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GRENZKRIMINALITÄT: Das Problem mit der offenen Grenze
Lange ließ er sich bitten, jetzt übernimmt der Bund die Führung im Kampf gegen organisierte Kriminalität, Autoklau und Einbrüche. Worum geht es?
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Frankfurt (Oder) - Erstmals sprachen Vertreter der Bundesrepublik und Polens am Montag in Frankfurt (Oder) über die drastisch gestiegene Grenzkriminalität. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), sein polnischer Amtskollege Jacek Cichocki und die Innenminister der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen vereinbarten eine engere Zusammenarbeit.
WARUM IST DIE GRENZKRIMINALITÄT EIN PROBLEM?
Seit Polen Ende 2007 dem EU-Schengenraum beigetreten ist und die Grenzkontrollen abgebaut wurden, haben Einbrüche und Diebstähle in der Grenzregion zu Polen und im Berliner Umland rasant zugenommen. Die Polizei ist gegen den dramatischen Anstieg der Diebstahls- und Einbruchszahlen weitgehend machtlos. Das musste Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) Mitte März einräumen. Zwar sank die Gesamtzahl aller Straftaten in der Grenzregion, doch bei Diebstählen – besonders von Autos – verzeichnete die Polizei teils dramatische Anstiege. Inzwischen ist in Ost-Brandenburg jede zweite Straftat ein Diebstahl. Die Zahl der gestohlenen Autos stieg seit 2007, also noch vor dem Beitritt Polens zum Schengenraum und dem Wegfall der Grenzkontrollen, um 275 Prozent. Zugleich klärte die Polizei so wenig Fälle auf wie nie. Gemessen an den Straftaten pro 100 000 Einwohner lagen die Grenzgemeinden 2011 bei etwa 9800, während der Landesdurchschnitt knapp 7900 betrug.
WARUM IST DAS THEMA BRISANT?
Als am 21. Dezember 2007 die Grenzen nach Polen und Tschechien geöffnet wurden, war die Politik bemüht, Ängste in der Bevölkerung zu zerstreuen. Der damaligen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) wies Sicherheitsbedenken zurück. Auch nach dem Wegfall der Grenzkontrollen werde die Bundespolizei im Umkreis von 30 Kilometern „mit erhöhtem Personalaufwand Kontrollen durchführen“, sagte Schäuble. „Darum werden wir einen Gewinn an Sicherheit haben, nicht einen Verlust.“ Auch in den Jahren danach hatten führende Politiker Warnungen vor der steigenden Grenzkriminalität aus Rücksicht vor dem Nachbarland, wegen des historisch sensiblen Verhältnisses zu Polen und aus Sorge vor Polen-Feindlichkeit und Rechtsextremisten als „Alarmismus“ dargestellt, selbst Brandenburgs damaliger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der um deutliche Worte nie verlegen war. Vor einem Jahr dann brach Innenminister Dietmar Woidke (SPD) damit und räumt ernsthafte Probleme an der „Wohlstandsgrenze“ ein. Denn es geht nicht einfach nur um gestohlene Autos, Land- und Baumaschinen, es geht um das Verhältnis zu Polen, die Haltung der Menschen in der Grenzregion mitten in Europa und um tief sitzende Vorurteile. Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) warnte schließlich Ende 2011 die Kriminalität könne sich „negativ auf die Stimmung“, auf das Verhältnis zum Nachbarland in der Bevölkerung, schließlich auch die deutsch-polnischen Beziehungen auswirken. „Die Bürger erwarten Sicherheit trotz offener Grenzen“, sagte Friedrich am Montag.
WARUM IST BRANDENBURG BESONDERS BETROFFEN?
Brandenburg ist wie Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen wegen seiner Lage und den wichtigsten Ost-West-Transitstrecken in Richtung Polen besonders betroffen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden schleusen die europaweit tätigen Banden die in anderen Bundesländern und Westeuropa gestohlenen deutschen Mittel- und Oberklasse-Wagen über die wichtigste Ost-West-Achse nach Polen, Litauen , die Ukraine und andere Staaten. Dahinter stehen bestens aufgestellte Banden, die regelrecht Auftragslisten abarbeiten und dazu Händlerportale im Internet beobachten. Zudem klagen Wirtschaftsverbände und Unternehmen in der Grenzregion über den Diebstahl von teuren Bau- und Landwirtschaftsmaschinen. Zudem stieg die Zahl der Einbrüche in Wohnungen, Garagen und Lauben. Von den gefassten Tätern sind mehr als 70 Prozent Polen und Litauer, 40 Prozent der gestohlenen, von der Polizei gestoppten Wagen stammen nicht aus Brandenburg. Woidke spricht deshalb von einem „europäischen Problem“. Der Polizei in Brandenburg gehen bislang meist nur Handlanger und Kuriere ins Netz, die die gestohlenen Autos fahren, nicht aber die Hintermänner.
WAS HAT DIE POLIZEI BISHER GETAN?
Woidke hat die im November 2010 gegründete „Soko Grenze“ auf 90 Beamte aufgestockt, sie ist inzwischen landesweit im Einsatz. Zudem sind seit Jahresbeginn drei der vier Hundertschaften im Großeinsatz, der jüngst bis Ende Juni verlängert wurde. Wegen der Grenzkriminalität federt der Innenminister auch den geplanten Personalabbau von 8900 auf 7000 Beamte ab. Zudem wurde das Projekt „Künstliche DNA“ gestartet, mit der Fahrzeuge in der Grenzregion markiert werden und mit deren Herkunft zugeordnet werden kann. Insgesamt übernahm Brandenburg seit Herbst 2011 in den Verhandlungen mit den polnischen Sicherheitsbehörden eine Führungsrolle, verabredete verdeckte Ermittlerteams, mehr gemischte Streifen, gemeinsame Funknetze und eine enge Zusammenarbeit der Justizbehörden. Der Bund blieb lange außen vor.
WAS WURDE JETZT VEREINBART?
Bundesinnenminister Friedrich lehnte ein stärkeres Engagement der Bundespolizei – wie von Brandenburg gefordert – stets ab. Jetzt sagte er zu, die Zahl der Beamten entlang der Grenze nicht weiter zu reduzieren. Zudem laufen die Gespräche mit den polnischen Sicherheitsbehörden jetzt unter Federführung der Bundespolizei, ab Herbst soll es regelmäßige Treffen geben, bei denen es um Organisierte Kriminalität, Eigentumsdelikte und grenzüberschreitenden Extremismus geht. Der deutsch-polnische Vertrag über die Polizeizusammenarbeit soll bald fertig sein und rechtliche Hürden beseitigen, etwa bei Verfolgungsfahrten und damit die Ergebnisse der Ermittlungsteams auf beiden Seiten rechtlich wasserdicht und verwertbar sind.
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