
© dpa/Pool/Uwe Anspach
Karlsruhe urteilt zum Soli: Heute könnte die Merz-Regierung plötzlich ein Haushaltsloch von 68 Milliarden Euro haben
Ein Urteil aus Karlsruhe könnte am Mittwoch die Etatpläne der künftigen Koalition gehörig durcheinanderbringen – wie vor zwei Jahren im Streit um den Nachtragshaushalt.
Stand:
Während die Unterhändler einer künftigen Koalition aus Union und SPD nach Kompromissen suchen, verkündet am Mittwoch das Bundesverfassungsgericht sein Urteil zum Solidaritätszuschlag.
Wird den Verfassungsbeschwerden von mehreren FDP-Abgeordneten stattgegeben, kommen auf den Bund möglicherweise Rückzahlungen und ein Ausfall von Einnahmen in Milliardenhöhe zu.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Verfahren in Karlsruhe (Az.: 2 BvR 1505/20).
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Warum gibt es den Solidaritätszuschlag?
Der Zuschlag – kurz „Soli“ – ist eine sogenannte Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftssteuer nach Artikel 106 des Grundgesetzes (GG). Erhoben wird die Abgabe seit Anfang der neunziger Jahre, um die finanziellen Lasten der Wiedervereinigung zu schultern. Sie liegt derzeit bei einer Höhe von 5,5 Prozent zur Lohnsteuer oder veranlagten Einkommensteuer.
Wer zahlt den Soli?
Für rund 90 Prozent der Steuerzahler ist der Zuschlag seit 2021 durch eine Anhebung der Freibeträge entfallen. Fällig wird er damit nur noch bei Unternehmen und Gutverdienern. Für Singles liegt die Freigrenze seit Jahresbeginn bei 19.950 Euro, für Paare ist sie doppelt so hoch – nur wer mehr Einkommensteuer zahlt, muss den Soli weiterhin entrichten.
Allerdings auch nicht in voller Höhe: Wessen Steuerschuld sich auf maximal 33.760 Euro beläuft, bewegt sich in der sogenannten Milderungszone. Das trifft auf rund 6,5 Prozent der Steuerzahler zu. In diesem Bereich wächst der Soli mit dem Einkommen auf maximal 5,5 Prozent. Nur die absoluten Spitzenverdiener – nach der Definition sind das 3,5 Prozent der Steuerzahlenden – müssen den Soli weiterhin in voller Höhe entrichten.
Nach Angaben des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zahlten zuletzt noch rund sechs Millionen Menschen die Abgabe, hinzu kämen schätzungsweise 600.000 Kapitalgesellschaften. Die Wirtschaft trägt dabei laut IW mit 60 Prozent die Hauptlast des Soli. Die Summe der Einnahmen zwischen den Jahren 2020 und 2028 beläuft sich insgesamt auf rund 122 Milliarden Euro.
Wer klagt gegen den Soli?
Eine Gruppe von FDP-Abgeordneten hat Verfassungsbeschwerde erhoben, bevor die FDP im Herbst 2021 Teil der Ampelkoalition wurde. Es handelt sich um Florian Toncar, Katja Hessel, Katja Suding, Stephan Thomae, Alexander Graf Lambsdorff und Christian Dürr.
Toncar und Hessel waren in der Amtszeit von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) Parlamentarische Staatssekretäre im Ministerium, Dürr war der letzte FDP-Fraktionsvorsitzende vor dem Ausscheiden der FDP aus dem Parlament und möchte jetzt Parteichef werden.
Wie lauten die Argumente gegen den Zuschlag?
Die Beschwerdeführer kritisieren vor allem, dass der Soli noch abgeführt werden muss, obwohl es tatsächlich, mehr als drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer, längst keinen Sonderbedarf mehr für den Aufbau Ost geben soll. So sei der sogenannte Solidarpakt II zur Finanzierung der Wiedervereinigung bereits im Jahr 2019 ausgelaufen.
Dass sie den Soli als steuerpflichtige Bürgerinnen und Bürger immer noch zahlen müssten, verletze die FDP-Abgeordneten in ihrem Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 GG.
Zudem sei der Gleichheitssatz verletzt, da nur noch Gutverdienende den Soli zahlen müssten und Unterschiede in der Leistungsfähigkeit bereits durch die Progression bei der Einkommensteuer berücksichtigt würden.
Wie ist die Position der Bundesregierung?
Das Bundesfinanzministerium erklärt auf Anfrage, der „wiedervereinigungsbedingte Mehrbedarf“ des Bundes bestehe fort. Der Gleichheitssatz aus Artikel 3 GG sei nicht verletzt, weil eine soziale Staffelung im Rahmen einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zulässig sei. Zudem liege kein unverhältnismäßiger Eingriff in den Schutzbereich von Artikel 14 GG vor.
Welche Folgen hätte es, wenn den Klagen stattgegeben würde?
Bekämen die FDP-Politiker jetzt in vollem Umfang recht, müsste der Bund für den Zeitraum ab 2020 Milliarden Euro zurückzahlen. Das Aufkommen liegt in diesem Zeitraum nach Angaben des Finanzministeriums bei 68 Milliarden Euro. Allein seit Anfang 2025 wurden 1,5 Milliarden Euro eingenommen.
Zudem fielen Einnahmen von rund 13 Milliarden Euro im Haushalt 2025 und in dieser Höhe auch für die Zukunft weg. Damit würde in den Etatplanungen sogar eine noch größere Lücke klaffen als 2023, als das Bundesverfassungsgericht eine unzulässige Umgehung der Schuldenbremse feststellte, weil der Bundestag Kreditermächtigungen für Corona-Zwecke in einen Klimafonds umgelagert hatte.
Wie steht es um die Chancen der Kläger?
Im Kern geht es darum, ob die grundgesetzlich zulässige Ergänzungsabgabe unbefristet sein und auch für andere Zwecke erhoben werden darf als die, für die sie ursprünglich eingeführt wurde. Das oberste deutsche Gericht für Steuersachen, der Bundesfinanzhof in München, hält den Soli auch in seiner Ausgestaltung von 2020 und 2021 für „noch nicht verfassungswidrig“. Ein vorübergehender Mehrbedarf des Bundes könne sich „auf sehr lange Zeiträume erstrecken“, und die Bewältigung der Einheit sei eine „Generationenaufgabe“.
Allerdings sei ein dauerhafter Finanzbedarf über Steuern zu decken – und nicht über eine Ergänzungsabgabe. Bleibt das Bundesverfassungsgericht bei dieser Linie, wird es im Urteil darlegen müssen, welche Folgekosten der Wiedervereinigung es einrechnet – und bis wann Folgekosten als solche betrachtet werden dürfen.
In der mündlichen Verhandlung im November wurde dies eingehend besprochen. Möglich scheint daher, dass es zu einem differenzierten Urteil kommt.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false