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Impfampulle mit dem Covid19-Impfstoff von Astrazeneca

© Imago/Jochen Eckel

Update

„Ein guter und wirksamer Impfstoff“: Weltärztepräsident sieht Aussetzung von Astrazeneca-Impfung kritisch

Montgomery fürchtet um die Akzeptanz des Vakzins. Der Chef des Paul-Ehrlich-Instituts verteidigt den Impfstopp. Lauterbach findet ihn „unglücklich“.

Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery zieht den vorläufigen Stopp für Impfungen mit Astrazeneca in Zweifel. „Dass Menschen Thrombosen und Lungenembolien bekommen, muss nicht unbedingt etwas mit der Impfung zu tun haben“, sagte Montgomery dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vom Dienstag. Nach den ihm bekannten internationalen Studien sei die Thrombose-Häufigkeit in der Placebo-Gruppe und in der Gruppe mit dem Impfstoff etwa gleich gewesen.

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Montgomery warnte auch vor einem Image-Schaden für den Impfstoff. „Unter dem Strich ist es leider so, dass dieser eigentlich gute und wirksame Impfstoff durch den Wirbel und die Impf-Aussetzung in vielen Ländern nicht gerade eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnt“, sagte der Weltärztepräsident.

Eine grundsätzliche Überprüfung der Vorfälle begrüßte Montgomery allerdings. Die Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) habe noch einmal bestätigt, dass Astrazeneca ein sicherer und effektiver Impfstoff gegen das Corona-Virus sei. „Trotzdem ist es richtig, dass die nationalen Behörden die Verdachtsfälle auf schwere Nebenwirkungen prüfen.“

Deutschland, Frankreich und Italien und weitere Länder setzen Impfungen aus

Zuvor hatten unter anderem Deutschland, Frankreich und Italien die Verimpfung des Mittels von Astrazeneca ausgesetzt. Sie reagierten damit auf eine Reihe von Fällen schwerer Blutgerinnsel nach Impfungen. Der britisch-schwedische Hersteller weist die Bedenken zurück.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach im ARD-„Morgenmagazin“ mit Blick auf das Aussetzen der Impfungen von einer „unglücklichen Entscheidung“. Zwar sei das Risiko der beobachteten Thrombosen in Hirnvenen mit großer Wahrscheinlichkeit auf das Vakzin zurückzuführen. Es sei aber sehr gering, vor allem im Vergleich mit der Erkrankung Covid-19, die gerade bei Älteren „sehr sehr häufig tödlich verläuft.“

Lauterbach sprach sich dafür aus, mit den Daten zum Impfstoff vollkommen transparent und offen umzugehen. Deutschland stehe am Beginn einer schweren dritten Welle, sagte er. Impfungen in Kombination mit Tests seien der Königsweg, um die Pandemie in den Griff zu bekommen. Auch der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München, Christoph Spinner, sieht das Aussetzen der Impfungen mit dem Astrazeneca-Produkt kritisch. Sicherheit stehe zwar an oberster Stelle. Ob man die Impfung hätte aussetzen müssen, könne man zumindest hinterfragen, sagte der Oberarzt des Universitätsklinikums der Deutschen Presse-Agentur. „Der Astrazeneca ist der zweitwichtigste Impfstoff für uns.“

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Die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) genannte Zahl von sieben Fällen spezieller Thrombosen der Hirnvenen bei 1,6 Millionen Impfungen in Deutschland sei sehr gering. „Die Ereignisse sind sehr selten“, sagt Spinner. Und: „Wir impfen derzeit prioritär Menschen mit Vorerkrankungen.“ Diese Patienten hätten teils von vornherein ein gesteigertes Thromboembolie-Risiko.

„Die Vorteile der Impfung überwiegen“, betont der Mediziner, was derzeit auch die Europäische Arzneimittelbehörde EMA in einem aktuellen Statement bekräftigt. „Übrigens verursacht auch eine schwere Covid-19-Erkrankung regelhaft thromboembolische Ereignisse – alleine deshalb ist eine Impfung absolut sinnvoll.“

Es sei ein normaler Vorgang, dass nach Zulassung von Impfstoffen und Arzneimitteln mögliche Nebenwirkungen fortwährend untersucht würden. „Der Impfstoff wurde nicht zurückgerufen – und er soll auch nicht vernichtet werden“, sagt Spinner. Für einen konkreten Mechanismus, der zu den Hirnvenen-Thrombosen führen solle, gebe es derzeit keine Annahme. „Das Arzneimittel ist nach allem, was wir heute wissen, sicher.“

