
© United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Belarusian State Archive of Documentary Film and Photography
Was das Auschwitz-Gedenken heute lehrt: Mit dem Herzen sieht man es besser
Der Schlüssel ist das Wissen um den Holocaust. Die Daten, die Fakten – aber die als Zugang zu Emotionen. Sie erst treffen uns bis ins Herz, auf dass wir erkennen, was war und nie wieder sein darf.

Stand:
Nun gedenken wir wieder. 80 Jahre Befreiung von Auschwitz, das ist der Tag – an ihm endete eines der schlimmsten Grauen seit Menschengedenken. Obwohl: Ist „endete“ das richtige Wort?
Wohl nicht. Die Erkenntnis fing damit erst an. Und nur die Erinnerung an das Schreckliche, Monströse dieses Lagers sollte fortleben.
Das ist schwer, noch immer, in jederlei Hinsicht. Sich buchstäblich vor Augen zu führen, was das war, dieser „Zivilisationsbruch“, wie es so papieren heißt, bedeutet, sich Gefühlen auszusetzen. Wer will das schon?
Immer weniger im Lauf der Jahre. Die Älteren aus Scham, die Jüngeren, weil sie es nicht besser wissen: So lange her, was hat das mit mir zu tun?
Wissen, noch so ein Wort, das an diesem Tag zu befragen ist. Denn es geht nicht – nicht allein – um Wissen als abrufbare Datei. Sondern um den Zugang zu Emotionen, der uns erst trifft, bis ins Herz, auf dass wir erkennen, was war und nie wieder sein darf.
Nie vergessen: Mit dem Herzen sieht man gut, sieht man besser. Das ist beileibe keine gefühlige Sentenz. Erst der Zugang zum Innersten sensibilisiert – für Rückschau, aus der sich lernen lässt, und für die Vorausschau. Denn für die Zukunft lernen wir.
Rückschau und Vorausschau: Die „Jewish Claims Conference“ hat repräsentativ Menschen in unserem Land zwischen 18 und 29 befragt. Danach geben rund 40 Prozent der Befragten an, nicht gewusst zu haben, dass etwa sechs Millionen Jüdinnen und Juden in der Nazi-Zeit ermordet wurden. Zwei Prozent vertraten die Auffassung, der Holocaust habe nicht stattgefunden.
Das Denken der Generationen lenken
Was lernen wir daraus? Der Monstrosität zu gedenken bedeutet, das Denken der Generationen zu lenken, im besten Falle, im besten Sinne. Weil Geschichte nicht vergeht – aber Gefahr darin liegt, dass sie verblasst.
Sich erinnern heißt, diesen Teil der Geschichte dem Vergessen zu entreißen und ins Gegenwärtige mitzunehmen. Wogegen nicht wenige stehen, die das Geschehene für gestrig erklären wollen, wie Umfragen sagen. Massaker an Juden werden nicht von Millionen verurteilt, sondern von ein paar Tausend.
Dabei wird gerade angesichts der Verbrechen von damals stets aufs Neue deutlich, was Menschen möglich ist, im Schlimmsten wie im Besten. Menschen wurden zu Opfern – und diese Opfer auch Helden: Sie zeigten diese heldenhafte Resilienz, dem Grauen zu trotzen. Die Erinnerung an beides zu erhalten und zu fördern, stärkt die Chance für Selbstvergewisserung einer Gesellschaft.
Hier zeigt sich, wie es um unsere Demokratie steht
Wohin entwickeln wir uns? Wer sind wir, wo stehen wir, gerade jetzt? Deutschlands Entwicklung spiegelt sich im Umgang mit den jüdischen Deutschen. Der Umgang zeigt, wie es um die Demokratie steht.
Und da besteht Anlass zur Vergewisserung, ob nicht eben in dieser Zeit das alte Ressentiment überlebt hat: Juden als das immer noch Fremde. Ihnen, den jüdischen Deutschen, kommt das zunehmend so vor. In den Gemeinden wächst die Furcht.
Daran, ob wir uns Rechenschaft ablegen, wie es ist, erkennen wir, inwieweit wir eine Gesellschaft der Vielfalt sind; einer Vielfalt in Gleichheit und nicht der Etikettierung Anderer. Soll ein Ganzes dadurch entstehen, dass man andere ausschließt? So gesehen werden die Juden zum Seismografen unserer gesellschaftlichen Entwicklung.
Eine nötige Entwicklung im besten Sinn wäre, Angriffe auf Juden als Angriffe auf Deutschland zu verstehen. Das ist die anzustrebende neue Normalität. Solange sie nicht erreicht ist, wirkt es, als seien jüdische Deutsche immer noch nicht Teil des demokratischen Deutschlands. Wie sich am rasanten Anstieg antisemitischer Gewalt offenbart.
Darum ist es buchstäblich so unendlich wichtig, Wissen über den Holocaust zu vermitteln, von den Daten zu den Emotionen. Ein moralischer Auftrag aus der Vergangenheit an uns Deutsche in der Gegenwart. Hier und überall, in jeglicher Hinsicht. Das ist die Staatsräson, aus sich alles andere ableitet. Eingedenk dessen, woran uns der 27. Januar erinnert: Es ist erst 80 Jahre her.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false