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Die Aktivistin von Kleiner Fünf, Paulina Fröhlich, macht einen „Wahlantrag.“

© Georg Ismar

Unter fünf Prozent halten: Junge Aktivisten kämpfen gegen AfD

Die Europawahl ist für die Aktivisten eine Zwischenetappe. Dazu wollen sie Erstwähler motivieren, zur Wahl zu gehen.

Es ist kein leichtes Terrain, um auf die Knie zu fallen und einen Antrag zu machen. Dazu gehört schon etwas Mut. Pauline Fröhlich geht im Schatten des Fernsehturms auf dem Alexanderplatz auf einen 79 Jahre alten Mann zu, eine rot-gelbe Tulpe in der Hand, kniet nieder und fragt ihn: „Willst Du mit mir wählen gehen?“ Er sagt ja, sie streift ihm den Wahlring über. Klaus heißt er, sein Nachname tue nichts zur Sache. „Ihr Jungen werdet das noch alles ausbaden müssen“ sagt er.

Die neue Grenze mit Populisten und Nationalisten verlaufe von Polen über Ungarn und Österreich bis Italien quer durch Europa. Für ihn ist klar, er wird wählen gehen – und zwar nicht rechts. Er teilt durchaus das Beschwören einer Schicksalswahl. Andere Passanten winken dagegen ab, „Ich wähl eh die AFD.“

Ziel ist, die AfD unter fünf Prozent zu halten

Der Verein Kleiner Fünf trägt das Ziel schon im Namen, die AfD unter fünf Prozent zu halten. Was zunächst nach einem kräftezehrenden Einsatz am 24. September 2017 in einer herben Enttäuschung endete. Spontan versammelten sich Fröhlich und Co. abends am Bundestag, die AfD war mit 12,6 Prozent als drittstärkste Kraft in das Parlament eingezogen und Alexander Gauland versprach: „Wir werden sie jagen“.

Damals, in der Dunkelheit der Berliner Nacht, fassten sich die Aktivisten, die meisten in den Zwanzigern, an den Händen, das Versprechen lautete: es geht weiter. Mit einem alten Bus war Kleiner Fünf zuvor über die Dörfer getingelt, hatte auf den Markt- und Dorfplätzen Tische aufgebaut und für die Bewohner gekocht. Einfach um ins Gespräch zu kommen, zu verstehen, was die anderen Parteien falsch machen, warum einfache Parolen so viel Gehör und die Politiker so viel Zuspruch finden.

Zwischenetappe Europawahl

Die Zwischenetappe ist nun die Europawahl. „Wir haben 2017 zur Bundestagswahl erstmals die Kampagne mit den Wahlanträgen gemacht, um junge und Erstwähler zu motivieren, wählen zu gehen“, sagt Fröhlich. „Das machen wir jetzt auch europäisch und es heißt: Will you go vote with me?“ Die Angesprochenen sollen auch ihren Freunden im Ausland diesen Wahlantrag machen – Vernetzung ist das A und O, so wie es die rechte Szene auch macht.

„Wir sind auf dem Alexanderplatz, weil wir hier nicht in unserer Kreuzberger Blase sind und weil hier auch Touristen aus dem Ausland antreffen können, um dafür zu sorgen, das auch die Estinnen und Tschechinnen wählen gehen“, Über den Verein mit Paulina Fröhlich als Hauptprotagonistin hat es bereits bei 3sat eine interessante Langzeit-Doku gegeben, der Titel: „Egal gibt es nicht!“ Fröhlich war viel unterwegs, auf Demonstrationen der Identitären Bewegung, um die rechten Bewegungen zu verstehen.

Höflich gegen Rechtspopulismus

Der Chef des österreichischen Ablegers der Identitären, Martin Sellner, stand auch in Kontakt mit dem rechtsradikalen späteren Attentäter im neuseeländischen Christchurch, wie vor kurzem publik wurde. „Wenn du jemals nach Wien kommst, müssen wir auf einen Kaffee oder ein Bier gehen", schrieb Sellner unter anderem vor über einem Jahr an den späteren Attentäter.

Auf der Digitalkonferenz re;publica wurde zuletzt in mehreren Veranstaltungen anschaulich dargelegt, wie sich Rechtsgesinnte im Internet inszenieren, als Teil einer neuen Jugendbewegung, die Botschaften werden eher subtil unters Volk gemischt. Fröhlich und ihre Mitstreiter versuchen vor allem mit Sachargumenten den Rechtspopulismus zu bekämpfen. Sie rufen dazu auf „radikal höflich gegen Rechtspopulismus zu argumentieren.“

Tipps gegen rassistische Verallgemeinerung

In einem kleinen Büchlein geben sie konkrete Tipps, zum Beispiel gegen die rassistische Verallgemeinerung: Wenn jemand sagt: „Ich sehe das bei meinem Nachbarn jeden Tag: Flüchtlinge sind faul und wollen gar nicht arbeiten“, raten sie zu konkreten Nachfragen: Woher er wisse, ob er überhaupt eine Arbeitsgenehmigung habe, ob er mit ihm gesprochen habe, ob er selbst gerne stellvertretend mit einem Stereotyp für seine ganze Stadt stehen würde.

Ebenso geht es beim Auseinandersetzen mit dem „Brüsseler Sumpf“, der„Eurolüge“ oder dem „Bürokratiemonster Brüssel“ darum, Sachargumente dagegen zu setzen. Aber, und das ist vielleicht ein Hindernis beim Zugehen auf AfD-Anhänger, auch viele Kleiner Fünf-Aktivisten sind ist in einem politischen Spektrum zu verorten, Fröhlich etwa ist vor kurzem Mitglied bei den Grünen geworden.

Schlimm ist die Normalisierung

Sie arbeitet für die Denkfabrik „Das Progressive Zentrum“, im Rahmen der Dialogreise “Europa Hört” ging es auch hier bewusst raus der aus der Europafreundlichen Großstadt-Blase. Statt eigene Vorstellungen zu bewerben, wurde dabei den Bürgern in zehn strukturschwachen Regionen einfach mal zugehört.

Was sich besonders stark seit 2017 verändert hat aus ihrer Sicht? „Ganz, ganz klar die Normalisierung, das hat auch die Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung gezeigt.“ Es gehe ihr nicht um die Zunahme an Verschwörungstheorien, an rechten Einstellungen in der Gesellschaft oder um die Methodikdiskussionen bei der Studie. „Was für mich wirklich schlimm ist, ist die Normalisierung.“

Man gewöhnt sich an Grenzübertritte

Viel mehr Menschen als noch 2017 sähen die AfD als eine sogenannte normale Partei an. „Man gewöhnt sich an Schmerz, an Grenzübertritte, an Unter-die-Gürtellinie-Boxer, dieser Normalisierung wollen wir entgegenwirken.“ Konkret messbar ist Erfolg oder Misserfolg nicht – aber Kleiner Fünf hat schon einmal einen Blick in das Jahr 2021 geworfen.

Jubelnde Menschen, sind in einem Video zu sehen, Menschen, die berichten wie sie mit klarer Politik und Vertrauen in die Versprechen und Konzepte wieder in FDP, CDU, CSU, SPD, Linke und Grüne gefasst hätten. Fröhlich gibt in dem Video die TV-Ansagerin: „Heute, am 25. Oktober 2021 wurde die AfD mit 4,9 Prozent überraschend nicht in den 20. Deutschen Bundestag gewählt.“

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