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Brandenburg: „Hier war das ganze Europa“

Vom KZ-Häftling zum Politiker: In der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen beginnt eine internationale Ausstellung

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Vom KZ-Häftling zum Politiker: In der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen beginnt eine internationale Ausstellung Von Kathrin Klinkusch Oranienburg. Sie überlebten die Gräuel der NS-Zeit und gestalteten mit dieser Erfahrung die Politik Europas nach dem Zweiten Weltkrieg: Häftlinge in den Konzentrationslagern. Erstmals sollen ihre Biografien und ihr politisches Wirken nach 1945 jetzt in einer brandenburgischen Ausstellung präsentiert werden. Das Museum der Mahn- und Gedenkstätte Sachsenhausen eröffnet am 26. Oktober eine Sonderschau unter dem Titel „Hier war das ganze Europa“. Mit diesem Zitat beschrieb der Sachsenhausen-Häftling und Schriftsteller Andrzej Szczypiorski („Die schöne Frau Seidenmann“) in seiner Rede anlässlich des 50. Jahrestags der Befreiung die Zwangsgemeinschaft im KZ. Viele seiner Leidensgenossen machten später Karriere in der Politik: die norwegischen Ministerpräsidenten Einar Gerhardsen und Trygve Bratteli, der KPD- und SED-Politiker Hans Seigewasser, der französische Bildungsminister Yvon Delbos und der tschechoslowakische Ministerpräsident und Stalinist Antonin Zapotocky. Insgesamt werden 25 Politiker-Schicksale aus Frankreich, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Polen, Tschechien und den beiden deutschen Staaten vorgestellt. „Außer den Biografien geben wir auch einen Einblick in die jeweilige Erinnerungskultur in den Heimatländern und Beispiele nationaler Mahnmale“, betont der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch. So befindet sich am Eingang der Ausstellung das Original-Kreuz aus dem Weiheraum des ehemaligen KZ Mauthausen in Österreich. An die Nazi-Verbrechen erinnert auch der Nachbau des berühmten Kinder-Denkmals im tschechoslowakischen Lidice. Das böhmische Dorf wurde im Juni 1942 nach dem Mord an dem stellvertretenden NS-Statthalter Reinhard Heydrich dem Erdboden gleichgemacht. „Die spätere Bedeutung Lidices als internationale Gedenkstätte ist eng mit der Biographie von Marie Jarosova verbunden“, sagt Projektleiterin Sylvia de Pasquale. Jarosova wurde zusammen mit ihrer Mutter und den Frauen von Lidice nach Ravensbrück transportiert. Nach ihrer Befreiung 1945 engagierte sie sich für den Wiederaufbau des Ortes und war bis 1989 dessen Bürgermeisterin. Ganz unterschiedlich präsentiert sich die Gedenkkultur in den beiden deutschen Staaten. Während sich die DDR als Opfer-Nation darstellte, lag der Schwerpunkt in der Bundesrepublik zunächst auf dem Widerstand. „In der DDR war der 8. Mai als Tag der Befreiung der nationale Gedenktag“, erläutert de Pasquale. Neben Biografien von DDR-Politikern wie Aenne Saefkow und Karl Schirdewan werden Plakate zum nationalen Feiertag aus den 50er bis 80er Jahren ausgestellt. Ein Transparent aus den 70er Jahren zeigt Vater und Kind, wie beide glücklich sind, in der befreiten DDR zu leben. Die Bundesrepublik Deutschland rückte den Umsturzversuch aus hohen Militärkreisen vom 20. Juli 1944 als gesamtdeutschen Widerstand in den Mittelpunkt. Das macht ein Abguss des Ehrenmals der Opfer des Bildhauers Richard Scheibe anschaulich. Es zeigt einen nackten Jüngling mit gefesselten Händen. Das Original wurde 1953 im Bendlerblock in Berlin enthüllt. Die Erlebnisse im KZ bestimmten auch die spätere Arbeit des CDU-Politikers Peter Lütsche und der Polin Wanda Poltawska. Poltawska, die in Ravensbrück als „Versuchskaninchen“ für medizinische Zwecke missbraucht wurde, arbeitete in den 80er Jahren als Beraterin des Vatikans im „Rat für Familie“; Lütsche wurde Mitbegründer des Bundes der Verfolgten des Naziregimes (BVN). „Die Erinnerungskultur der französischen Opfer hat ihre Wurzeln in der katholischen religiösen Traditionspflege“, berichtet Projektleiterin de Pasquale. Deren Verbände unternehmen bis heute Wallfahrten (Pélerinages) zu den Gedenkstätten. Als Beispiel ist in der Ausstellung eine Nachbildung des französischen Mahnmals für die Opfer des KZ Sachsenhausen zu sehen. Das Original steht auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise – es zeigt einen Mann der aus einem brennenden Dornenbusch aufsteigt. Die Ausstellung ist bis 30. April 2004 zu sehen.

Kathrin Klinkusch

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