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Arbeiter stellen den nationalen Weihnachtsbaum vor dem Weißen Haus auf. Wer ist dort der nächste Hausherr?

© Tom Brenner/Reuters

Trump setzt auf Spalten, Biden auf Versöhnen: Welche der Strategien wird mehr Erfolg haben?

Der Graben zwischen den Republikanern und den Demokraten ist tief – und könnte noch lange fortbestehen. Eine Analyse.

Wer zu Wochenbeginn die Hoffnung hatte, es sei nur eine Frage der Zeit, bis Donald Trump seine Niederlage eingesteht, wurde bald eines Besseren belehrt. Trump strickt weiter an der Dolchstoß-Legende, er werde durch Wahlbetrug aus dem Amt gedrängt. Und immer mehr Republikaner folgen ihm, statt sich abzuwenden.

Trump kündigt an, er werde 2024 erneut antreten – vertraut also darauf, dass er mit seiner spaltenden Rhetorik die nächste Wahl gewinnen kann.

Und er feuert Verteidigungsminister Mark Esper, weil der nicht loyal genug auftrat. Esper orakelt düster, der Präsident werde ihn durch einen „Yes Man“ ersetzen: einen, der nicht widerspricht, sondern im Zweifel selbst den Befehl ausführt, das Militär im Inland einzusetzen, um Trumps Wünsche zu erfüllen.

Nun könnte man Trump entgegenhalten, die Ankündigung, 2024 anzutreten, sei das Eingeständnis, dass er verloren hat. Wenn er wirklich glaubt, er könne jetzt für eine zweite Amtszeit bleiben, statt die Macht an Biden abzugeben, darf er 2024 gar nicht kandidieren. Doch so hat er das gewiss nicht gemeint.

In der Summe ist sein Verhalten der Gegenentwurf zum Weg in die Zukunft, wie ihn Joe Biden vorgeschlagen hat. Seit die Leitmedien den Demokraten am Sonnabend zum Wahlsieger ausgerufen haben, bekräftigt er: Er wolle eine gespaltene Nation einen, die verfeindeten Lager miteinander versöhnen und der Präsident aller Amerikaner sein, egal ob sie ihn gewählt haben oder nicht.
Welcher der gegensätzlichen Ansätze hat höhere Erfolgsaussichten? Welche Kräfte in der Gesellschaft befördern die Spaltung, welche mildern die Unversöhnlichkeit? Und, da sich viele Entwicklungen in den USA in Europa wiederholen: Was lässt das für Spaltungs- und Aussöhnungstendenzen hierzulande erwarten?

Versöhnung haben viele versprochen, mit begrenztem Erfolg

Die Spurensuche in Gegenwart und Vergangenheit führt zu widersprüchlichen Antworten. Das Ziel der Aussöhnung trifft offenkundig die Sehnsucht einer Mehrheit. Sonst hätte Biden es nicht ins Zentrum des Wahlkampfs gestellt und hätte nicht an die fünf Millionen mehr Wählerstimmen erzielt als Trump mit der spaltenden Rhetorik.

Die Erfahrungen der vergangenen dreißig Jahre lassen aber wenig Erfolg erwarten. Ob Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama oder Donald Trump: Am Ende ihrer jeweiligen Präsidentschaft war die Gesellschaft tiefer gespalten als zu Beginn. Das geschah unabhängig von der Frage, ob sie Versöhnung zu einem Kernanliegen erklärt hatten oder nicht.

Die Ursachen der Spaltung

Woher rührt die Spaltung und warum ist es so schwer, den Prozess umzukehren? Mehrere Faktoren verstärken sich wechselseitig. Die sozioökonomischen Unterschiede wachsen. Das Land kann sein Grundversprechen, dass es den Kindern besser gehen werde als den Eltern, für die Mehrheit nicht mehr zuverlässig einlösen. Die Realeinkommen steigen nicht mehr, vom Wirtschaftswachstum profitiert eine immer kleinere Gruppe.

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Da der Zugewinn an Wohlstand und sozialer Gerechtigkeit an Zugkraft verliert, haben sich beide Lager auf Identitätspolitik verlegt. Menschen, die in dieser oder jener Hinsicht „anders“ sind – Hautfarbe, Herkunft, Religion, Einstellung zu Ehe, Familie, Abtreibung – werden als Gegner und als Hindernisse für den eigenen Erfolg definiert. „E Pluribus Unum“ verliert an Überzeugungskraft: die Zusage, dass der Schmelztiegel USA aus allen Neuankömmlingen eine einige Nation formt.

