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Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck

© Reuters / Leonhard Foeger/Reuters

Update

Umstrittene AKW-Pläne: Habeck und die Grünen stecken in der Klemme

Der Druck wächst massiv auf die Grünen, plant Habeck die Atomlaufzeitverlängerung? Parteichefin Lang zieht eine rote Linie. Die FDP nennt 2024 als Ziel.

Nein, nein, nein, nein, nein. Nein, nein, nein, nein, nein. Zehn Mal Nein. Und es folgen noch weitere. Wenn es in der Rückschau mal um eine historische Kehrtwende der Anti-Atom-Partei Die Grünen im Sommer 2022 gehen sollte, gehört der Ausschnitt aus einem Interview des ZDF-heute-journal mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann als Zeitzeugnis dazu.

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Moderator Christian Sievers hatte ihn so verstanden, dass die Grünen trotz der Gaskrise längere Laufzeiten über Ende 2022 hinaus weiter ablehnen. Daraufhin folgte Kretschmanns Nein-Stakkato.

„Das habe ich nicht behauptet.“ Weder die Grünen noch eine andere demokratische Partei, nur die AfD, wollten zwar zurück zur Atomkraft, aber es gehe halt jetzt um den Umgang mit einer Sondersituation.

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Die Lage hat sich auch für Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) grundsätzlich geändert. Als er im März nach einer ersten Prüfung verkünden ließ, es gehe auch ohne Atomkraft im kommenden Winter, war die Lage noch eine andere.

Durch die Ostseepipeline Nord Stream 1 floss verlässlich Gas, trotz des von Wladimir Putin befohlenen Überfalls auf die Ukraine und der westlichen Sanktionen gegen Moskau. Deutschland wird nun Opfer der eigenen Energiepolitik, des Kettens an russische Lieferungen.

Habeck spricht von möglichem „Sonderszenario“

Am Dienstagabend betonte Habeck, dass er einen Weiterbetrieb über das Jahresende hinaus unter bestimmten Voraussetzungen nicht ausschließen will. Beim sogenannten Stresstest könne sich ein "Sonderszenario" ergeben, sagte Habeck in der Sendung "RTL Aktuell". "Die Frage, die relevant gestellt werden muss, ist, ob die Stromnetzstabilität in diesem Jahr durch weitere Maßnahmen gesichert werden muss."

Um ausreichende Rückspannung im Netz zu sichern, sei eine gewisse Kraftwerkskapazität nötig. "Und jetzt schauen wir uns an, ob dieses Jahr so extrem ist, dass dafür noch mal neu ein Szenario aufgemacht werden soll", sagte Habeck.

Block 2 des Kernkraftwerks Neckarwestheim, der eigentliche Ende 2022 vom Netz gehen soll.
Block 2 des Kernkraftwerks Neckarwestheim, der eigentliche Ende 2022 vom Netz gehen soll.

© Marijan Murat/dpa

Der baden-württembergische Finanzminister Danyal Bayaz findet es unwürdig, wie man jetzt angstvoll auf die von Gazprom angekündigten täglichen Lieferungen blickt, nur noch 20 Prozent der üblichen Menge werden durch Nord Stream 1 geliefert. „Das öffentliche Lamentieren über reduzierte Mengen hat etwas Demütigendes. Putin hat uns genau da, wo er uns will. Es ist tragisch“, kritisiert Bayaz.

Damit dieser Zustand nicht zum Zusammenbruch ganzer Wertschöpfungsketten, kalten Wohnungen und unbezahlbaren Energierechnungen führt, damit wirklich möglichst viele Kubikmeter Gas nur für den Wärmebereich und die Industrie genutzt werden können, bereiten führende Grüne seit Tagen eine Wende vor, ein längeres Laufenlassen der verbliebenen Atomkraftwerke. Die Hoffnung ist, dass so ein für die Partei äußerst schweres Signal auch die Bürger selbst zu mehr Energieeinsparungen, bis hin zu kürzeren Duschzeiten animiert.

In Frankreich stehen 30 AKW still

Einen mitentscheidenden Anstoß hat die Lage in Frankreich gegeben, denn neben der Gaskrise ist auch eine Stromkrise im Anmarsch, die durch die Gasengpässe verschärft wird. 30 der 56 Atommeiler sind dort, unter anderem wegen Kühlwasserproblemen, außer Betrieb. Um entsprechend mit Strom auszuhelfen, wird in Deutschland aktuell viel Gas verstromt, dadurch können aber die Speicher für den Winter nur unzureichend gefüllt werden.

Als Zeichen der europäischen Solidarität, um Stromlücken zu vermeiden. Daher machen die europäischen Partner massiv Druck, dass Deutschland, die letzten drei Meiler Isar 2 (Bayern/Eon), Neckarwestheim 2 (Baden-Württemberg/EnBW) und Emsland (Niedersachsen/RWE) länger am Netz lässt.

Einige Grüne haben einen sogenannten Streckbetrieb ins Spiel gebracht, lediglich einige Monate länger, um noch nicht abgebrannte Brennelemente weiter zu nutzen. Eine echte Laufzeitverlängerung wäre es aber, wenn man auch beschließt, dass neue Brennelemente von den Betreibern gekauft werden dürften.

Bereitet Habeck schon die Laufzeitverlängerung vor?

