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Bundeswehrsoldaten am Flughafen der malischen Stadt Gao.

© dpa/Arne Immanuel Bänsch

Update

Baerbock stellt Einsatz in Frage: Was passiert, wenn die Bundeswehr aus Mali abzieht?

Außenministerin Baerbock zweifelt an der Bundeswehrmission in Mali. Doch in Berlin wächst auch die Angst vor den Folgen eines Rückzugs der deutschen Soldaten.

Die Stimmung in Mali ist aufgeladen. Hunderttausende waren zuletzt in der Hauptstadt Bamako und anderen Städten des Landes auf der Straße, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Viele junge Menschen, angespornt von der Regierung, waren dabei, manche mit gestreckter Faust, andere mit Plakaten oder der rot-gelb-grünen Landesflagge in der Hand. „Die Leute schwimmen auf einer nationalistischen Welle“, sagt Ulf Laessing, der in Bamako das Regionalprogramm Sahel der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung leitet.

Die Wut der Demonstrantinnen und Demonstranten richtet sich vor allem gegen Frankreich, aber auch gegen die Verbündeten der ehemaligen Kolonialmacht. Damit ist auch Deutschland gemeint, das im Rahmen zweier internationaler Missionen mit bis zu 1300 Bundeswehrangehörigen im Land vertreten ist. Sie engagieren sich im Kampf gegen Islamisten, vor allem in der Feindaufklärung sowie der Logistik, und in der Ausbildung einheimischer Soldaten. Der westafrikanische Staat leidet seit Jahren unter islamistischem Terror, aber auch kriminelle Banden treiben ihr Unwesen. Für Deutschland wird die schwierige Lage in dem Krisenstaat immer mehr zum politischen Problem.

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Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) stellt die Bundeswehr-Mission in Mali inzwischen offen infrage. „Unser Einsatz ist kein Selbstzweck“, sagte sie diese Woche der „Süddeutschen Zeitung“. „Angesichts der jüngsten Schritte der malischen Regierung müssen wir uns ehrlich fragen, ob die Voraussetzungen für den Erfolg unseres gemeinsamen Engagements weiter gegeben sind.“

Ampel steht hinter Baerbock

Die Union kritisiert das. „Wer mit dem Abzug aus Mali kokettiert, der sollte erst erklären, wie er einen Zusammenbruch und Chaos in dem Land im Falle eines Abzugs verhindern will“, forderte der CDU-Außenpolitiker Johannes Wadephul. In der Ampel steht man hingegen hinter Baerbock. Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, sagt: „Sie liegt richtig. Das ist keine Vorentscheidung für einen Abzug. Aber alle Optionen müssen auf den Tisch.“ Ähnlich sieht es Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), Vorsitzende des Verteidigungsausschusses: „Das Signal an Mali ist wichtig.“

Oberst Assimi Goita (l) bei der Vereidigung zum malischen Interimspräsidenten im Juni 2021.
Oberst Assimi Goita (l) bei der Vereidigung zum malischen Interimspräsidenten im Juni 2021.

© picture alliance/dpa/ Nicolas Remene

Zuletzt waren in Berlin die Zweifel an der Bundeswehr-Mission gewachsen. Der Grund: Die malische Militärregierung um den 39 Jahre alten Oberst Assimi Goïta, mit dem Deutschland auf UN- und EU-Ebene noch offiziell zusammenarbeitet, sucht immer stärker die Konfrontation mit dem Westen. So hat die Junta in Bamako am Montag den französischen Botschafter des Landes verwiesen, zuvor hatte sie erklärt, die dänischen Truppen im Land seien nicht mehr willkommen. Auch hatte sie der Bundeswehr zwischenzeitlich den Zugang zum malischen Luftraum verwehrt. Schweden und Norwegen wollten ihre Einheiten inzwischen abziehen, sagt der Experte Laessing. Die westliche Militärpräsenz in Mali beginnt zu bröckeln.

Die jüngste Eskalation des Putschistenchefs Goïta ist der vorläufige Höhepunkt eines langen Streits zwischen dem Regime in Bamako und der internationalen Gemeinschaft. Nachdem Goïta innerhalb eines Jahres zweimal geputscht hatte, ließ er vor wenigen Wochen die für Februar geplanten Wahlen verschieben.

„Tod für Frankreich und seine Verbündeten“

Die Nachbarländer der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas verhängten daraufhin straffe Sanktionen, von Grenzschließungen bis zum Einfrieren ausländischer Überweisungen, von denen viele Menschen in dem armen Land abhängig sind. „Das trifft die Malier sehr hart“, sagt Laessing. Am Freitag verhängte die EU auf Drängen Frankreichs Sanktionen gegen einzelne Mitglieder der Junta in Bamako. Der SPD-Politiker Schmid und die Liberale Strack-Zimmermann halten das für sinnvoll. In Mali wird seit längerem genau gegen den Druck aus dem Ausland protestiert. „Tod für Frankreich und seine Verbündeten“, heißt es immer häufiger.

