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Der neue ICE 3 neo - hoffentlich ohne Funklöcher. Verkehrsminister Volker Wissing bei der Präsentation.

© Fabian Sommer/dpa

Klimaschutz, Digitalisierung, E-Mobilität bei "Europe 2022": Was verbraucht Verkehrsminister Wissings Auto?

Die EU will zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum werden. Dafür muss sie noch viele praktische Probleme lösen - und die Bürger im Alltag überzeugen.

Was ist Europas Anspruch, und wie verträgt er sich mit der Wirklichkeit? Die dreitägige Konferenzreihe „Europe 20xx“ des Tagesspiegels und seiner Schwesterblätter „Die Zeit“, „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“ bietet Jahr für Jahr die Gelegenheit zum Realitätscheck.

Auch 2022 hat sie unterhaltsame Nebeneffekte. Die Zuhörer erfahren, wie viel Benzin Verkehrsminister Volker Wissing mit seinem Privatwagen verbraucht. Oder seit wann EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Großmutter ist und wie das ihr Denken über die Klimapolitik beeinflusst.

Nebenbei werden verbreitete Irrtümer korrigiert. Zum Beispiel über Funklöcher beim Zugfahren und welche Rolle ICE-Fenster dabei spielen.

Gleich drei große Themenfelder muss Wissing (FDP) abdecken: Bahn, E-Mobilität und Digitalisierung. Er sei „passionierter Bahnfahrer“, sagt er. Die Bahn sei „Premium-Verkehrsmittel“ und verdiene „fünf Sterne“. Wie verträgt sich das mit der Statistik der Verspätungen?

Zwei Liter auf 100 Kilometer sind möglich

Wissing möchte lieber über die Zukunft reden: „modernere Schiene, digitalisierte Schiene“. Aber der Ausbau der Infrastruktur führt zu „noch mehr Verspätungen“.

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15 Millionen E-Autos will die Ampel-Koalition bis 2030 auf die Straße bringen. Wissing verteidigt die Förderung von Plug-in-Hybrid, wünscht sich aber eine Datenerfassung, wie weit die Fahrer damit elektrisch vorankommen. Von manchen Unternehmen mit Dienstwagen heißt es, sie nähmen die staatlichen Prämien gerne mit. Die Fahrer nutzten die Auflademöglichkeit, die der Grund der Förderung ist, aber kaum und bewegten sich hauptsächlich mit Benzin fort.

Er fahre privat einen Hybrid, verrät Wissing und komme mit zwei Liter Benzin auf 100 Kilometer aus. Die Kritik, dass manche Ladestationen an Autobahnen ohne bewirtschaftete Lokale geplant seien, weist er zurück. Es werde bei den Ladestellen wie sonst auch Rastplätze mit und Rastplätze ohne Gastronomie geben.

Funklöcher? Oft liegt es an den Fensterscheiben der Züge

Beim Ausbau von Glasfaser und schnellem Internet will Wissing Tempo machen. Der Gesetzentwurf für die Gigabit-Strategie zum Internetausbau soll bis Ende März in die Abstimmung zwischen den Ministerien gehen und bis Ende Juni 2022 beschlossen werden. „Wir wollen überall Glasfaser haben, wo Menschen leben.“ Beim Ranking der Nationen mit dem schnellsten Internet müsse Deutschland von Platz 25 unter seiner Ägide „mindestens“ auf Platz 20 vorrücken.

Und weil er oft Spott über die Digitalwüste Deutschland höre, die nicht mal in Zügen ein funktionierendes Handynetz garantiere: Ursache der Funklöcher seien nicht in erster Linie fehlende Sendemasten. Es habe sich herausgestellt, dass die Beschichtung vieler Zugscheiben die Funksignale behindere. Dieses Problem werde mit dem ICE 3 neo behoben. Beim autonomen Fahren soll Deutschland Weltmarktführer werden, wie es das Autoland über Jahrzehnte war. „Wir haben heute die besten Verbrennungsfahrzeuge, wir müssen morgen die besten autonomen Fahrzeuge haben.“ Deutschland werde hier schneller sein als China.

Klimapolitik: Kein Land erreicht die versprochenen Ziele

Weiterer Schwerpunkt am ersten Konferenztag war der Klimawandel. Patricia Espinosa leitet das Sekretariat der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Sie sieht sich und ihr Team als „Wächter“ der Erde. Durchsetzungsmacht hat sie nicht. Sie kann die Staaten nur immer wieder ermuntern, ihre Zusagen zur Senkung klimafeindlicher Emissionen einzuhalten.

Ihre Zwischenbilanz im Übergang von der COP 26, der Klimaschutzkonferenz in Glasgow im Herbst 2021, zur COP 27 in Ägypten: „Glasgow hat kein perfektes Ergebnis gebracht. Aber wir sehen jetzt klarer, woran wir arbeiten müssen.“

Eine Herausforderung sei die Finanzierung des Wandels; der betreffe „alle Bereiche des Alltags“. Eine andere, wie man Industriestaaten und Schwellenländer dazu bringt, die Reduktionsziele einzuhalten.

