
© Peer Grimm, Karl Mittenzwei, Andreas Altwein/dpa
Brandenburg: Es ist kompliziert
Vor 20 Jahren scheiterte die Volksabstimmung zur Länderfusion. Zumindest Brandenburg hat die Erfahrung gemacht, dass es allein ganz gut klarkommt
Stand:
Ach ja, da war mal was! Als Brandenburgs Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) dieser Tage gefragt wird, wie er das Scheitern der Länderfusion persönlich erlebt hat, muss man seinen Gesichtsausdruck gesehen haben, sein Erstaunen, was diese seltsame Historienfrage soll. Woidke kann sich aber noch gut daran erinnern, wie er damals als 34-jähriger Hinterbänkler der SPD-Fraktion im Parlament, das damals noch nicht im aufgebauten Potsdamer Stadtschloss, sondern im „Kreml“ auf dem Brauhausberg hauste, brav am „Fusions-Bürgertelefon“ seine Dienste schrubbte. Er versuchte Anrufern die Sorge vor dem vereinigten Land zu nehmen, was oft vergebliche Müh war. „Ich bin, anders als der damalige Fraktionschef Wolfgang Birthler, ein Befürworter gewesen“, erzählt er. „Ich war ja wirklich davon überzeugt, dass es gut war.“ Und es klingt, als ob er über eine Jugendsünde spricht.
Ja, da war mal was zwischen Berlin und Brandenburg, gewissermaßen eine Affäre. 20 Jahre, zwei ganze Jahrzehnte ist das nun schon her, seit an jenem Abend des 5.Mai 1996 die Hochzeitsparty im Jagdschloss Glienicke ausfiel. Der Versuch, Berlin und Brandenburg zu einem gemeinsamen Bundesland zu machen, zum fünftgrößten der Republik, ebenbürtig etwa mit Baden-Württemberg, mit Potsdam als Hauptstadt, war gescheitert. Dabei hatten schon 1991 dafür erste Vorbereitungen begonnen, war 1994 ein Staatsvertrag ausgehandelt und 1995 von beiden Parlamenten verabschiedet worden. Und danach hatte eine breite Allianz dafür öffentlich getrommelt, vornweg die beiden Regierungschefs Manfred Stolpe (SPD) und Eberhard Diepgen (CDU) samt Kabinetten, Parteien, Unternehmerverbände, Gewerkschaften, Kirchen und ja, auch fast alle Medien der Region in einer Einmütigkeit, wie es sie vorher und auch danach nicht mehr geben sollte.
Tja, und trotzdem klappte es nicht. Zwar hatte es bei der Volksabstimmung in Berlin selbst eine 53,4-Prozent-Mehrheit gegeben, aber eben nicht in Brandenburg. Dort stimmten 62,7 Prozent mit Nein, waren nur 36,6 Prozent dafür, ein Machtwort des Souveräns. Kein Wunder, dass Manfred Stolpe einen Rücktritt erwog und von einem „Scherbenhaufen“ sprach. Heute erinnert sich kaum noch einer an die Krämpfe vorher, an das eher peinliche Werbe-Agitprop mit all den Hochglanzbildern lächelnder Kinder, inflationären Adlern und Bären in Gemeinsam-sind-wir-stark-Posen oder an jenes Poster einer schattigen Allee, das dann als Aufnahme aus dem Süden Frankreichs enttarnt wurde.
Oder daran, wie der damals noch mächtige Westberliner Frontstadtkampe, der CDU-Fraktionschef Klaus Rüdiger Landowsky, den Märkern schon mal prophezeite, wie man im neuen Land schon „mit dem eisernen Besen in mancher sozialistischen Wärmestube“ kehren würde. Er war es, der mit diesem Spruch der brandenburgischen PDS-Opposition für ihren dialektisch verbrämten Anti-Fusions-Kampf („Wir sind für die Fusion, aber gegen schlechte Verträge“) die nötige Munition lieferte und die Vorbehalte der Brandenburger vor der drohenden Dominanz der überzähligen und arroganten Berliner schon vor der Fusion bestätigte.
