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Die AfD hat im Netz eine große Reichweite - die Coronakrise machte ihr aber Probleme.

© imago/xJaninexSchmitz/photothek

„Spitzenverdiener in der Aufmerksamkeitsökonomie“: So sind die Parteien für den Social-Media-Wahlkampf gerüstet

Wegen der Pandemie werden soziale Medien im Wahlkampf eine größere Rolle spielen als je zuvor. Gut vorbereitet sieht ein Experte vor allem AfD und Grüne.

Großveranstaltungen, Infostände auf der Straße, Haustürgespräche – all das gehört zu einem normalen Wahlkampf selbstverständlich dazu. Doch der Bundestagswahlkampf 2021 wird keiner wie jeder andere.

Experten glauben: Im Wahlkampf 2021 werden soziale Medien eine größere Rolle spielen als jemals zuvor. „Es gibt schon länger den Trend, dass digitale Instrumente integraler Bestandteil der Wahlkampfkommunikation sind“, sagt der Berliner Politikberater Johannes Hillje. „Durch Corona wird das beschleunigt und verstärkt, weil manche analogen Formate gestrichen werden müssen.“ Das bedeutet auch: Der Social-Media-Wahlkampf wird noch stärker zum Erfolgsfaktor.

Wie gut sind die Parteien darauf vorbereitet? Hillje hat sich angeschaut, wie sie sich deren Zahlen – also etwa Reichweite oder Abonnenten – seit der vergangenen Bundestagswahl entwickelt haben. Dem Tagesspiegel liegen die Daten vor. Hilljes Bewertung: AfD und Grüne seien auf den Social-Media-Plattformen für das Superwahljahr am besten gerüstet.

Generell, sagt Hillje, sei es für Parteien schwieriger geworden, beispielsweise auf Facebook ihre Anhänger zu erreichen. Der Algorithmus des Netzwerkes bevorzuge mittlerweile Posts von Privatpersonen, weil er davon ausgeht, dass für die Nutzer Beiträge ihrer „Freunde“ interessanter sind.

„Die Parteien werden gezwungen Geld in die Bewerbung ihrer Beiträge zu investieren“, erklärt er. Gleichzeitig sei es wichtig für die Parteien, eine aktive Anhängerschaft in den sozialen Medien zu haben. Kommentieren, teilen, „Gefällt mir“ klicken: Solche „Interaktionen“ sorgen nicht nur maßgeblich für die Reichweite in den sozialen Medien, sie zeigen auch, dass sich die Nutzer mit einem Inhalt auseinandergesetzt haben.

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„Die AfD hat seit der letzten Bundestagswahl auf Facebook ihre Führungsposition nicht nur verteidigt, sondern weiter ausgebaut“, sagt Hillje. Sie sei immer noch „Spitzenverdiener in der Aufmerksamkeitsökonomie“, auch wenn sie in der Coronakrise Probleme gehabt habe. Im Zeitraum von der letzten Bundestagswahl bis Ende 2020 hat die radikal rechte Partei knapp 30 Millionen Interaktionen auf Facebook erzielt – die in diesem Ranking zweitplatzierte CSU kam auf 4,2 Millionen. Hillje erklärt den Erfolg der AfD damit, dass ihre polarisierenden Beispiele von den Algorithmen noch immer bevorzugt werden – eben, weil sie viele Reaktionen hervorrufen.

Jede Plattform hat ihre eigene Funktion

Auch beobachtet Hillje, dass mit Ausnahme der AfD alle Parteien die Videoplattform Youtube vernachlässigen. „Das ist ein großer Fehler. Youtube ist eines der populärsten Netzwerke in Deutschland, vor allem bei jungen Menschen“, sagt er. Bei der AfD sehe man, dass diese dort enorm investiere. Gleichzeitig habe sie eine große Nutzerschaft mit einer hohen Nutzungsdauer. „Andere Parteien nutzen Youtube eher als Ablage für Videos, haben aber kaum eine plattformspezifische Strategie für den Aufbau einer Community.“

Den Grünen ist es seit der vergangenen Wahl aber gelungen, die Zahl ihrer Follower bei Instagram und Twitter stark auszubauen – was für die Ökopartei durchaus Sinn ergibt. „Im Wahlkampf hat jede Plattform eine spezifische Funktion“, sagt Hillje. Während Twitter vor allem dazu dienen könne, den medialen Diskurs zu beeinflussen, weil sich hier die Meinungsführer tummeln, sei die Bilderplattform Instagram bei jüngeren Wählern viel beliebter als etwa Facebook. „Hier erreichen die Grünen also ihre Zielgruppe“, sagt Hillje. Bei Instagram hat die Partei ihre Anhängerschaft seit der Bundestagswahl um mehr als 500 Prozent gesteigert.

Die FDP hält der Politikberater in Bezug auf technische Fähigkeiten und Handwerkszeug für gut aufgestellt. „Allerdings ist Social-Media-Kommunikation zwangsläufig stark personalisiert. Wenn das Personal nicht mehr zieht, hat die Partei auch im Netz ein Problem.“ Seit 2017 ist die Zahl der FDP-Fans auf Facebook kaum noch gewachsen.

Nachholbedarf bei der Reichweite

Bei der SPD sieht Hillje zwar, was die Reichweite betrifft, Aufholbedarf. Sie kam im Beobachtungszeitraum bei Facebook auch nur auf 1,6 Millionen Interaktionen. Die SPD sei aber durchaus experimentierfreudig, sagt Hillje.

So hat sie zum Beispiel schon 2019 beim Messengerdienst Telegram einen Kanal aufgebaut. „Der bringt zwar nicht viel Reichweite, bietet aber die Möglichkeit, zu engagierten Unterstützern eine enge kommunikative Beziehung zu pflegen“, sagt Hillje. Später könne diese Kerncommunity zu Botschaftern auf reichweitenstarken Plattformen werden.

Richtig sei auch, dass die SPD einer politischen Influencerin wie Lilly Blaudszun gewissermaßen eine Sprecherfunktion auf Social Media anvertraut habe, meint Hillje.  „Da orientiert sich die SPD viel mehr an den Gesetzmäßigkeiten von Social Media, als die CDU, der noch nicht gelungen ist, Influencer dauerhaft einzubinden oder aufzubauen.“

CDU und Linke hätten noch Nachholbedarf. „Bei der CDU hat die Produktion von Inhalten exklusiv für die sozialen Medien deutlich zugenommen“, meint Hillje. Die CDU sei allerdings sehr stark um Kontrolle und das eigene Image bemüht – das vertrage sich nicht immer mit der dynamischen und begrenzt kontrollierbaren Kommunikationskultur von Social Media. Die Strategie der CDU sei auch stark darauf ausgelegt, selbst zum Medium zu werden. „Doch die Kontrolle über die eigenen Bilder zu haben, bedeutet nicht automatisch Diskurshoheit zu erlangen“, betont Hillje.

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