Brandenburg: Ein Integrator
Lothar Bisky hat seit 1990 nicht nur die Linkspartei geprägt – sondern auch Brandenburgs Politik. Jetzt ist er im Alter von 71 Jahren daheim in Sachsen gestorben
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Potsdam/Berlin - „Ich bin ein Schildbürger“, sagte Lothar Bisky noch vor ein paar Tagen am Telefon. Eigentlich sei er ja im Urlaub, daheim im nordsächsischen Schildau, erklärte er. Aber dann kommentierte er doch den Vorwurf von Peer Steinbrück, der Angela Merkels fehlende Leidenschaft für Europa auf deren DDR-Sozialisation geschoben hatte. „Einfach blödsinnig.“ Punkt. Aber ist Bisky wirklich ein Schildbürger gewesen, bloß weil er den Politikbetrieb nie so ganz ernst nahm? Oder stellte er sich manchmal einfach nur, wie ein Schildbürger, dümmer, als er wirklich war?
Vier Tage vor seinem 72. Geburtstag ist Lothar Bisky am Dienstag gestorben, der langjährige Vorsitzende von PDS und Linkspartei, ein Mann, der nach 1990 über ein Jahrzehnt Brandenburgs Linke-Landtagsfraktion prägte und bis 2002 führte, der zu den außergewöhnlichen Persönlichkeiten des Nachwende-Brandenburgs gehörte. Einer, der gegen Ungerechtigkeiten stritt, besonders im Osten, aber nie nur. Und der selbst, was manch eigener Genossen nicht wusste, einst aus dem Westen kam. Vielleicht ein Grund, weshalb er mit Feindbildern, plumpen Klischees nie viel anfangen konnte. Als 18-jähriger junger Mann war er 1959 aus Schleswig-Holstein in die damalige DDR übergesiedelt, während von dort Zehntausende gen Westen flüchteten. Einen Schritt, den er später mit seinem Bildungshunger begründete. Die finanziellen Verhältnisse seiner Familie hätten es ihm nicht erlaubt, das Abitur abzulegen, zu studieren. Ein Unorthodoxer war er, schon damals.
Sein langjähriger Mitstreiter Gregor Gysi stand gerade auf einer Wahlkampfbühne im thüringischen Ilmenau, als ihn die Nachricht ereilte, für ihn genauso plötzlich und überraschend wie wohl für fast alle seine Parteifreunde. Die Familie von Bisky bat Gysi, den Tod bekannt zu machen: „Tieftraurig“ sei er, das waren die ersten Worte des Linken-Fraktionsvorsitzenden. Die Hintergründe blieben zunächst unklar. Genossen wussten, dass Bisky „nicht der Gesündeste“ war. Aber er litt, soweit bekannt, auch nicht an einer unheilbaren Krankheit. Von einem Unfall war in der Partei die Rede, genauere Informationen gab es nicht.
Bisky wird fehlen in der deutschen Politik, obwohl er zuletzt selbst immer öfter fehlte. Den Rückzug auf Raten hatte er selbst gewählt, 2010 nicht mehr für den Vorsitz der Linken kandidiert. Spöttisch-sarkastisch sagte er in seiner Abschiedsrede: „Manche Entwicklungswidersprüche können wir mit quotierten Doppelspitzen doppelt gut bearbeiten.“ Nachfolger von ihm und Oskar Lafontaine wurden die Ost-Frau Gesine Lötzsch und der West-Mann Klaus Ernst. Bisky war gegangen, als es der Linkspartei noch richtig gut ging. Zunächst blieb er noch eine Weile Fraktionschef der Linken im Europaparlament. Im März vergangenen Jahres verzichtete er auch auf dieses Amt, war fortan nur noch einfacher Abgeordneter im Straßburger Parlament, Mitglied des Kulturausschusses. Er sagte damals: „Ich selbst bin mit meinen 70 Jahren in einem Lebensalter, in dem ich nicht mehr die Zukunft verkörpere.“ Auch damals gab er gesundheitliche Gründe an.
Die Wende hatte Bisky, damals Rektor der Filmhochschule in Potsdam, in die Politik gespült. Er war einer der Redner auf der großen Demonstration am 4.November 1989 auf dem Alexanderplatz. Er ging in den Brandenburger Landtag, führte von 1990 bis 2004 führte als Vorsitzender die PDS-Landtagsfraktion. Er war der Oppositionsführer, einer, der für leise Töne stand, dem man im Landtag, wenn er ans Rednerpult trat, zuhörte. Und doch wäre ohne Bisky gerade in Brandenburg vieles nach der Wende nicht denkbar gewesen. Jedenfalls nicht so, wie es kam. Manfred Stolpes „Brandenburger Weg“, der polarisiert, an dem sich die Geister scheiden, ging nur mit einem wie Bisky, einem geläuterten Ex-SED-Mann, der vor 1989 zum Reformflügel der Staatspartei gehört, in der Filmhochschule Nischen ermöglicht hatte. Intellektuell waren ihm, vor allem in den Landtagen ab 1994, ohnehin nicht mehr viele gewachsen. Der frühere Minister und einstige SPD-Landesvorsitzende Steffen Reiche hat das einmal in kleiner Runde so formuliert: Schaue man von der Regierungsbank ins Plenum des Parlaments, dann nehme das intellektuelle Niveau von links nach rechts ab: Links saß Lothar Bisky mit seiner Truppe, mit Michael Schumann, mit Heinz Vietze, in der Mitte die eigenen Sozialdemokraten, ganz rechts die CDU, die nach 1990 viele Jahre vor allem sich bekämpfte.
