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Michael Kretschmer (CDU, l-r), Ministerpräsident von Sachsen, Wolfram Günther und Katja Meier, Spitzenkandidaten Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen, und Martin Dulig (SPD), Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen.

© Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa

Zusammen gegen die AfD: CDU, SPD und Grüne in einer Regierung – wie geht das gut?

Der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt sollen weitere in Sachsen und Brandenburg folgen. Das sind die Chancen und Risiken dieses Bündnisses.

In Sachsen-Anhalt hangeln sich CDU, SPD und Grüne seit mehr als drei Jahren durch, in Sachsen wollen sie es besser machen, in Brandenburg verhandeln sie hart: Allen drei Kenia-Bündnissen – dem existierenden und den bevorstehenden – gemein ist der Grund ihres Zustandekommens: Sie müssen sein, um die AfD von der Macht fernzuhalten.

Kann das gut gehen – und, wenn ja, wie? Eine Übersicht über Chancen und Risiken der Kenia-Koalitionen.

Wie funktioniert das bislang erste Kenia-Bündnis in Sachsen-Anhalt?
Es ist, und man sollte das nicht geringschätzen, auch nach dreieinhalb Jahren noch intakt. Im April 2016 wagten sich CDU, SPD und Grüne in Magdeburg erstmals und notgedrungen in eine schwarz-rot-grüne Koalition. Ein Experiment mit ungewissem Ausgang, zu dem es aus der Sicht der Beteiligten keine Alternative gab: Nur so ließ sich die gewaltig erstarkte AfD von der Macht fernhalten. Auf 24,2 Prozent waren die Rechtspopulisten bei der Landtagswahl gekommen. Die CDU hatte nur 5,6 Punkte mehr und musste sich, da eine Koalition mit der Linken ebenfalls tabu war, mit SPD und Grünen verbünden.

Die Not schweißte die unterschiedlichen Partner zwar aneinander, doch es gab immer wieder Misstöne und auch schwere Verwerfungen. Im Juni etwa flog die Koalition wegen eines Streits um den vereinbarten Schutz des früheren innerdeutschen Grenzstreifens fast auseinander. An seine Grenzen geriet das Bündnis auch im Zwist um den neuen Datenschutzbeauftragten, die Abschaffung von Straßenausbau-Beiträgen, den Bau einer Seilbahn im Harz. Teile der CDU bringen, wenn sie sich besonders ärgern, als vermeintliche Option auch immer wieder eine Zusammenarbeit mit der AfD ins Spiel.

Das erbost nicht nur Grüne und SPD, sondern auch Regierungschef Reiner Haseloff (CDU), der seinen Parteifreunden dann klarzumachen hat, dass es so nicht geht. Ansonsten sind die inhaltliche Erfolge zwar überschaubar, aber nicht ganz ausgeblieben. Die Koalition stellt mehr Geld für Lehrer und Polizei bereit. Sie macht sich daran, den Sanierungsstau bei Landstraßen und Brücken abzubauen. Jüngere Geschwisterkinder in Krippen und Kindergärten sind seit August beitragsfrei. Man kam überein, die Langzeit-Studiengebühren abzuschaffen. Und die Grünen schafften es sogar, eine höhere Förderung des Ökolandbaus durchzusetzen – was den Biohof-Anteil im Land merklich ansteigen ließ.

Streits gehörten dazu, sagt Haseloff. Aber jeder der Partner müsse für sich auch Erfolge verbuchen können. Das scheint bisher zu funktionieren.

Wurde die AfD im Magdeburger Landtag durch das Zweckbündnis der Regierenden geschwächt oder hat sie davon profitiert?
Das ist schwer zu sagen, da die jüngste Umfrage („Welche Partei würden Sie wählen, wenn am Sonntag in Sachsen-Anhalt Landtagswahl wäre?“) bereits ein Jahr zurückliegt. Damals, Ende August 2018, ermittelte Infratest-Dimap 21 Prozent für die AfD – was gegenüber der Landtagswahl von 2016 ein Minus von gut drei Prozentpunkten bedeuten würde. Allerdings ging dieser Befragung der Riesenstreit um die Vetternwirtschaft des vormaligen Partei- und Fraktionschefs Andre Poggenburg voraus, dem sogar der AfD-Bundesvorstand bedenkliche „Nähe zum Rechtsradikalismus“ attestiert und der sich daraufhin aller Ämter und auch seiner Parteimitgliedschaft entledigt hatte.

