zum Hauptinhalt
05.11.2022, Berlin: Saskia Esken, SPD-Bundesvorsitzende, spricht bei der Eröffnung vom SPD-Debattenkonvent. Themen des Debattenkonvents sind u.a. die Digitalisierung, der Kampf gegen den Klimawandel und die Zeitenwende in der internationalen Ordnung. Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa / Christophe Gateau

SPD-Chefin über Bürgergeld und Hartz IV: „Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, heute fehlen überall Fachkräfte“

Saskia Esken erwartet, dass die Reform der Ampelkoalition zum Jahreswechsel in Kraft treten kann. Und lobt den Führungsstil des Kanzlers in der Außenpolitik

Von Hans Monath

Die Union hat das Bürgergeld im Bundesrat gestoppt, das im Januar starten sollte. Kommt noch rechtzeitig ein Kompromiss zustande?
Ich bin sehr zuversichtlich und wir sind es den Menschen schuldig, dass das Bürgergeld am 1. Januar starten kann. Die SPD ist gesprächsbereit und deshalb bin ich optimistisch: Es wird im Vermittlungsausschuss einen guten Kompromiss geben.

Wo sind denn Ihre roten Linien, was geben Sie keinesfalls auf beim Bürgergeld?
Wichtig ist, dass wir eine Veränderung der Kultur im Umgang mit erwerbslosen Menschen erzielen wollen. Hartz IV ist 17 Jahre alt und der Arbeitsmarkt hat sich in diesen 17 Jahren verändert. Damals hatten wir fünf Millionen Arbeitslose, heute fehlen überall Fachkräfte. Der Sozialstaat muss erwerbslosen Menschen auf Augenhöhe und mit Respekt gegenübertreten und ihre Qualifikation und nachhaltige Vermittlung in den Fokus nehmen. Das haben wir gemeinsam in der Ampel beschlossen, und das wollen wir auch umsetzen.

Die Union wirft der Ampel vor, sie alimentiere Langzeitarbeitslose und verabschiede sich vom Prinzip Fördern und Fordern. Warum stimmt das nicht?
Ich sage Ihnen, warum das nicht stimmt: Wir fördern und fordern auch weiterhin, aber es ist für uns wesentlich, dass das auch nachhaltig wirkt. Bisher ist es doch so, dass die Vermittlung immer Vorrang hat vor der Weiterbildung. Die Folge ist, dass viele ihren Job schnell wieder verlieren, entweder, weil dieser befristet war oder, weil die Menschen gar nicht stabil genug sind, ihren Lebensunterhalt alleine zu verdienen. Das führt zum Drehtüreffekt, sie melden sich nach kurzer Zeit wieder beim Jobcenter. Das werden wir ändern.

Forderte eine militärische Führungsrolle Deutschlands und erfreut damit nicht alle Parteifreunde in der SPD: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).
Forderte eine militärische Führungsrolle Deutschlands und erfreut damit nicht alle Parteifreunde in der SPD: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD).

© dpa / Michael Kappeler

Konkret möchte die Union die Höhe des Schonvermögen niedriger ansetzen und das wiederherstellen, was Markus Söder „Leistungsprinzip“ nennt, also einen deutlichen Abstand zwischen den Leistungen für einen Arbeitslosen und dem Einkommen aus Arbeit.
Das wundert mich, da die Union im Bundesrat am Montag erklärt hat, sie stimme der Höhe der Regelsätze zu. Die Behauptung eines Instituts, wonach man mit der Grundsicherung mehr Geld zur Verfügung habe, als wenn man arbeitet, ist längst widerlegt.

Diese Berechnung hat sowohl aufstockende als auch ergänzende Sozialleistungen nicht einbezogen, die Geringverdiener aber in Anspruch nehmen können. Und auch das Schonvermögen hatten wir doch in der Groko gemeinsam mit der Union beschlossen, weil alle der Meinung waren, wenn jemand unverschuldet in Not gerät, soll der nicht als Erstes seine Altersvorsorge opfern müssen. In der Corona-Pandemie waren ja auch viele kleine Selbstständige plötzlich auf die Grundsicherung angewiesen.

Können Sie sich auf die FDP verlassen? Christian Lindner erklärte, er lasse mit sich über alles verhandeln, während Sie gerade die Grundprinzipien des Bürgergelds für unantastbar erklärt haben.
Wir können uns aus guten Gründen auf die FDP verlassen. Auch Christian Lindner und die Liberalen sind in diesen Fragen prinzipientreu. Wir haben das gemeinsam verhandelt und das im Koalitionsvertrag beschlossen. Wir sind bereit, über Details zu verhandeln, die Grundprinzipien müssen erhalten werden.

