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Volker Rühe wird 80: Kämpfer für die Nato-Osterweiterung
Sechs Jahre lang war der CDU-Politiker aus Hamburg Verteidigungsminister. Auch im Ruhestand warb er weiter für eine gut aufgestellte Bundeswehr.
Stand:
Lange vor dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gehörte Volker Rühe zum kleinen Kreis jener Wehrexperten im Ruhestand, die den schlechten Zustand der Bundeswehr laut beklagten und Vorschläge für eine bessere Aufstellung des deutschen Militärs machten.
Kein Wunder: Der Hamburger CDU-Politiker und langjährige Außenpolitikexperte war selbst sechs Jahre lang unter Kanzler Helmut Kohl Verteidigungsminister gewesen (1992 bis 1998). Er verantwortete den Zusammenschluss der NVA mit der Bundeswehr und führte die Bundeswehr nach der Wiedervereinigung in ihre ersten Auslandseinsätze in Kambodscha, Bosnien-Herzegowina und Somalia.
Der Regierungspartner FDP stand insbesondere dem Bosnien-Einsatz aus rechtspolitischen Gründen skeptisch gegenüber. Erst das „Out-of-Area“-Einsatz-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1994, das Auslandseinsätze im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit für verfassungskonform erklärte, sofern der Bundestag zustimmt, löste den Streit.
Rühes konsequentem Werben und Drängen als Verteidigungsminister ist es zu verdanken, dass die Nato 1999 Polen, Ungarn und Tschechien aufnahm – der Beginn der Nato-Osterweiterung, ohne die die strategische Lage Deutschlands und Europas gegenüber einem aggressiven russischen Staat heute weit schlechter aussehen würde.
Wer auf dem Misthaufen steht, muss aufpassen, dass er nicht zu stinken anfängt.
Volker Rühe, damals CDU-Generalsekretär
Unter Parteichef Kohl hatte Rühe zuvor drei Jahre lang als Generalsekretär der CDU gewirkt (1989 bis 1992) und dafür die Außenpolitik vernachlässigen müssen. Es war die spannende Zeit der Wende in der DDR und der Wiedervereinigung von Ost- und West-CDU. Der Hamburger Politiker setzte sich für die Integration von Bürgerrechtlern in die CDU und die Ausgrenzung belasteter Mitglieder der Ost-CDU ein.

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Nach der Erinnerung seines langjährigen Mitarbeiters Hans-Joachim Falenski trat er entschieden gegen die Ost-CDU und ihren Vorsitzenden, Lothar de Maiziere, auf, weil diese ihr fragwürdig erworbenes Parteivermögen in Millionenhöhe in die neue gesamtdeutsche CDU einbringen wollten. Rühe, ein Freund drastischer Formulierungen, warnte damals: „Wer auf dem Misthaufen steht, muss aufpassen, dass er nicht zu stinken anfängt." Das Geld der Ost-CDU wurde laut Falenski dann den Alteigentümern zurückgegeben oder für gemeinnützige Zwecke verwendet.
Rühe war von der CDU Schleswig-Holsteins im Jahr 1999 zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im Februar 2000 gewählt worden, lag im Ringen um das Amt des Ministerpräsidenten lange vor SPD-Konkurrentin Heide Simonis. Doch die 1999 bekannt gewordene CDU-Spendenaffäre um Helmut Kohl zog auch Rühe und die Landes-CDU nach unten – sie erhielt am Wahltag fast acht Prozentpunkte weniger als die SPD, Rühe wurde folglich nicht Ministerpräsident in Kiel.
Nach dem Rücktritt Wolfgang Schäubles als Vorsitzender der CDU und der CDU-Bundestagsfraktion galt Rühe, der von 1998 bis 2000 einer seiner Stellvertreter war, zeitweise als möglicher Nachfolger. Als Chefin der Partei machte dann CDU-Generalsekretärin Angela Merkel das Rennen, Fraktionschef wurde ein Politiker der heute sowohl Partei- als auch Fraktionschef ist: Friedrich Merz.

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Womöglich hängt es auch mit dieser Erfahrung zusammen, dass der frühere Gymnasiallehrer und überzeugte Transatlantiker heute offen über die Fehler der langjährigen Kanzlerin spricht. Über die Verteidigungspolitik nach Merkels Amtsantritt 2005 sagte er dem Tagesspiegel vor dreieinhalb Jahren: „Danach gab es einige Fehlentscheidungen, unter mehreren Verteidigungsministern, aber unter einer Kanzlerin. Wenn wir es künftig ernst meinen mit der Aufgabenteilung in Europa, dann muss die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Streitmacht Europas werden, nicht nur auf dem Papier, sondern faktisch.“
Vor allem hält er der Kanzlerin vor, sie und ihre Regierung hätten „völlig versagt vor der Aufgabe“, die Notwendigkeit der nuklearen Teilhabe, also Deutschlands Beteiligung an der atomaren Abschreckung, den Bürgern zu erklären, wie er dieser Zeitung im vergangenen Jahr sagte: „Wir müssen wieder einen Konsens in der Bevölkerung über den Wert der nuklearen Teilhabe herstellen. Was man nicht diskutiert und erklärt, wird man gegenüber den Bürgern auf Dauer auch nicht durchsetzen können.“
Noch vor wenigen Jahren leitete Rühe die nach ihm benannte „Rühe-Kommission“, die 2015 Vorschläge zur Weiterentwicklung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr machte. In der großen Koalition lehnte die SPD die Vorschläge ab, die Deutschland im Ernstfall schneller handlungsfähiger machen und Vorbehalte bei den Verbündeten abbauen sollten. Womöglich würden die Sozialdemokraten heute, nach dem Angriffskrieg Russlands, anders entscheiden.
Denn ein Teil der SPD denkt im Hinblick auf Deutschlands Wehrfähigkeit nun völlig neu, wie etwa die Grundsatzrede von Parteichef Lars Klingbeil zum neuen Verhältnis zur Bundeswehr und zur Führungsrolle Deutschlands vor wenigen Wochen beweist.
An diesem Sonntag feiert Volker Rühe seinen 80. Geburtstag.
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