Die Bundesregierung versucht dennoch, die schwierigen Beziehungen zu dem westafrikanischen Land zu retten. Am Donnerstag ist Außen-Staatsministerin Katja Keul (Grüne) für einen dreitägigen Besuch nach Mali aufgebrochen. Dort will sie auf die Verantwortlichen einwirken. „Wir wollen Mali bei der Bewältigung der Sicherheitskrise weiterhin unterstützen, brauchen dafür aber ein klares Bekenntnis der malischen Übergangsregierung zu einer zügigen Rückkehr zur demokratischen Ordnung“, erklärte sie vor ihrer Abreise.

Doch, was ist, wenn das nicht klappt? Muss Deutschland dann seine Soldatinnen und Soldaten abziehen? Das Mandat des Bundestags läuft Ende Mai aus. „Wir werden uns eng mit Frankreich abstimmen“, sagt SPD-Mann Schmid. „Eine Entscheidung könnte schon in den nächsten Wochen fallen. Für uns gilt: Zusammen rein, zusammen raus.“ Frankreich hat bereits angekündigt, seine Truppen im Land deutlich zu reduzieren, wenn nicht ganz abzuziehen. Ohne die Franzosen könne man kaum bleiben, sind sich die meisten in der Politik einig – so wie man ohne die USA nicht in Afghanistan bleiben konnte.

Schwacher Staat, starke Islamisten

Ein französischer Abzug würde die Bundeswehr erheblich schwächen. Die UN-Mission Minusma und das Ausbildungsprogramm EUTM gelten schon jetzt als wenig erfolgreich. Ab und an könnten die UN-Truppen einzelne Landstriche von den Islamisten im Norden Malis befreien, sagt Laessing. „Das Problem ist: Der Staat ist zu schwach.“ Das heißt: Die befreiten Gebiete fallen recht schnell zurück in die Hände der Islamisten. Auch würden sich viele Dschihadisten inzwischen in die Zivilgesellschaft integrieren, in die Dörfer des Nordens einheiraten. Längst arbeiteten sie an einem „Parallelstaat“, sagt Laessing. „Die wohnen da ganz normal.“ Militärisch sei der Konflikt deshalb längst nicht mehr zu lösen.

Auch die Skepsis gegenüber der EU-Ausbildungsmission, an der bis zu 330 Bundeswehrangehörige beteiligt sind, wächst. Alle Parteien seien sich einig, „dass die Mission nicht sehr effizient ist“, sagt Leassing. Es gebe kaum eine Vertrauensbasis zwischen den europäischen Ausbildern und den malischen Rekruten, die ungefähr vier bis sechs Monate trainiert würden. Wohin die danach gehen, wisse man nicht. „Keiner weiß, wie viele Soldaten die malische Armee hat.“ Der amtierende Präsident Goïta nahm selbst 2008 an einem Kompaniechef-Lehrgang der Bundeswehr teil. Heute ist er als Putschistenchef zu einem Gegenspieler des Westens geworden.

Mit Russland hingegen scheint sich Goïta immer besser zu verstehen. 300 bis 500 russische Soldaten sollen im Land sein, darunter auch Söldner der berüchtigten „Wagner“-Truppe. Die hätten eine „Marktlücke“ gefunden, sagt Laessing. Eine Kaserne in Timbuktu, die die Franzosen kürzlich geräumt hatten, seien inzwischen von russischen Truppen übernommen worden. Die malischen Soldaten wünschten sich eine robustere Ausbildung, als die Deutschen anbieten – etwa Einsätze mit scharfer Munition direkt an der Front. Die Russen gingen genau darauf ein.

Russland will seinen Einfluss ausbauen

Der wachsende russische Einfluss in Mali ist einer der Gründe, warum Deutschland trotz aller Probleme in Mali zögert, einen schnellen Abzug der Bundeswehr zu erwägen. Aus dem Minusma-Einsatz der UN komme man ohnehin nicht raus, ohne international an Ansehen zu verlieren, meint Laessing. Eine weitere Sorge: Jeder Rückzug westlicher Truppen würde in Mali ein neues Vakuum schaffen, das Gruppen wie der „Islamische Staat“ schnell füllen würden. Schon jetzt, so sagt Laessing, versuchten die Dschihadisten in Malis Nachbarstaaten wie Togo vorzudringen.

Deutschland bleibt in Sachen Mali in der Zwickmühle. Zieht es sich zurück – und überlässt Russland den Einfluss und den Dschihadisten das Feld? Oder setzt es weiter auf die Zusammenarbeit mit einer immer feindlicher agierenden Putschisten-Clique in Bamako? Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann will Mali „jetzt richtig unter die Lupe nehmen“, wie sie sagt. „Es ist bedauerlich genug, dass das nicht schon früher geschehen ist.“ Man müsse die Folgen eines Rückzugs abschätzen: Komme es dann zu massiven Fluchtbewegungen, zu einer Expansion des „Islamischen Staats“ im Sahel?

Vom eigentlichen Ziel des Bundeswehr-Einsatzes, für mehr Stabilität und demokratische Strukturen in Mali zu sorgen, ist man nach wie vor weit entfernt. Zu groß sind die Probleme, von der Armut über Korruption bis hin zum rapiden Bevölkerungswachstum und der inneren Zerrissenheit des Landes mit seinen willkürlich gezogenen Grenzen aus der Kolonialzeit. „Ob Mali je zu einem Staat zusammenwachsen wird“, sagt der Experte Laessing, „da bin ich skeptisch.“

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