Brandenburg: Auf stabilen Sohlen
Aus Brandenburg in die Welt: Die Schuhfabrik Trippen expandiert in Zehdenick und liefert bis nach Japan
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Zehdenick - Die Treter polarisieren. Lieben oder hassen – was anderes gibt es nicht bei Schuhen von Trippen. Die Form der 600 Modelle aus 15 Ledersorten changiert zwischen orientalischen Pantöffelchen und urdeutschen Ökoschuhen. Für den Winter gibt''s derbe Stiefel in Schwarz oder Braun, für den Sommer filigrane Sandalen mit Gummi- oder Holzsohlen. Im Hauptgeschäft, neudeutsch: Flagshipstore, in den Hackeschen Höfen in Berlin, kann man sie stehen sehen. Jedes Modell in einer eigenen, gut ausgeleuchteten Nische: Schuhe für die Ewigkeit, fast wie im Museum. 100 bis 300 Euro das Paar.
Zehdenicks Bürgermeister Arno Dahlenburg ist ein Diplomat, der Schuhe weder liebt noch hasst. Ob er Trippen trägt? „Noch nicht“, lacht er, die Optik sei etwas gewöhnungsbedürftig. Fan der Firma, die ihre Erfolgsschuhe in Zehdenick produziert, ist er trotzdem. Schon von Amts wegen. Die Trippen GmbH sei ein Aushängeschild für die Stadt. „Toll, dass sie sich so entwickelt hat.“ Mit vier Mitarbeitern startete die Produktion hier 1998, inzwischen sind es 52 und ab September noch mehr. Trippen verlegt seine Großhandelslogistik von der Firmenzentrale in Berlin-Treptow komplett nach Zehdenick. Schuhversand aus Brandenburg in 35 Länder – bis nach Japan, Taiwan und Libanon. Fast 140 000 Paar im Jahr, Umsatz 2006 um die zehn Millionen Euro.
Michael Oehler – zusammen mit Partnerin Angela Spieth Gründer und Inhaber der Schuhfirma – hat die 15 000 Einwohner-Stadt 60 Kilometer nördlich von Berlin 1991für sich entdeckt. „Da hab'' ich Maschinen aus der Konkursmasse des VEB Schuhfabrik Zehdenick für meine Schuhmacherwerkstatt in Berlin-Kreuzberg gekauft“, erzählt er. Die ersten vier Angestellten in Zehdenick waren denn auch Schuhfacharbeiter aus dem VEB. Auf deren Erfahrungen konnte Trippen gut zurückgreifen, sagt Bürgermeister Dahlenburg. Zehdenick habe eben Schuhtradition.
Fast jeden Morgen geht Michael Oehler, 46, mit einem klappernden Transporter auf Landpartie nach Zehdenick. Berlin liegt kurz nach sechs wie frisch gewaschen im Morgenlicht. Und auf den Wiesen im Landkreis Oberhavel steht der Frühnebel. Die malerische Tonstichlandschaft mit den vielen Seen sei wichtig für ihn, sagt Oehler, gerade in der täglichen Hektik. „Ich bin inzwischen auch oft wochenends in unserer Datsche bei Zehdenick.“ Vier Kollektionen von Trippen werden in Zehdenick gemacht, eine in Italien. Von dort stammen auch die Schuhsohlen, die Oehler als sein eigener Spediteur hinten im Auto hat. Die zweite Produktionsstätte in Italien sterbe langsam aus, sagt er. „Den kleinen Familienbetrieben, die jetzt noch mit rund 100 Leuten unsere Schuhe nähen, fehlt der Nachwuchs.“ Schlecht für die Italiener, gut für die Brandenburger: Anders als Firmen, die die Produktion nach Asien verlegen, erweitert Trippen seine Kapazitäten in Zehdenick. Eine Million Euro fließt fürs Erste in neue Produktionshallen, Maschinen und Jobs. „In Zehdenick basteln wir am Gemeinwesen mit“, sagt Michael Oehler. Arbeit sei wichtig für die Leute. Das nachhaltige Konzept der Firma setzt auf Teamarbeit und Hilfestellung für Mitarbeiter, die Langlebigkeit der Schuhe, recyclebare Sohlen, umweltfreundliche Verarbeitung und vor allem auf jede Menge Handarbeit. „Ideen, die sich in Schuhen ausdrücken“, nennt Oehler seinen „Lebenstraum als Schuhtraum“.
Nach einer Stunde Fahrt biegt der Chef in eine Industriesiedlung mit eher herbem Charme ein. In der wuseligen Fabrikhalle wird von halb sieben bis vier gearbeitet. Das hätten die Mitarbeiter selbst festgelegt, weil es gut für die Familien sei, meint Oehler. Er lege fest, wie viele Schuhe im Monat produziert werden oder dass ein neuer Biokleber eingeführt werde. Wie sie das umsetzen, organisierten die Mitarbeiter selbst. Nähmaschinen rattern und ein Mann mittleren Alters eilt herbei, um die Kisten aus Oehlers Transporter auszuladen. Duzen und Siezen geht munter durcheinander. Was aussieht wie Kekse ausstechen, ist das Stanzen von Lederteilen mit einer Metallschablone.
Antonia Gerth, 19, aus Gransee ist eine von acht Azubis. Wie sie zu Trippen gekommen ist? „Durch meine Mutti, die ist auch hier.“ Und wie gefällt der Job des Schuhfertigers? „Super, ich wollte immer was Handwerkliches machen.“ Weiter hinten in der Halle steht Jewgeni Klein an einer großen Maschine und näht Gummisohlen an weiße Frühlingsschuhe. Er gehört zu einer Familie Russlanddeutscher, die bei Trippen arbeitet. „Erst war schwer“, sagt er schüchtern lächelnd in gebrochenem Deutsch, „aber jetzt läuft es wunderbar, kann man schon an Zukunft denken.“ Vor der Halle stehen zwei Fußballtore. Der Boden ist zertreten, die Netze hängen in Fetzen in den Rahmen. „Das ist unser Bolzplatz“, sagt Michael Oehler. Der sei wichtig für das Betriebsklima. „Da kämpfen die Brandenburger in der Mittagspause gegen die Russlanddeutschen und reagieren sich ab.“ Die Firma Trippen engagiere sich sehr für ihre Mitarbeiter, sagt Bürgermeister Dahlenburg. „Die wollen die Leute wirklich mitnehmen und bilden fleißig aus.“ Trotzdem gab es im Februar Querelen wegen Grundstücks- und Hallenkäufen zwischen Trippen und der Stadt. Die Zehdenicker Stadtväter verstehen sich Unternehmern gegenüber manchmal zu wenig als Dienstleister, sagt Michael Oehler. „Immerhin bringen wir mehr als 300 000 Euro Gewerbesteuer mit.“ Das schwäbische Unternehmensprinzip von Trippen, nie mehr in Grund und Gebäude zu investieren als den Wiederverkaufswert, verstehe kaum jemand. „Aber wir schlafen so besser.“ Inzwischen sind Trippen und Zehdenick wieder versöhnt und die Expansion kann losgehen. „Alles Schnee von gestern“, sagen Bürgermeister und Unternehmer. Ob Oehler mit Schuhen die Welt verbessern will? „Nee, die Dinger sollen Spaß machen und zwar allen, die daran arbeiten.“
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