Von Alexander Fröhlich: Freie Radikale
Innenminister Woidke verbietet die aggressive Neonazi-Gruppe „Freie Kräfte Teltow-Fläming“ / Großrazzia der Polizei
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Zossen – Es war eine der aktivsten und äußerst gewaltbereiten Neonazi-Gruppen im Land Brandenburg: Ein Brandanschlag auf das Haus der Demokratie in Zossen, Hakenkreuze auf Gedenksteinen und Todesdrohungen gegen couragierte Bürger gegen Rechts – all diese Straftaten wurden zumindest aus dem Umfeld der „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ heraus begangen. Am Montag nun hat Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) die „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ verboten. „Das war für den Rechtsstaat nicht länger hinnehmbar. Jetzt ist Schluss!“, sagte Woidke am Montagmittag in Potsdam. Das Verbot ist das bundesweit erste gegen die sogenannten Freien Kräfte – nicht fest organisierte Neonazis.
Bereits seit sechs Uhr hatte Beamte etwa 20 Personen im Alter zwischen 19 und 25 Jahren sowie einem 44-Jährigen die Verbotsverfügung zugestellt. Mehr als 175 Polizisten durchsuchten 20 Wohnungen in Blankenfelde-Mahlow, Ludwigsfelde und in der Beethovenstraße 39 in Berlin-Lankwitz. Die Beamten stellten neun Computer, mehrere Mobiltelefone, Festplatten, Propagandamaterial, Hakenkreuzfahnen, Messer und Schlagstöcke sicher. Das Vermögen des Vereins – 700 Euro – wurde beschlagnahmt und eingezogen. Gefunden haben die Beamten nach Angaben von Kriminaloberrat Mathias Hain vom Landeskriminalamt (LKA) Brandenburg, der den Einsatz leitete, auch eine Beitragszahlerliste.
Laut Woidke richtete sich die Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung, da sie sich zum Nationalsozialismus bekannte, eine fremdenfeindliche und rassistische Grundhaltung vertrat, Antisemitismus propagierte und antisemitische Propaganda verbreitete. „Die ''Freien Kräfte Teltow-Fläming'' propagierten einen völkischen Kollektivismus im Sinne des Nationalsozialismus des Dritten Reichs und machten die demokratische Staatsform verächtlich“, sagte der Innenminister.
Das Verbot ist das sechste gegen eine rechtsextremistische Organisation durch das brandenburgische Innenministerium seit dem Jahr 1995, zuvor war 2006 der „Schutzbund Deutschland“ verboten worden, davor die ANSDAPO im Raum Strausberg.
Eine weitere rechtsextremistische Vereinigung, gegen die vereinsrechtlich ermittelt worden war, hatte sich selbst aufgelöst. Anlass war im Juli 2010 eine Großrazzia, bei der mehrere Objekte der rechtsextremistischen „Kameradschaft Märkisch Oder Barnim“ (KMOB) durchsucht worden waren. Allerdings haben sich die KMOB-Mitglieder neu formiert und treten inzwischen als „Freundeskreis Brandenburg“ (FK-BRB) wieder bei Neonazi-Aufmärschen und Aktionen mit der NPD in Erscheinung. Ermittler der Sicherheitsbehörden bestätigten entsprechende PNN-Informationen. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht heißt es dazu: „Die Sicherheitsbehörden legen ein besonderes Augenmerk darauf, ob und inwieweit die KMOB trotz erklärter Selbstauflösung ihre Tätigkeit fortführt.“
Die nun verbotenen „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ zählten nach den „Nationalen Sozialisten in Südbrandenburg“ zu den stärksten Neonazi-Gruppen im Land. Allerdings haben Polizei und Justiz die 50 Mitglieder umfassende, seit 2006 bestehende Truppe im vergangenen Jahr erheblich unter Druck gesetzt und geschwächt. Dem Kopf der „Freien Kräfte“ steht ein umfangreicher Prozess bevor: Es ist Daniel T. (25), der in der regionalen Szene als selbst ernannter Führer gilt und Drahtzieher zahlreicher Aktionen ist. Das Landgericht Potsdam prüft noch, ob es das Verfahren „wegen Umfang und Bedeutung“ vom Amtsgericht Zossen übernimmt.
T. ist unter anderem wegen Anstiftung zur Brandstiftung angeklagt. Er soll im Januar 2010 zwei Jugendliche dazu angestiftet haben, den Brandanschlag auf das Haus der Demokratie in Zossen zu verüben, bei dem auch eine Ausstellung zum jüdischen Leben vor dem Zweiten Weltkrieg in der Stadt zerstört worden war. Der Anschlag richtete sich direkt gegen die Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“, die nach zunehmenden Aktionen von Rechtsextremisten in der Region gegründet worden war.
In weitere Anklagen geht es um Propaganda-Aktionen der Neonazis: In Zossen und Königs Wusterhausen soll S. im März 2010 zahlreiche Hakenkreuze an Fassaden geschmiert und „Stolpersteine“ mit dem Nazi-Symbol geschändet haben, die an vom NS-Regime deportierte Juden erinnern. Auch die Drohung „Du stirbst bald“ gegen ein Mitglied der Bürgerinitiative soll T. an eine Hauswand geschmiert haben. Im Juli 2010 soll T. zudem volksverhetzende Parolen gebrüllt haben. Mitglieder der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“ sind mehrfach attackiert worden, Fensterscheiben gingen zu Bruch, Anfang Juni schlug ein Brandanschlag auf das Auto eines Initiativen-Mitglieds fehl.
