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Nach dem Luftangriff auf einen Markt in der Stadt Maarat al Numan können Zivilschützer der „Weißhelme“ ein Mädchen aus den Trümmern retten. Fast 40 Menschen sind bei der Attacke ums Leben gekommen.

© Omar Haj Kadour/AFP

Oppositionsbastion in Syrien: Vormarsch der Regimetruppen in Idlib stockt

Die Eroberung der letzten Oppositionsbastion bereitet Assad große Probleme – doch die Gewalt hält an. Für Zivilisten ist das verheerend.

Ein kleines Mädchen, die Haare zerzaust und das Gesicht voller Staub, wird von einem Helfer der Rettungsorganisation Weißhelme aus den Trümmern eines zerstörten Hauses getragen – die Rettung des jungen Opfers, von syrischen Aktivisten gefilmt, war eine der wenigen guten Nachrichten aus der syrischen Provinz Idlib in den vergangenen Tagen. Luftangriffe auf Maarat al Numan, Heimatstadt des Mädchens, töteten am Montag fast 40 Menschen, mehr als ein Dutzend weitere starben bei anderen Angriffen in der Provinz.

Seit fast genau drei Monaten wird in Idlib gekämpft. Ende April begannen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al Assad mit einem Vormarsch auf die letzte Bastion der Aufständischen nach mehr als acht Jahren Krieg. Offiziell ist die Gegend zwar eine sogenannte Deeskalationszone, in der die Waffen ruhen sollen. Doch Assad und sein enger Verbündeter Russland begründen ihre Angriffe mit dem Kampf gegen Extremisten.

Die Region ist unter Kontrolle von Islamisten

Dominiert wird das Rebellengebiet von der Al-Qaida-nahen Miliz Hayat Tahrir al Scham (HTS). Ihre Kämpfer nutzen ihre Vormachtstellung immer wieder zu Angriffen auf syrische Stellungen und russische Stützpunkte außerhalb von Idlib. Die Türkei, die sich in einer Vereinbarung mit Russland zur Zügelung der Extremisten verpflichtete, konnte das bisher nicht unterbinden.

Syrische Aktivisten, Lehrer und Mediziner, die in Idlib leben, haben die Kampagne „#tellPutin“ gestartet. Sie wollen damit auf ihr Schicksal aufmerksam machen.
Syrische Aktivisten, Lehrer und Mediziner, die in Idlib leben, haben die Kampagne „#tellPutin“ gestartet. Sie wollen damit auf ihr Schicksal aufmerksam machen.

© #tellPutin

Inzwischen ist Assads Angriff auf Idlib allerdings stecken geblieben. Ein Grund dafür ist, dass die syrische Armee schwächer ist als angenommen: Verluste, Inkompetenz, Korruption und eine schleppende Neuformierung hätten den Streitkräften des Regimes zugesetzt, schreibt Experte Gregory Waters in einer Analyse für das Nahost-Institut in Washington.

Dagegen bestehen die Rebellenverbände in Idlib aus kampferfahrenen und gut ausgerüsteten Milizionären. Einige Gruppen erhalten Unterstützung von der Türkei. Die türkische Armee selbst unterhält in Idlib zwölf Beobachtungsposten. Die Führung in Ankara will eine Übernahme der Provinz durch Syriens Regierung verhindern, weil ein großer Flüchtlingsandrang aus der Gegend mit ihren rund drei Millionen Menschen befürchtet wird.

Moskau greift militärisch stärker ein

Eine Folge von Assads Problemen ist ein stärkeres militärisches Engagement Russlands. Der Kreml setzte Medienberichten zufolge vor Kurzem personelle Veränderungen im syrischen Sicherheitsapparat durch. Nach Angaben von Aktivisten waren es russische Kampfjets, die am Montag in Maarat al Numan angriffen. Moskau wies dies zurück.

Auch Berichte, wonach in Idlib zum ersten Mal im Syrienkrieg überhaupt russische Bodentruppen eingesetzt worden sein sollen, wurden dementiert. Dennoch ist klar: Allein wird Assad seine Ziele in Idlib so schnell nicht erreichen können.

Baschar al Assad will Idlib mit allen Mitteln unter seine Kontrolle bringen.
Baschar al Assad will Idlib mit allen Mitteln unter seine Kontrolle bringen.

© Sergei Grits/AP/dpa

Unter der Militäroffensive leidet vor allem die Zivilbevölkerung. Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen sprechen von einem „humanitären Albtraum“, wie es ihn in diesem Jahrhundert noch nicht gegeben habe. Diese Einschätzung kommt nicht von ungefähr.

Die Bewohner sind fast ohne Pause schutzlos Angriffen aus der Luft ausgesetzt. Schätzungen von Aktivisten zufolge sind seit April bis zu 600 Frauen, Kinder und Männer ums Leben gekommen. Die UN sprechen von mindestens 350 Toten.

Tausende hausen unter Bäumen

Mehr als 360.000 Zivilisten sind auf der Flucht, die meisten Richtung Türkei. In den oft restlos überfüllten Auffanglagern herrschen katastrophale Zustände. Zehntausende finden nicht einmal eine behelfsmäßige Unterkunft und schlafen deshalb unter Bäumen. Ein Großteil der Vertriebenen hungert.

Besonders fatal wirken sich die völkerrechtswidrigen Bombardements von Kliniken und Schulen aus. Fast drei Dutzend Gesundheitseinrichtungen sollen allein in den vergangenen knapp vier Monaten attackiert worden sein – vermutlich gestützt auf GPS-Daten, die von den UN zur Verfügung gestellt wurden, um die Einrichtungen vor Angriffen zu schützen. Hilfsorganisationen werfen dem syrischen und russischen Militär vor, diese Lagekoordinaten zu missbrauchen.

Unter derartigen Bedingungen kann ein Schul- oder Krankenhausbesuch lebensgefährlich sein. Kein Wunder, dass Eltern ihre Kinder zu Hause lassen. Bis zu 250.000 Mädchen und Jungen waren schon lange nicht mehr beim Unterricht. Viele noch nie. Die Gewalt lässt das nicht zu.

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