidigung […]. deutlich und stringent zu steigern“. Die Union aber will ein Bekenntnis der Ausgabenhöhe „in Richtung 3,5 Prozent des BIP“. Die SPD vermeidet jede Zahl.
Kanzler Olaf Scholz (SPD) verweist stets darauf, dass Deutschland nun zwei Prozent seiner Wirtschaftskraft für Verteidigung ausgebe. So hatte es die Nato beschlossen, allerdings bereits 2014. Im Juni dürfte der Nato-Gipfel in Den Haag ein neues Ziel formulieren. Die Zahl 3,5 Prozent hatte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) bereits im Wahlkampf genannt.
Größter Unterschied bei der Wehrpflicht
Der krasseste Unterschied zwischen Union und SPD besteht bei der Frage der Wehrpflicht, die im Jahr 2011 ausgesetzt worden war. „Die massive Bedrohungslage gebietet eine glaubwürdige Abschreckung […] Deswegen wird die Aussetzung der Wehrpflicht beendet“, verlangt die Union.
Die Aussetzung der Wehrpflicht könnte im Bundestag mit einfacher Mehrheit rückgängig gemacht werden. Sie würde aber nur für Männer gelten. Im Grundgesetz heißt es: „Männer können vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden.“
„Der neue Wehrdienst soll auf Freiwilligkeit beruhen“, schlägt die SPD vor. Sie will „eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Einführung eines neuen attraktiven Dienstes für alle Bürgerinnen und Bürger“.
Konflikt um das Entwicklungsministerium
Die Union will das bisherige Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) in das AA integrieren. Das ermögliche Synergieeffekte und Einsparungen. Die SPD will hingegen nur eine „bessere Zusammenarbeit“ von AA, BMZ und Verteidigungsministerium.
Die Sozialdemokraten stellen derzeit Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze. Sie sagte kürzlich, sie wolle „sehr, sehr gerne“ Ministerin bleiben. Auch hier spielt also Machtpolitik in die Sachpolitik.
Während die Union die Selbstverpflichtung für Ausgaben zur Entwicklungshilfe senken will, setzt die SPD auf ihre bisherige Haltung. Sie will die öffentlichen Mittel für Entwicklungsleistungen („Official Development Assistance“, ODA) auf „mindestens 0,7 Prozent“ des Bruttonationaleinkommens festschreiben.
Deutschland gab 2023 35,05 Milliarden Euro für Entwicklungsleistungen aus, das entspricht einer ODA-Quote von 0,82 Prozent. In der EU geben nur Dänemark und Schweden mehr für diesen Bereich aus; EU-weit liegt die Quote bei nur 0,57 Prozent.
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