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Innenministerin Nancy Faeser setzt darauf, dass die geplante Reform des EU-Asylsystems am Donnerstag vorankommt.

© imago/photothek/Florian Gaertner

Update

Treffen der EU-Innenminister: Das steht für Faeser in Luxemburg auf dem Spiel

Am Donnerstag beraten die EU-Innenminister über eine Reform des EU-Asylsystems. Doch ob es zu einer Einigung kommt, ist ungewiss.

Nancy Faeser hat große Erwartungen geweckt. Vor einigen Wochen sprach die Innenministerin davon, dass es ein „historisches Momentum“ für die EU-Flüchtlingspolitik gebe.  Am kommenden Donnerstag kommt es nun möglicherweise in Luxemburg zum Schwur: Beim EU-Innenministerrat wollen Faeser und ihre europäischen Amtskollegen versuchen, einen Durchbruch zur Reform des EU-Asylsystems zu unternehmen.  Wenn dies gelänge, wäre das in der Tat historisch – denn die EU müht sich seit Jahren ergebnislos mit dem Projekt.

Worum geht es bei der Reform des EU-Asylsystems?

Die EU will den Asylanspruch von Migranten künftig an den europäischen Außengrenzen überprüfen. Im Mittelpunkt des EU-Innenministertreffens stehen so genannte verpflichtende Grenzverfahren. Schon im Jahr 2020 hatte sich die EU-Kommission dafür ausgesprochen. Die Bundesregierung unterstützt derartige Verfahren mittlerweile im Grundsatz, um eine EU-Lösung nicht zu verbauen.

Nach den vorliegenden Plänen soll es für sämtliche Migranten an den EU-Außengrenzen Vorprüfungen für Asylverfahren geben. Wer allerdings über einen sicheren Drittstaat in die EU eingereist ist, muss mit einem Scheitern des Asylverfahrens und einer Abschiebung rechnen. Die Frage, welche Länder auf die Liste der sicheren Drittstaaten gehören, soll möglichst einheitlich für die gesamte EU festgelegt werden. Denkbar ist aber auch, dass jedes Mitgliedsland für sich definiert, welche Länder zu den sicheren Drittstaaten gehören.

Als kniffligstes Problem gilt bei der Reform des EU-Asylsystems weiterhin die Verteilung von Flüchtlingen in der Gemeinschaft. Italien pocht gemeinsam mit den übrigen Mittelmeer-Anrainern darauf, dass andere Staaten mehr Solidarität bei der Flüchtlingsaufnahme zeigen. Länder wie Polen und Ungarn lehnen aber starre Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen ab. Aus Polen und Ungarn gab es den größten Widerstand gegen die zuletzt auf dem Tisch liegende Lösung, hieß es am Mittwoch aus EU-Diplomatenkreisen. Inzwischen wird eine weitere Option diskutiert. Demnach sollen Länder sich gewissermaßen von der Aufnahme von Flüchtlingen freikaufen können. Im Gespräch ist eine Summe von rund 20.000 Euro, die dann pro Flüchtling fällig werden soll.  

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Wie weit gehend kann die Wirkung der Reform sein?

Nach der Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl würde eine Verabschiedung der EU-Asylrechtsreform dazu führen, dass die Zahl der illegalen Pushbacks – also von rechtswidrigen Abschiebungen – zunehmen wird. Pro Asyl begründet dies damit, dass die Verantwortung für die ankommenden Schutzsuchenden auch nach der Reform bei den EU-Grenzstaaten – beispielsweise Griechenland – bleiben werde.

Menschenrechtsorganisationen beklagen zudem, dass die Regelungen faktisch zu Internierungslagern an den EU-Außengrenzen führen würden, in denen der Asylanspruch geprüft wird. Nach der Lesart von Aufnahmeländern wie Italien müssen die fraglichen Einrichtungen aber nicht zwangsläufig direkt an den EU-Außengrenzen liegen. Denkbar ist auch, dass Staaten wie Italien auf bereits bestehende Einrichtungen zurückgreifen. Für die Prüfung ihres Asylanspruchs sind die Migranten allerdings während der Grenzverfahren an den jeweiligen Ort gebunden, wo die „Grenzverfahrenseinrichtung“ liegt.

Welche Rolle spielt Innenministerin Faeser?

Die Innenministerin tritt im Oktober als SPD-Spitzenkandidatin bei den Landtagswahlen in Hessen an. Wenn sie vorher auf europäischer Ebene möglicherweise wesentlich zu einem Kompromiss in der Asylpolitik beiträgt, würde das für Faeser auch Rückenwind bei der Wahl bedeuten. Denn eine striktere Kontrolle von Migranten an den EU-Außengrenzen könnte mittelfristig dazu beitragen, die Zahlen der Asylbewerber in Deutschland zu senken. Dies wäre im Sinne vieler Kommunen, die bei den Unterbringungsmöglichkeiten ans Limit geraten.