Seitdem ist viel Wasser Havel und Spree hinunter geflossen. Die damaligen Fusions-Aktivisten sind längst von der aktiven politischen Bühne verschwunden. Was aus dem „Scherbenhaufen“ geworden ist? Beide Bundesländer haben sich eingerichtet, in ihrer Single-WG der Hauptstadtregion, Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. Pardon für die Fortschreibung der Fusions-Rhetorik! Die Regierungen tagen alle Jahre mal gemeinsam. Man kooperiert da, wo es nötig oder unausweichlich ist, und lässt sich ansonsten gegenseitig in Ruhe. Ab und zu gibt es mal ein Gewitter, und manchmal auch ohne Einigung, wie um die Braunkohle oder um ein schärferes Nachtflugverbot am BER, falls der jemals eröffnen sollte, der neue Flughafen draußen in Schönefeld, noch so ein bislang gescheitertes berlin-brandenburgisches Projekt.
Die vielen Institutionen aber, die einst extra zusammengelegt wurden, arbeiten meist geräuscharm, mal besser, mal schlechter, wie sie es getrennt auch tun würden. Was wurde nicht alles fusioniert, die Landesplanung, das Statistikamt, der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB), der im Konzert der ARD-Anstalten trotzdem keine starke Anstalt wurde. Das Eichwesen, ohne dass es dabei nennenswerte Fusions-Effekte gab, wie Brandenburgs Rechnungshof später herausfand.
Manchmal ist man inzwischen auch wieder getrennte Wege gegangen: Weil auf den Gymnasien in den brandenburgischen Weiten wegen der geringen Schülerzahlen nicht so viele Leistungskurse angeboten werden können wie in Berlin, ist Brandenburg aus dem gemeinsamen Zentralabitur wieder ausgestiegen, damit märkische Abiturienten nicht benachteiligt sind. Für Familien, die über die Ländergrenzen umziehen, sind manche Unterschiede schon krass: In Berliner Kitas werden keine Elternbeiträge verlangt, während ein paar Kilometer weiter in Kleinmachnow, Potsdam, ja überall in Brandenburg für Eltern monatlich teils hundert, zweihundert, dreihundert Euro monatlich fällig werden.
Trotzdem spielt im Alltag der meisten Berliner und Brandenburger die Landesgrenze kaum noch eine Rolle. Klar, am Reformationstag fallen die Märker regelmäßig in die Hauptstadt zum Shoppen ein. Klar, die 170 000 Brandenburger, die nach Berlin zum Arbeiten pendeln, oder die 80 000 Berliner in umgekehrter Richtung, ärgern sich über verspätete, ausgefallene S-Bahnen, manch umständliche Verbindung, auch Staus an Nadelöhren. Hätte eine Fusion von Stadt und Land daran wirklich etwas geändert?
In den ersten Jahren nach dem Scheitern zelebrierte die Politik noch regelmäßig diese therapeutischen Anti-Kater-Rituale, nach dem gleichen Muster: Es kam die Aufforderung etwa von Klaus Wowereit („Berlin ist bereit“) an die Brandenburger, einen neuen Anlauf zu versuchen, den Appell, Mut zu beweisen, was die Brandenburger ebenso stoisch zurückwiesen. Es wurden immer wieder mal neue Fahrpläne und Jahresdaten empfohlen, die ebenso fix wieder verworfen wurden. Inzwischen ist die nächste Stufe erreicht. Auch in Berlin sind die Fusionsaufrufe still und leise eingestellt worden. Das Thema ist für das Rote Rathaus, auch für den neuen Berliner Regierenden Michael Müller (SPD) abgehakt. Man schafft es ja schon kaum, die eigenen Probleme zu lösen, und überhaupt, diese seltsamen Brandenburger.
Oft ist, in Berlin wie in Brandenburg, in offiziellen Reden zutreffend von der gemeinsamen Hauptstadtregion die Rede. In der politisch-medialen Kultur ist eine solche berlin-brandenburgische Gemeinsamkeit allerdings nicht existent. Die politischen Klassen beider Länder sind sich, mit Ausnahme vielleicht der Grünen, im Grunde fremd geblieben, und seit 1996, wo man sich nähergekommen war, sogar fremder und fremder geworden. Selbst zwischen Landesverbänden der gleichen Partei liegen da meist Welten, wie etwa die SPD beweist, wo die Berliner Sozis eher die brandenburgischen Linken links überholen. Vor allem aber sind da das Berliner Tempo, die Lautstärke, die Erregungskurve dieser quirligen Metropole, deren Politikbetrieb sich in kürzester Zeit auf Hochspannung fiebern kann. Nie konnte man das besser studieren, als 2013 am ersten BER-Arbeitstag von Hartmut Mehdorn, der im Brandenburger Landtag seine immer noch aktuelle Frage formulierte: „Muss man Tegel wirklich schließen?“ Da konnte man im Saal auf den Laptops der Korrespondenten der Berliner Zeitungen in Echtzeit verfolgen, wie die Hauptstadt hochfuhr, innerhalb von Minuten Titelseiten freigeräumt, schon die Reaktionen von Politikern und Tegel-Anwohnern eingeholt wurden, während die Sitzung brandenburgisch gemächlich weiter lief und die Landpolitiker nicht einmal ahnten, wie in Berlin die Post abging.