Der 25-jährige T. steht seit Längerem unter strenger Beobachtung der Ermittler, bei ihm laufen die Fäden der regionalen Szene zusammen. Der Brandanschlag war der Höhepunkt einer ganzen Reihe rechtsextremistischer Straftaten in Zossen. T. selbst soll bereits vor dem Anschlag im September 2009 in das „Haus der Demokratie“ eingebrochen sein und die Räume verwüstet haben. Am 27. Januar 2010, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, störten die Neonazis eine Gedenkfeier für die Opfer des Holocausts und sollen dabei auch den Hitlergruß gezeigt haben. T. soll antisemitische Parolen gegrölt haben.
Drei Mitglieder der „Nationalen Sozialisten Zossen“ zeigten sich im Juni 2010 in schwarzer Montur und weißen Masken auf dem Zossener Marktplatz, auf ihrem meterlangen Transparent stand: „Die Demokraten bringen uns den Volkstod“. Die Ermittler nehmen an, dass T. dabei war. Der 25-Jährige ist einschlägig vorbestraft und verurteilt worden, erst im Februar wegen „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“, 2005 wegen gefährlicher Körperverletzung.
Die Truppe hat auch eng mit der rechtsextremistischen NPD zusammengearbeitet. Vor den Landtagswahlen 2009 klebten die Mitglieder Wahlplakate und verteilten Handzettel der Partei, zugleich beschädigten sie Wahlplakate anderer Parteien. Die äußerlich als „Autonome Nationalisten“ auftretenden Neonazis hatte auch ein eigenes Emblem, auf ihrer Internetseite finden sich neben einem Link zur rechtsextremen NPD auch klare Bekenntnis zum Dritten Reich: „Der Kampf um Deutschlands Freiheit beginnt mit einem klaren: ‚NEIN zu diesem System!’ Für einen revolutionären nationalen Sozialismus!“ Sogar eine „Schüler-CD“ haben die Neonazis erstellt und verteilt, damit konnten sie sogar 12- bis 15-Jährige für sich gewinnen und bei den Aktionen der Truppe einbinden.
Und das hatte Folgen: Ein 16-Jähriger hatte das „Haus der Demokratie“ in Flammen gesetzt, angestiftet wurde er, so der Vorwurf, von Daniel T. Der 16-jährige Brandstifter wurde vom Amtsgericht Zossen ins Heim geschickt, das Verfahren gegen den geständigen Haupttäter und einen 15-jährigen Freund wurde im Juli 2010 eingestellt. Der 16-Jährige verfügte nach Ansicht des Gerichts „nicht über die sittliche Reife, um das Unrecht der Tat einsehen zu können“. Wegen massiver Störung des Sozialverhaltens müsse er psychologisch betreut werden. Dem Vater entzog das Gericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Ermittler sprechen von einem „für Gewalt und Verrohung empfänglichen Milieu“, das kaum sozialisiert sei. „Für Neonazis ist es kein Problem, solche Leute zu steuern“, sagte einer. In Polizeikreisen hatte es bereits kurz nach der Festnahme, wenige Tage nach dem Brandanschlag am 22. Januar, geheißen, der 16-Jährige habe dem Anführer der rechtsextremen Szene in der Region – also Daniel T. - imponieren wollen.
Die Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“, deren Mitglieder mehrfach von den Neonazis attackiert worden waren, zeigte sich am Montag erleichtert vom Verbot der „Freien Kräfte Teltow-Fläming“. Das Verbot sei ein „direkter Erfolg der Zivilgesellschaft“. Initiativensprecher Jörg Wanke warnte aber: „Diese Organisation ist zerschlagen, aber das rechtsextremistische Denken und andere rechtsextreme Organisationen sind noch da.“ Auch die Initiative selbst habe sich vor Ort gegen das Verharmlosen von Neonazis zur Wehr setzen müssen. „Dafür mussten wir uns als Nestbeschmutzer bezeichnen lassen.“ Tatsächlich gilt Zossen im Kampf gegen Rechts als gespalten, große Teile der Kommunalpolitik, auch die Spitze des Rathauses, haben der Initiative wiederholt vorgeworfen, das massive Auftreten von Neonazis in Zossen erst provoziert zu haben.
Der für Vereinsverbote wie das gegen die „Freien Kräfte“ zuständige Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium, Peter Meyritz, sagte, Verfassungsschutz und Polizei hätten „den freien Markt unter Beobachtung“. Auch andere rechtsextreme Gruppen hätten mit einem Verbot zu rechnen, hieß es aus Ermittlerkreisen. So stehen auch die benachbarten Rechtsextremisten aus Königs Wusterhausen unter extremer Beobachtung. Sollten allerdings Mitglieder der „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ auf die Idee kommen, sich neu zu organisieren, so drohe ihnen bis zu einem Jahr Haft, sagte Meyritz: Das vom Innenminister verfügte Verbot gilt auch für Nachfolgeorganisationen. Der Verein Opferperspektive befürchtet aber, dass die Rechten unter anderen Namen weitermachen. Schon jetzt gebe es bestehende Nebenstrukturen wie die „Nationalen Sozialisten Zossen“ oder das „Infoportal Teltow-Fläming“. (Mitarbeit: Peter Tiede)
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