Ihr Ko-Parteichef Lars Klingbeil treibt die Erneuerung des außenpolitischen Programms der SPD voran. Er forderte ein neues, positives Verhältnis Ihrer Partei zur Bundeswehr – gehen Sie da mit?
Die Erneuerung der Außenpolitik und die Arbeit der SPD an der Transformation der Gesellschaft treiben wir gemeinsam voran. Es ist doch ganz klar, dass wir uns nach der Zeitenwende in der Sicherheitspolitik, aber auch in der Geopolitik, der Außen- und Handelspolitik neu aufstellen müssen.

Wir haben erfahren müssen, wie schädlich die Abhängigkeit von russischer Energie war, und auch die Lieferkettenproblematik durch Corona hat uns verdeutlicht: Wir müssen Abhängigkeiten vermeiden, unsere Handelsbeziehungen diversifizieren. Die Welt ist im Umbruch zu einer multipolaren Ordnung, in der es auf die Bereitschaft ankommt, in verschiedenen Feldern mit verschiedenen Partnern auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.

In meinem Wahlkreis ist das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr stationiert, ich halte da seit Jahren engen Kontakt.

Saskia Esken, SPD-Vorsitzende

Und die Frage nach dem positiveren Verhältnis der SPD zur Bundeswehr?
Die SPD und die SPD-Bundestagsfraktion haben ein positives Verhältnis zur Bundeswehr, das zeigt sich in der hohen Zustimmung zu ihren Einsätzen, aber auch zur Stärkung des Verteidigungshaushalts, der in den vergangenen Jahren beständig aufwuchs. In meinem Wahlkreis ist das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr stationiert, ich halte da seit Jahren engen Kontakt.

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine haben wir verstanden, dass Deutschland in den vergangenen Jahren – übrigens unter einer stets unionsgeführten Regierung mit Verteidigungsministerinnen und –ministern der Union - die Landes- und Bündnisverteidigung gegenüber den Auslandseinsätzen vernachlässigt hatte. Das ändern wir jetzt.

Nicht allen in der SPD gefällt es, dass Lars Klingbeil Deutschland die Rolle einer Führungsmacht zuschreibt. Zum Beispiel gefällt das der Parlamentarischen Linken (PL) nicht, der Sie angehören. Wie ist Ihre Meinung zur Führungsmacht Deutschland?
Unser Bundeskanzler Olaf Scholz macht in seinen Reden immer wieder deutlich, dass er Deutschlands Rolle darin sieht, Akteure zusammenzuführen, um zusammen zu führen. Er hat ja beim G20-Gipfel wieder gezeigt, dass Deutschland nicht nur ein zuverlässiger Bündnispartner ist, sondern in einer multilateralen Welt gemeinsam mit anderen Staaten etwa auch die Interessen der Schwellenländer ernst nimmt und sich darüber mit ihnen austauscht. Es geht ihm nicht um neue Blöcke oder Führungsstrukturen. Der Kanzler pflegt einen kollaborativen Führungsstil. Und das finde ich gut.

Ihre Parteikollegin Christine Lambrecht, die Verteidigungsministerin, forderte auch eine militärische Führungsrolle Deutschlands. Hat Sie Ihre Unterstützung?
50 Jahre nach der „Willy-Wahl“ haben wir mit Olaf Scholz auch heute wieder einen Bundeskanzler, der den richtigen Weg in einer multilateralen Zusammenarbeit auf Augenhöhe sieht. Deutschland hat in diesen unterschiedlichen Partnerschaften durch seine wirtschaftliche ebenso wie durch seine gesellschaftliche Kraft eine starke Rolle, die man nicht immer wieder betonen, sondern die man vor allem ausfüllen muss. Unser Bundeskanzler tut das in beeindruckender Weise: in bilateralen Partnerschaften, in der EU, in der Nato, bei den G7, bei den G20 und auch in der Uno.

Seinen Führungsstil lobt Saskia Esken: Kanzler Olaf Scholz in Bali im Kreis von wichtigen Politikerinnen und Politikern aus den G7-Staaten.
Seinen Führungsstil lobt Saskia Esken: Kanzler Olaf Scholz in Bali im Kreis von wichtigen Politikerinnen und Politikern aus den G7-Staaten.

© REUTERS / BPA

Das heißt, die Verteidigungsministerin muss ihren Kampf für eine militärische Führungsrolle Deutschlands ohne die Parteichefin der SPD führen?
Eine Führungsrolle erhält man nicht dadurch, dass man darüber spricht, sondern indem man sie ausfüllt.

Zur Startseite