20.000
Euro müssen Staaten nach gegenwärtigem Verhandlungsstand pro Flüchtling zahlen, wenn sie keine Migranten übernehmen wollen

Gebrauchen könnte Faeser einen Erfolg auf EU-Ebene – schließlich liegt die SPD in Hessen in Umfragen mehr als zehn Prozentpunkte hinter der regierenden CDU. Allerdings liegt es letztlich nicht in der Hand der Innenministerin, ob sich die 27 EU-Staaten zeitnah auf die EU-Asylreform einigen. Es hängt eher vom Verhandlungsgeschick des gegenwärtigen schwedischen EU-Vorsitzes ab, ob in diesem Monat ein Durchbruch gelingt. Falls es bis Ende Juni keine Lösung geben sollte, läge die Verantwortung in erster Linie bei Spanien, das im kommenden Halbjahr die EU-Präsidentschaft übernimmt.

Faeser hat bereits versucht, innerhalb der EU eine Art „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Im März lud die Innenministerin ihre Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Italien, Schweden, Spanien und Belgien nach Berlin ein, um im kleinen Kreis Lösungsmöglichkeiten zu sondieren. Gleichzeitig machte sie deutlich, dass die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen des Schengen-Raums drohe, falls keine Einigung zur Kontrolle an den Außengrenzen gelinge.

Wie geeint steht die Bundesregierung im Vorfeld des Treffens?

Die Grünen stehen den Grenzverfahren kritisch gegenüber. Aber es geht auch ein Riss durch die Partei. Während Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck im Grundsatz für europäische Kompromisslösung plädieren, prangern einige Landesverbände, etwa in Bremen, „Grenzverfahren unter Haftbedingungen“ an.

Rund 730 Grünen-Mitglieder schicken einen Brief an führende Politiker der Partei, in dem sie einen Kurs der „Abschreckung und Abschottung“ und Pläne zu einer „massiven Beschneidung des Asylrechts“ beklagen.

Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck unterstützen die EU-Grenzverfahren im Grundsatz.
Außenministerin Baerbock und Wirtschaftsminister Habeck unterstützen die EU-Grenzverfahren im Grundsatz.

© dpa/Michael Kappeler

Die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina, der frühere Botschafter Deutschlands in Pakistan, Martin Kobler, und Grüne-Jugend-Co-Chef Timon Dzienus gehören zu den Unterzeichnern des Schreibens, das sich neben den grünen Bundesministern auch die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie die Grünen-Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Katharina Dröge und Britta Haßelmann, richtet.

Auch bei der Kanzlerpartei SPD fordern Teile der Basis, dass die Bundesregierung ihren Kurs bei der EU-Asylpolitik ändern solle. Die Juso-Vorsitzende Jessica Rosenthal sagte am Mittwoch im Deutschlandfunk, dass Außenlager an den EU-Außengrenzen zu haftähnlichen Bedingungen und Menschenrechtsverletzungen führen würden. Zudem appellierte Aziz Bozkurt, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migration und Vielfalt in der SPD, den Koalitionsvertrag umzusetzen, der „einen gesellschaftspolitischen Aufbruch und eine humanitäre Asylpolitik“ versprochen habe.

„Die Bundesregierung muss Abstand nehmen von populistischen Vorgehen und Narrativen, die die Aufnahme von Geflüchteten verweigert“, hieß es in dem Schreiben Bozkurts an die Partei- und Fraktionsspitze. Darüber hinaus müsse sich die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den EU-Partnern für den Einsatz und Ausbau der Seenotrettung mit ärztlicher Versorgung einsetzen. „Das Sterben der flüchtenden Menschen auf dem Mittelmeer muss ein für alle Mal enden“, hieß es.

Ungeachtet der parteiinternen Diskussion bei den Grünen und der SPD geht die Bundesregierung mit der Position in die Luxemburger Verhandlungen, dass Familien mit Minderjährigen unter 18 Jahren von den Grenzverfahren ausgenommen werden sollen. Deutschland befindet sich dabei in einer Minderheitenposition. Die meisten Mitgliedstaaten wollen nach gegenwärtigem Stand noch nicht einmal Ausnahmen von den Grenzverfahren für Familien mit Kindern unter zwölf Jahren.

Wie stehen überhaupt die Chancen auf einen Durchbruch am Donnerstag?

Am Ende wird entscheidend sein, ob sich genügend Mitgliedstaaten für einen Mehrheitsbeschluss zusammenfinden. Dass es zu einer einstimmigen Entscheidung kommt, ist nicht wahrscheinlich. Ein möglicher Durchbruch dürfte vor allem davon abhängen, ob Italien der geplanten Reform zustimmt.

Aus EU-Diplomatenkreisen hieß es am Mittwoch, dass rund zehn Staaten dem letzten vorliegenden Einigungsentwurf noch nicht zustimmen könnten. Dabei gehe es zum Teil nur um Details, hieß es weiter. Viele Länder hätten beispielsweise Probleme angesichts der Praxistauglichkeit der Regelung für sichere Drittstaaten: Damit ein Flüchtling in einen sicheren Drittstaat abgeschoben werden kann, muss er eine hinreichende Verbindung zu diesem Staat aufweisen. In vielen Ländern wird aber die Frage aufgeworfen, wie dies zu definieren sei.

Falls es am Donnerstag nicht zu einer Einigung kommen sollte, könnte die schwedische EU-Ratspräsidentschaft vor dem Ablaufen ihres Mandates Ende des Monates ein weiteres Sondertreffen der EU-Innenminister anberaumen – immer vorausgesetzt, dass dann eine Lösungsmöglichkeit realistischer erscheint.

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