In Brandenburg wiederum hat man über Jahrhunderte tief verinnerlicht, was bis heute die Mentalität und auch die Politik prägt, dass es ganz klug ist, lieber erst einmal abzuwarten, ob ein Problem am nächsten Tag oder in der nächsten Woche immer noch existiert. Weil es erst dann wirklich ein Problem ist, das dann eben irgendwie gelöst werden muss, egal wie.
So lassen sich bis heute alle Deutungen, warum einst die Länderfusion scheiterte, warum sich beide Seiten nicht näher kommen, auf Fontanes treffende Ur-Beobachtungen von Land und Leuten reduzieren. Der hat die Märker schon damals als „tüchtige, aber eingeengte Leute“, aber „ohne rechte Begeisterungsfähigkeit“ beschrieben, und den Berlinern den Spiegel vorgehalten, dass ihr „Grundzug“ ein „krasser Egoismus“ sei, ein „naives, vollkommen aufrichtiges Durchdrungensein von der Überlegenheit und besonderen Berechtigung der eigenen Person und des Ortes.“ Wie soll zusammengehören, was nicht zusammenpasst?
Gewandelt hat sich trotzdem etwas, nämlich Brandenburg selbst. Nein, nicht die Anti-Fusions-Stimmung der Märker. Die ist, wie 2007 eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung bestätigte, so wie eh und je. Aber das Land selbst, in den 1990ern im Osten noch ein Schlusslicht, Synonym für Pleiten, Pech und Pannen, für gescheiterte Großprojekte, ist durchgestartet, in den Wirtschafts- und Arbeitsmarktdaten, mit einer Arbeitslosigkeit, die von einst 20 Prozent auf acht, neun Prozent gesunken ist.
Man hat in Brandenburg also die Erfahrung gemacht, ohne Berlin klarzukommen, und das ziemlich gut sogar. Wohin das führt, illustrierte im Februar 2016 eine Umfrage der Industrie- und Handelskammern der Region unter ihren Mitgliedern, unter nüchtern kalkulierenden Unternehmern. Und siehe da, selbst bei Brandenburger Firmenchefs ist demnach die Zustimmung für eine Länderfusion – die Berliner sind zu 60 Prozent dafür – auf den bisherigen Tiefststand von 40 Prozent gesunken.
Dazu passt, wenn Brandenburgs heutiger Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) heute zutiefst davon überzeugt ist, dass sich der Landstrich zwischen Uckermark und Lausitz nicht so gut entwickelt hätte, wenn Brandenburg tatsächlich in einem gemeinsamen Land mit Berlin aufgegangen wäre. Er sagt zum Ausgang des Volksentscheides am 5.Mai 1996 heute Sätze, die seinen Vorgängern Manfred Stolpe und wohl auch Matthias Platzeck nicht über die Lippen gekommen wären: „Ich bin froh darüber, dass die Menschen sich für ein eigenständiges Land entschieden haben.“ Die Brandenburger haben damals eine weise Entscheidung getroffen? „Ja, das haben sie.“
Und dann weist Woidke eher beiläufig auf einen anderen, wenig beachteten Umstand hin. Auch im Berliner Umland, sagt er, sei „ja inzwischen die Skepsis gewachsen, und mein Eindruck ist, sie wächst.“ Nun sind in den letzten Jahren vor allem Zehntausende Berliner raus in den Speckgürtel gezogen, ein Trend, der sich gerade wieder verstärkt. Manche hatten darauf gehofft, dass da die Eisbrecher kommen, die irgendwann die Stimmung und die Mehrheiten in Brandenburg schon drehen für ein gemeinsames Land.
Es spricht inzwischen mehr dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Denn viele Ex-Berliner machen nun die faszinierende Erfahrung, dass in Falkensee, Kleinmachnow oder Potsdam die Bürgerämter funktionieren, die Schulen samt Klos nicht marode sind. Wer will in Brandenburg, bei allen hiesigen Missständen und Misslichkeiten, schon Berliner Verhältnisse? Nein, das war’s, Fusion!
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