Zwei gegensätzliche Amerikas auf den Parteitagen

Wer die Parteitage besucht, sieht es auf den ersten Blick. Die Republikaner sind ganz überwiegend eine Partei der Weißen, der Senioren und der Männer. Sie sind es nicht ausschließlich, man trifft auch Frauen, Latinos und Afroamerikaner. Aber sie sind dort kleine Minderheiten. Umgekehrt ist das Publikum bei Parteitagen der Demokraten deutlich diverser, jünger und weiblicher.

Diese Trennungslinien stimmen weitgehend mit der anderen alles überwölbenden Differenzierung überein. Die Republikaner dominieren die Kleinstädte und Landgemeinden sowie die dünn besiedelten Flächenstaaten im Zentrum der USA; die Demokraten die großstädtischen Räume und die dicht besiedelten Küstenstreifen am Atlantik (mit Ausnahme der Südstaaten) und am Pazifik. Ihr Alltag unterscheidet sich grundsätzlich, sie begegnen sich immer seltener und haben nur wenige gemeinsame Erfahrungsräume.

Medien verstärken die Unversöhnlichkeit

Zudem versteht sich ein wachsender Teil der Medien nicht mehr als Kommunikationsnetz, um die auseinander driftenden Gruppen der Gesellschaft durch Nachrichten über die gemeinsamen nationalen Entwicklungen und Interessen zusammenzuhalten. Immer mehr Medien bedienen nur eine Seite und haben es zu einem lukrativen Geschäft gemacht, als Verstärker der Gegensätze und der trennenden Identitäten zu agieren. Die Entwicklung führte vom „Talk Radio“ eines Rush Limbaugh, der aus Hasstiraden und Krawall ein oft kopiertes Erfolgsmodell machte, zu Fox News auf der Rechten sowie MSNBC und CNN auf der Linken.

Die Mitte dünnt aus. Das gilt auch für den Kongress. Unter dem Druck von Medien, die ideologische Reinheit und Gruppendisziplin einfordern – Bist du für uns oder gegen uns? –, wird Kompromiss als Kapitulation diffamiert. Bereits ein Gespräch mit Kollegen aus dem anderen Lager wird unter Verratsverdacht gestellt. Viele wollen die Galionsfigur des gegnerischen Lagers im Gefängnis sehen.

Wer kämpft noch um die Mitte? Polarisieren ist das Rezept

Früher musste ein Präsidentschaftskandidat sich zwischen zwei Strategien entscheiden. Will ich siegen, indem ich mit einem moderaten Programm um die „Independents“, die nicht parteigebundenen Wähler in der Mitte, werbe? Oder setze ich auf Polarisierung, in der Hoffnung, die Mehrheit durch Mobilisierung der bereits Überzeugten zu gewinnen?

Unter Trump ist das keine Frage mehr. Er polarisiert und hat damit großen Erfolg. Für die Republikaner hat die Wahl 2020 sein Konzept nicht diskreditiert. Trump mag als Person verloren haben, nicht aber der Trumpismus als Strategie.

Gleichwohl bewegt sich etwas. Biden mag am Ende keinen Erfolg bei der Versöhnung haben. Aber das Versprechen, es zu versuchen, verschafft ihm Legitimation bei der Mehrheit der Bürger. Sie fordern Kooperation von ihren Volksvertretern.

Die Medien werden das lukrative Modell der Sendungen, die die Spaltung befördern, nicht aufgeben. Aber Fox News hat sich bereits in der Wahlnacht aus Trumps Umklammerung gelöst, als der Sender Biden zum Sieger in Arizona erklärte und Trumps Strategie durchkreuzte, seinen Wahlsieg zu verkünden, ohne das Ende der Auszählung abzuwarten.

Es ist zweifelhaft, ob Trump 2024 eine Chance hat. Dann wäre er 78. Bis dahin sind wohl längst Jüngere die Hoffnungsträger der Republikaner. Offen ist freilich, ob sie sich explizit von ihm distanzieren oder seinen Stil kopieren.

Die Lehren für Deutschland und Europa

Und die Lehren für Europa? In Polen, Ungarn, Großbritannien mit dem Brexit, ist die Lagerspaltung kaum geringer als in den USA. In Teilen gilt das auch für Frankreich.

Deutschland ist noch weit davon entfernt. Aber in Ansätzen ist der Geist der Unversöhnlichkeit auf der Rechten wie der Linken bereits spürbar. Auch hier sind Medien in Versuchung, diese Tendenzen durch Haltungsjournalismus zu verstärken, wie in den USA geschehen. Ist das geschehen, wird der Weg zurück zur Versöhnung unendlich schwer.

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