In Grünen-Kreisen wird inzwischen davon ausgegangen, dass im Bundeswirtschaftsministerium der Atomausstieg nicht mehr heilig ist und darauf hingearbeitet werden könnte, das Paket aufzuschnüren und womöglich sogar eine "echte" Laufzeitverlängerung zu erreichen - aber Grünen-Chefin Ricarda Lang lehnt das bisher klar ab. Und Habecks Umfeld dementiert solche Angaben deutlich. "Das ist Unsinn und stimmt nicht."

Doch der Druck wächst täglich. Letztlich könnte die Atomkraft wieder als eine Brückentechnologie ins Spiel kommen, das könnte mithelfen, die nächsten Winter bis zur vollständigen Unabhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen ohne größere Verwerfungen zu überbrücken.

Christian Dürr, FDP-Fraktionschef warnt vor einer schweren Energiekrise in ganz Europa.
Christian Dürr, FDP-Fraktionschef warnt vor einer schweren Energiekrise in ganz Europa.

© Michel Kappeler/dpa

Die Grünen-Chefin erteilt neuen Brennstäben eine Absage

Doch Grünen-Chefin Lang tritt auf die Bremse - und zieht auch für Habeck eine rote Linie ein. „Wir haben immer gesagt, wir prüfen dauerhaft, was notwendig ist, anhand der Faktenlage. Aber Fakt ist, dass wir eine Gasmangellage haben und Atomkraftwerke da so gut wie nicht helfen“, sagte Lang dem Tagesspiegel. Und sie stellt sich klar gegen eine "echte" Laufzeitverlängerung. "Eine Laufzeitverlängerung, sprich die Beschaffung neuer Brennstäbe, wird es mit uns nicht geben."

Einen sogenannten Streckbetrieb, wo noch nutzbare Brennelemente über das eigentliche Laufzeitende im Dezember 2022 hinaus genutzt werden können, schließt auch Lang dagegen nicht aus. „Wir machen jetzt nochmal den Stresstest beim Strom. Natürlich schauen wir uns die Ergebnisse an, aber Stand jetzt spricht nichts dafür.“

Die FDP will eine Laufzeitverlängerung bis 2024

Eine Tagesspiegel-Anfrage zu diesen in der Partei kursierenden Informationen blieb zunächst unbeantwortet. Der Ampel-Koalitionspartner FDP macht bereits Druck für eine baldige Änderung des Atomgesetzes. Der Energiepolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kruse, betont gegenüber dem Tagesspiegel: „Die deutschen Kernkraftwerke können in ihrer Laufzeit bis Frühjahr 2024 verlängert werden. So können sie einen Beitrag leisten, damit Europa in den nächsten beiden Wintern nicht in eine Energieknappheit gerät.“

Forderung nach Atomgipfel im Kanzleramt

Wie maximale Sicherheit gewährleistet werden könne und ob in Einzelfällen dafür auch kurzfristig neue Brennelemente benötigt werden, solle die Bundesregierung in einem Kernenergiegipfel mit den Betreibern und Branchenverbänden klären, schlägt Kruse vor.

FDP-Fraktionschef Christian Dürr appelliert mit Blick auf Frankreich an das Solidaritätsgefühl der Grünen, die sich als Europapartei sehen. „Wir erwarten für den Winter europäische Solidarität. Deshalb ist es richtig, dass auch Deutschland Solidarität zeigt. Wir müssen daher alles, was zur Stromproduktion beitragen kann, auch nutzen. Kernkraftwerke gehören dazu“, sagte Dürr der Bild-Zeitung.

Ökonomen-Kritik an Habeck: Es brauch finanzielle Anreize zum Gassparen

Habeck, der diesen Mittwoch in Vertretung des urlaubenden Kanzlers Olaf Scholz (SPD) erstmals die Kabinettssitzung leiten darf, steht auch von anderer Seite unter Druck derzeit. Führende Ökonomen kritisieren, dass Habeck nur auf ein Einsparappelle setze, statt auf mehr finanzielle Anreize.

„Die Ökonomie zeigt klar: Appelle bringen fast nichts“, sagte Klaus Schmidt, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats beim Wirtschaftsministerium, dem Handelsblatt. Mit seinen 37 Kolleginnen und Kollegen hab er sich in einem Brief an Minister Habeck gewandt. „Die Ignoranz gegenüber Preissignalen rächt sich schon jetzt", kritisierte auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.

DIW-Forscherin Claudia Kemfert kritisiert Versäumnisse beim Einsparen von Energie.
DIW-Forscherin Claudia Kemfert kritisiert Versäumnisse beim Einsparen von Energie.

© imago images/Metodi Popow

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte im April aufgezeigt, wie viel Gas eingespart werden kann, wenn direkt gehandelt worden wäre. Im besten Fall hätte der Erdgasverbrauch um fast 33 Prozent gegenüber 2021 sinken können. Tatsächlich sparte Deutschland in den ersten sechs Monaten des Jahres bloß 16 Prozent ein.

Das lässt sich jetzt vielleicht noch etwas steigern, doch so wie zunächst eine AKW-Verlängerung kategorisch ausgeschlossen wurde, um nun nochmal einen Stresstest zu machen, passierte auch beim Energiesparen über Monate zu wenig - das lässt die Aussichten verdüstern. DIW-Projektleiterin Claudia Kemfert sagte dazu dem Handelsblatt: „Viel besser als in unserem schlechtesten Szenario kann es schon gar nicht mehr werden.“

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