Insofern ergibt sich eher der Eindruck, dass die Vielzahl von Skandalen und personellen Eskapaden von AfD-Politikern im Landtag der Partei auffällig wenig schadet. Das bestätigte sich bei der Kommunalwahl im Mai dieses Jahres, wo die AfD mit 16,4 Prozent nahezu aus dem Stand ebenfalls zweitstärkste Kraft wurde.

Wie weit sind die Kenia-Partner in Sachsen noch von der Regierungsbildung entfernt?
Zunächst entscheiden die Parteigremien, bei den Grünen ein Parteitag am 12. Oktober. Die Sondierer, unter denen die Vorsitzenden der drei Parteien sind, werden dort wohl die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfehlen. Verlaufen sie konstruktiv, könnte CDU-Chef Michael Kretschmer noch vor dem Jahreswechsel im Landtag zum Ministerpräsidenten wiedergewählt werden.

Am Willen der Sondierer dürfte das nicht scheitern. Sie sehen es als ihre Aufgabe, eine Regierung zu bilden, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Und das heißt aus ihrer Sicht eben auch: die AfD als Regierungskraft zu verhindern. Spannend ist, wie sich die Konservativen in der Sachsen-Union verhalten. Ein Bündnis mit den Rechtspopulisten fordert von ihnen zwar niemand. Doch scharfe Passagen etwa zum Thema Asyl stehen nicht im Sondierungspapier.

Schwarz-Rot-Grün - wie viele Risiken birgt das gemeinsame Regieren von CDU, SPD und Grünen?
Schwarz-Rot-Grün - wie viele Risiken birgt das gemeinsame Regieren von CDU, SPD und Grünen?

© imago images/Steinach

Dass sich jemand aus den konservativen Zirkeln offen gegen Kretschmer ausspricht, gilt derzeit dennoch als unwahrscheinlich. Kretschmer schaffte nicht nur einen respektablen Wahlsieg. Er holte in seinem Wahlkreis auch das Direktmandat. Und er sorgte dafür, dass einer der CDU-Konservativen, Matthias Rößler, erneut Landtagspräsident wurde.

Problematisch könnte es an ganz anderer Stelle werden. Etliche einflussreiche Verbände in Sachsen sind CDU-nah – und grünenkritisch. Vor Kurzem warf der Bauernverband der Ökopartei etwa mangelndes Wissen über die Landwirtschaft vor. Die Grünen haben durchgesetzt, dass in Sachsen der Pestizidverbrauch mittelfristig halbiert werden soll. Und nicht nur für den Bauernverband gilt: Funktionäre können Druck auf die CDU machen und damit die Koalitionsrunden erschweren.

Wie groß ist die Chance, dass Kenia in Sachsen funktioniert?
Für reibungsloses Funktionieren spricht, dass die Spitzenvertreter von CDU, SPD und Grünen einen Draht zueinander haben. Es sind, etwas gerundet, Menschen um die 40, die sich teils schon lange kennen und pragmatisch, weniger ideologisch agieren.

Dagegen spricht, dass große Themen in einem Koalitionsvertrag voraussichtlich ausgeklammert werden. So entscheidet über das umstrittene Polizeigesetz und damit auch über die künftige Behandlung des Themas zunächst der Verfassungsgerichtshof in Leipzig.

Zum Braunkohleausstieg steht zwar im Sondierungspapier: „Der Kohlekompromiss gilt.“ Doch einerseits soll versucht werden, keine Flächen in Anspruch zu nehmen, die „im Rahmen des Kohlekompromisses nicht benötigt werden“. Andererseits soll der Weiterbetrieb des Lippendorfer Braunkohlekraftwerks sichergestellt werden. Das birgt Konfliktpotenzial – in einer Koalition, aber auch im Verhältnis zu Bergbauunternehmen.