Nach den Aktivisten übernehmen Unternehmen

„Die EU, China, Indien, die USA und Kanada müssen mehr tun“, sagt Espinosa. Es gebe aber auch Länder, die dem Plan voraus seien. Auf die Frage, welche das seien, weicht Espinosa aus. „Ich möchte keine Namen nennen“, aus diplomatischen Gründen. Sie verweist darauf , dass einige Länder früher als erwartet auf Solarzellen umstellen.

Bei aller Diplomatie: Ist sie manchmal verärgert, wie langsam die Regierungen reagieren? Sie antwortet optimistisch: „Wir können das 1,5-Grad-Ziel immer noch erreichen.“ Klimaschutz sei nicht mehr eine Domäne der Aktivisten. Viele Unternehmen helfen mit. Diese Dynamik beobachtet auch Julie Linn Teigland, Chefin der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Mit der Verjüngung von Unternehmensführungen und Mitarbeitern wachse das Bewusstsein für den Klimaschutz. Als Risiko betrachtet sie „Green Washing“: die Versuchung für Unternehmen, Veränderungen als klimafreundlich auszugeben, weil sie formale Anforderungen erfüllen, die es bei näherem Hinsehen aber nicht sind.

Von der Leyen reagiert auf Kritik mit einem sozialen Klimafonds

Fehler und Irrtümer sind nicht nutzlos – man kann immer noch aus ihnen lernen. Der Devise folgte EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Bis 2030 möchte die EU ihre Emissionen um 55 Prozent gegenüber 1990 reduzieren und 2050 erster klimaneutraler Wirtschaftsraum werden.

Parallel zur Konferenz "Europe 2022" versuchte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Brüssel den Konflikt um Rechtsstaatlichkeit mit Polens Präsident Andrzej Duda beizulegen.
Parallel zur Konferenz "Europe 2022" versuchte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Montag in Brüssel den Konflikt um Rechtsstaatlichkeit mit Polens Präsident Andrzej Duda beizulegen.

© John Thys/Pool AFP/AP/dpa

Noch ist kein EU-Land auf dem Weg, die Ziele zu erreichen. Und die Energiepreise steigen bereits steil. Einige EU-Länder wenden sich von der Strategie ab, aus Furcht vor sozialen Protesten.

Von der Leyen gibt Russland eine Mitschuld an der Krise und kündigt einen „sozialen Klimafonds“ an. Es sei „ein sonderbares Gebaren“, dass Gazprom nicht bereit sei, mehr Gas an Europa zu liefern. „Es ist nicht auszuschließen, dass der Kreml Gas weiterhin als Drohmittel einsetzt.“ Europa müsse sich weniger abhängig von Russland machen.

[Lesen Sie auch: "Jeder ist sich dieser Schwäche bewusst." Wie kann Europas Gasversorgung im Kriegsfall gesichert werden? (T+)]

Die Einnahmen aus dem Handel mit Emissionsrechten möchte sie nicht nur dazu verwenden, die grüne Modernisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Mit 144 Milliarden Euro will sie Geringverdienern helfen, damit es ihnen nicht so schwer falle, ein E-Auto zu kaufen und in eine emissionsarme Heizung zu investieren.

Zeit-Geschäftsführer Rainer Esser hatte bei der Begrüßung angemerkt, die Geburt der ersten Enkelin im vergangenen Jahr habe von der Leyens Blick auf die Klimapolitik verändert. Sie verwies auf die 800 Milliarden Euro für Klimaschutz und Digitalisierung im Programm „Next Generation EU“. Die Weltregion, die die Technik vorantreibe, werde Arbeitsplätze und Märkte der Zukunft gewinnen.

Der ökonomische Ausblick

Was immer Europa sich vornimmt: Die Erfolgsaussichten hängen auch von äußeren Faktoren ab. Die Pandemie hat die Welt in eine Rezession gestürzt. Der Präsidentenwechsel in den USA von Donald Trump zu Joe Biden und der russische Truppenaufmarsch rund um die Ukraine haben Folgen für Europa.

Im ökonomischen Ausblick kamen die Inflations- und die Konjunkturrisiken zur Sprache. Die Experten setzten aber unterschiedliche Akzente, was die EZB, die EU und die nationalen Regierungen tun sollen. Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) erwartet weitere Turbulenzen an den Energiemärkten. „Momentan fährt Deutschland eine Menge staatlicher Subventionen für fossile Energien zurück. Die aktuellen Preise bilden noch nicht die wirklichen Kosten dieser Energieträger ab.“ Harvard-Professor Philippe Aghion rät: „Die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ist wichtig. Aber wir sollten Investitionen in Wachstum und Klimaschutz nicht in derselben Weise bewerten wie etwa solche in Gehälter und Renten.“

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