Überheblich machte das Bisky nie. Aber dass es ihn schmerzte, wie das Niveau in der Politik, in den politischen Debatten nicht ansatzweise mit dem an einer Hochschule zu vergleichen war, konnte man stets heraushören. Denn er hat ihn geliebt, den Diskurs, mit Freunden, mit politischen Gegnern, mit Andersdenkenden. Genauso, wie er die ewigen Debatten in seiner Partei hassen konnte. Die Ewiggestrigen, die Bornierten in den eigenen Reihen hat er nicht gemocht. Nicht aus Wahltaktik, nicht weil er schon früh eine Koalition mit der SPD anpeilte, erst recht nach einem Jahrzehnt auf der Oppositionsbank, was schon zermürbte, weil: unterforderte. Nein, einfach weil einen Großteil davon schon in der DDR nicht leiden konnte, mit dogmatischem Denken schon da nichts anfangen konnte. Und weil er die DDR in der Summe ihrer Fehler und Verbrechen am Ende auch nicht für überlebenswert hielt. Er trauerte den alten Zeiten nicht nach.
Ja, Bisky hat die PDS, die frühere Staatspartei, in Brandenburg zu so etwas wie einem pragmatischen Oppositionspartner der SPD geformt. Immer mit der Option, dass daraus einmal mehr werden könnte. Er hat Manfred Stolpe und dessen Sozialministerin Regine Hildebrandt die linke Flanke gesichert. Und er war es auch, der Stolpe in dessen schwerster Krise beistand: Bisky leitete von 1992 bis 1994 den sogenannten Stolpe-Untersuchungsausschuss im Landtag, der die Kontakte des einstigen Konsistorialpräsidenten der evangelischen Kirche der DDR zum DDR-Geheimdienst untersuchte. Für Stolpe ging das bekanntlich brandenburgisch glimpflich aus. Und Bisky musste sich später selbst dem Vorwurf stellen, Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) für die DDR-Auslandsaufklärung gewesen zu sein, was er stets bestritt.
Und in dem Jahrzehnt, in dem Bisky das Nachwende-Brandenburg mitprägte, mischte er stets als PDS-Bundesvorsitzender zugleich auf der großen Bonner und später Berliner Bühne mit. Er war nach Gysi der zweite Chef der PDS, übernahm 1993 das Amt zum ersten Mal. Er versuchte die Partei zu öffnen, über den Anspruch der ostdeutschen Interessenvertretung hinaus. Und er kämpfte nach innen, damit dort die Kommunisten, darunter die heutige Vizevorsitzende Sahra Wagenknecht, nicht an Boden gewannen. Es waren harte Jahre für Bisky, der Streit unter Genossen setzte ihm immer mehr zu, 2000 schmiss er hin, die „finale Mülltonne“ sei voll, so erklärte er.
Damals gab Bisky das vielleicht persönlichste Interview, zu Hause, in Hohen Neuendorf. Schonungslos offen erzählte Bisky damals dieser Zeitung, wie sehr er in den Jahren zuvor litt, politisch, seelisch, körperlich – vor allem an der eigenen Partei. Er antwortete auf die Frage, ob er die Entscheidung, in die Politik zugehen, noch einmal treffen würde, so: „Die ehrliche Antwort: Nein.“ Da sprach einer, den die Attacken aus den eigenen Reihen, Verbohrtheiten verletzten, ja abstießen, einer, der „in der denunziatorischen Kommunikation der Linken“ ein Grundübel ansah. „Der Glaube, Hüter der Wahrheit zu sein, dieses Messianische, nahezu Religiöse, das in der Bewegung immer war. Das ist gefährlich, wenn man daran glaubt.“ Er erzählte von seinen Selbstzweifeln, der Angst, ein Politiker zu werden, vom Medikamentenkonsum. „Wenn man etwas nicht aushält, muss man die Schlussfolgerungen ziehen. Ich denke, ich bin bis an den Rand des Erträglichen gegangen. Jetzt ist der Punkt erreicht, wo Politik, würde ich sie wie bisher betreiben, mich körperlich krank machen würde.“ Und doch ließ sich Lothar Bisky wieder anstecken, in die Pflicht nehmen. 2003 übernahm er, der „Integrations-Opa“(Bisky über Bisky) den Bundesvorsitz erneut. Er steuerte von 2005 an die Fusionsverhandlungen zwischen PDS und der WASG. Es ist maßgeblich sein Verdienst, dass dieses Bündnis, das formell zwei Jahre später geschmiedet wurde, überhaupt zustande kam. Von 2007 an führte Bisky die neue Linkspartei gemeinsam mit dem ehemaligen SPD-Chef Oskar Lafontaine, drei Jahre lang. Beide hatten Anteil an dem wohl größten Erfolg: 11,9 Prozent für die Linke bei der Bundestagswahl 2009. Und nicht nur einmal verteidigte Bisky den prominenten Genossen Lafontaine gegen „Dreckschleuderei“. Doch sein Verhältnis zu Lafontaine – und auch zu Gysi – zerbrach, als der Saarländer die Absetzung des langjährigen Bundesgeschäftsführers Dietmar Bartsch durchsetzte.
Er hat Niederlagen und Schicksalsschläge weggesteckt, politisch, etwa als 2005 seine Bewerbung um das Amt des Vizepräsidenten im Bundestag scheiterte. Das war bitter. Persönlich, als 2008 sein Sohn Stephan, nur 23 Jahre alt, starb, was ihm den Boden unter den Füßen wegriss. Er hatte seine Art, damit umzugehen. Lothar Bisky, dessen wirkliche Liebe immer dem Film galt, schaute sich in solchen Stunden Streifen von Stanley Kubrick an. „Man schwebt. Man merkt, wie wenig man eigentlich ist.“
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