Was sind die größten Hürden in den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD, CDU und Grünen in Brandenburg?
In der Energiepolitik, Migration und Abschiebungspraxis, innerer Sicherheit und Landwirtschaft liegen die Pole zwischen den „Kenianern“ in Brandenburg am weitesten auseinander. Und zwar vor allem zwischen der strukturkonservativen SPD von Ministerpräsident Dietmar Woidke und den Grünen, während die CDU in der Opposition schon inhaltlich eng mit den Grünen kooperierte.

Doch hat man in den Sondierungen, die schon vorgezogene Koalitionsverhandlungen waren und in ein detailreiches 10-Seiten-Papier mündeten, bereits Kompromiss-Leitplanken gefunden. Das heißeste Eisen ist auf Wiedervorlage vertagt: So verzichtet Brandenburg erst einmal auf den Bau eines eigenen neuen Abschiebegefängnisses, das SPD und CDU eigentlich wollten. Erst wenn der Bedarf nachgewiesen ist, will man darüber wieder reden.

In den Koalitionsverhandlungen dürfte es bei der Verteilung der Ressorts richtig zur Sache gehen: Besonders schwer dürfte es Woidke und der SPD fallen, zu Gunsten der Grünen auf das Agrar- und Umweltministerium zu verzichten.

Welche Fliehkräfte würden Kenia in der Mark zu schaffen machen?
Viel wird davon abhängen, ob ein Programm vereinbart werden kann, mit dem die aktuell drängenden Probleme angepackt werden, es dann eben keine AfD-Verhinderungs-Koalition ist. Ob Kenia hier gelingt, wird vor allem vom menschlichen Faktor abhängen: Ob Dietmar Woidke, CDU-Chef Michael Stübgen und die Grünen-Spitzenfrau Ursula Nonnemacher eine vertrauensvolle Geschäftsgrundlage finden. Mit permanenten Konflikten, einem latenten gegenseitigen Misstrauen à la Rot-Rot-Grün in Berlin dürfte es schwer werden. Ein Risiko ist auch, dass mit CDU und Grünen zwei langjährige Oppositionsparteien in die Regierung kommen, denen nicht viel Zeit zur Einarbeitung bleiben wird.

In Brandenburg haben sie nicht viel Zeit für die Kenia-Regierungsbildung. Die Verfassung setzt einen eisernen Rahmen, der eine monatelange Hängepartie wie im Bund nach der Bundestagswahl von vornherein ausschließt. Spätestens am 25.Dezember – drei Monate nach der Konstituierung des Landtags – muss der Ministerpräsident gewählt sein, die neue Regierung stehen. Sonst gibt es Neuwahlen.

Die Kenia-Verantwortlichen, aber auch etwa die Linken machen sich keine Illusionen, wie vorzeitige Neuwahlen ausgehen würden, wenn das breite demokratische Parteienspektrum mit einer Regierungsbildung scheitert – oder Kenia nicht lange überlebt.

Könnte der Versuch, die AfD mittels bürgerlichen Zweckbündnissen von der Macht fernzuhalten, diese Partei am Ende womöglich sogar noch stärken?
Das ist nicht ausgeschlossen. Die AfD benötige ihr Opfer-Narrativ, um Wähler an sich zu binden und werde natürlich weiter daran stricken, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. Doch eine solche Dauererzählung lasse sich über fünf Jahre kaum aufrechterhalten, sie werde sich erschöpfen.

Und man könne ihr mit klugen Strategien begegnen. So sei es nicht ungeschickt gewesen, in Sachsen und Brandenburg auch AfD-Politiker als Landtagsvizepräsidenten einzubinden, meint Vorländer. Zudem könne gute Politik dazu beitragen, dass sich das Problem erübrige – und sich die Partei im Streit zwischen Kooperationswilligen und rechtsextremem Flügel am Ende selbst zerlege.

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