Angesichts der jüngsten Berichte geht Spinner allerdings davon aus, dass die Meldezahlen für entsprechende Fälle nun hochgehen werden – was wiederum das Vertrauen in den wichtigen Impfstoff weiter reduziere. Auch deshalb sieht er den Schritt durchaus kritisch. „Die Entscheidung, die Impfung auszusetzen, verursacht großen Schaden in das Vertrauen des Vakzins. Das lässt sich auch später nur noch schwer reparieren.“

„Schwierige Entscheidungen in ungewöhnlichen Zeiten“

Der britische Statistikprofessor David Spiegelhalter hat die Entscheidung in Deutschland zum vorübergehenden Stopp der Impfungen mit dem Astrazeneca-Vakzin kritisiert. „Angesichts von Ungewissheit ist es gut, vorsichtig zu sein. Aber in den derzeitigen Umständen mit steigenden Fallzahlen in Deutschland dürfte die Vorsicht es gebieten, schnellstmöglich so viele Menschen wie möglich zu impfen“, sagte der Professor an der Universität Cambridge der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Außerdem seien mögliche Schäden durch die Verstärkung von Vorbehalten gegen den Impfstoff zu bedenken. „Das sind schwierige Entscheidungen in ungewöhnlichen Zeiten“, so Spiegelhalter.

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In einem Gastbeitrag im „Guardian“ hatte der Wissenschaftler am Montag davor gewarnt, kausale Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind. Die klinischen Studien, die zur Zulassung des Astrazeneca-Impfstoffs in Großbritannien führten, und die Erfahrungen aus dem Impfprogramm in dem Land mit rund zehn Millionen verabreichten Dosen des Präparats hätten gezeigt, dass das Vakzin „außerordentlich sicher“ sei.

Forscher: Desaster für die Akzeptanz von Impfungen

Auch der britische Experimentalmediziner Peter Openshaw hat die Aussetzung von Impfungen mit Astrazeneca scharf verurteilt. „Ich denke, das ist ein Desaster für die Akzeptanz von Impfungen in Europa, die in einigen Ländern ohnehin schon auf wackeligem Boden steht“, sagte der Forscher des Imperial College London am Dienstag der BBC. „Es ist sehr eindeutig, dass die Vorteile einer Impfung die mögliche Sorge vor dieser seltenen Art der Blutgerinnsel weit überwiegen“, sagte Openshaw.

Paul-Ehrlich-Institut verteidigt Impfstopp

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek, rechtfertigte die Empfehlung eines vorübergehenden Impfstopps mit dem Präparat von AstraZeneca. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen sich darauf verlassen, dass die Impfstoffe, die wir zulassen, sicher und wirksam sind“, sagte er im „Tagesthemen“-Interview im ARD.

„Ich glaube, wir haben hier eine besondere Verpflichtung.“ Bei bislang mehr als 1,6 Millionen Impfungen mit dem AstraZeneca-Wirkstoff in Deutschland seien dem Institut inzwischen sieben Fälle von Thrombosen bekannt, die in zeitlichem Zusammenhang mit einer AstraZeneca-Impfung aufgetreten waren. Es sei daher gerechtfertigt, einen Moment zu pausieren. Nun müsse europaweit diskutiert und die europäischen Daten müssten abgeglichen werden.

Söder: Nach Wiederfreigabe Priorisierung aufheben

Aus Sicht des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) sollte nach einer erneuten Freigabe des Astrazeneca-Impfstoffs die Priorisierung bei diesem Corona-Vakzin aufgehoben werden. Er glaube nicht, dass der Impfstoff generell ausgesetzt bleibe, sagte Söder am Montagabend im ARD-„Brennpunkt“.

Nach der Überprüfung werde man wahrscheinlich feststellen können, „dass doch zumindest für viele Gruppen geimpft werden kann“. „Endlos lange Prioritätenlisten“ hätten dann keinen Sinn mehr. „Da muss man dann echt freigeben“, sagte Söder: „Ich kenne so viele Menschen, die sich sofort mit Astrazeneca impfen lassen würden. Ich würde mich auch sofort hinstellen.“ (AFP, dpa, epd, Reuters)

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