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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender beim Besuch der Freiwilligen Feuerwehr.

© Ralf Hirschberger/dpa

Steinmeier-Besuch in der Uckermark: Janz weit draußen mit dem Bundespräsidenten

Übers Wochenende nach Brandenburg – das kann jeder. Frank-Walter Steinmeier wirbt für das Landleben auf Dauer. Doch an Politik glauben viele hier nicht mehr.

Tantow - Am Abend vor dem großen Besuch wirkt in Tantow alles wie immer. In den Vorgärten werden Blumen gegossen, im Tante-Emma-Laden die Holzrollläden runtergelassen, ein Mann radelt mit zwei Pferden an der Leine die Straße entlang. Ländliches Idyll in der Uckermark. Dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender das 700-Seelen-Dorf in ein paar Stunden besuchen werden, merkt man an diesem schwülen Sommerabend fast nicht. Fast.

Vor dem Haus der Freiwilligen Feuerwehr herrscht Aufregung. „Macht euch locker, das ist auch nur ein Mensch“, sagt Amtsleiter Frank Gotzmann zu den Feuerwehrmännern. Generalprobe. Gotzmann erläutert das Protokoll. Dort werde die Straße gesperrt, hier fahre der Konvoi vor, und da steige der Bundespräsident aus, erklärt er und gestikuliert dabei. „Du bist hier der Chef“, sagt er zu Ortswehrführer Roger Sy. „Du begrüßt den Präsidenten und Frau Büdenburger“, sagt er. „Büdenbender“, korrigiert seine Assistentin. Der Feuerwehrmann nickt etwas beklommen. „Soll ich nicht Frau Büdenberger zuerst begrüßen“, will er wissen. „Büdenbender“, sagt die Assistentin. Sie einigen sich: erst der Präsident und den Namen seiner Frau besser nicht erwähnen.

In dem etwas heruntergekommenen Gebäude wird währenddessen das Gästebuch zusammengesteckt. Ganz vorne soll Steinmeier eine Widmung hinterlassen. Auf den hinteren Seiten folgt die Chronik der Tantower Feuerwehr. Das heißt: soll folgen – noch ist niemand dazu gekommen. „Hoffentlich unterschreibt er nur und blättert nicht“, sagt ein Kamerad in Latzhose.

Wer wie der Bundespräsident nach Tantow möchte, passiert auf dem Weg erst einmal Mecklenburg-Vorpommern und das letzte Stück holpriger Reichsautobahn. Eine falsche Abzweigung und man ist in Polen. Die Grenzen sind nah, Berlin und Potsdam fern.

Wie weit, weiß Silke Natter. Die 47-Jährige sitzt in einem tapezierten Raum der Tantower Grundschule. Als Kind ging sie hier selbst zur Schule. Als immer mehr Menschen das Dorf verließen, wurde die Einrichtung geschlossen. Natter und einige Eltern protestierten erst, dann gründeten sie die Schule mit einem freien Träger neu. Anfangs mit elf Schülern, inzwischen sind es über 70 Kinder in fünf Klassen. Natter selbst hat sich zur Erzieherin umschulen lassen. Eine Erfolgsgeschichte. „Man braucht hier Visionen und muss sie einfach durchziehen“, sagt Natter. Seit vier Jahren ist sie auch ehrenamtliche Dorfvorsteherin, eine Anpackerin. Dorffeste, Weihnachtsmarkt, Rentner-Frauentagsfeier – alles hat sie organisiert. „Das ist einfach Engagement, keine Politik“, sagt sie.

Hier am Rand auf dem Land hat sich etwas verändert. Im Gemeinderat gibt es schon lange keine Gewählten mehr, die einer Partei angehören. Die Strukturen dafür gibt es nicht. Keine Mitglieder, keinen Ortsverein. Die Parteien sind verschwunden, repräsentieren hier niemanden. Auch selbsternannte alternative Parteien findet man hier nicht – trotzdem wurden sie bei der letzten Bundestagswahl hier von fast jedem Vierten gewählt. Und nun hat sich der erste Mann im Staat angekündigt.

„Über Politik wird hier nicht geredet“, sagt Natter. Es ist das einzige Mal in fast zwei Stunden Gespräch, dass sie sich unbehaglich zu fühlen scheint. Ihre Antworten werden entschiedener und kürzer. Sie kenne niemanden, der die AfD gewählt habe. Sie jedenfalls käme nie auf die Idee, versichert sie. Doch dann bricht es auch aus ihr heraus: „Wir haben hier die meisten Windräder, aber den teuersten Strom. Wir haben in Brandenburg den höchsten Erziehungsschlüssel und verdienen trotzdem weniger als in anderen Bundesländern.“ Sie sei froh, dass es jetzt immerhin den Mindestlohn gebe, aber gerecht gehe es deshalb keineswegs zu. „30 Jahre nach der Wende macht viele müde“, sagt Natter. Natürlich seien die Mieten in der Uckermark günstiger, aber ihr Brötchen koste ebenfalls 70 Cent. Überhaupt das Landleben: „Ohne Auto geht nichts.“

Viele würden pendeln, gut bezahlte Jobs seien rar. Ihren beiden Kindern habe sie empfohlen, in die Stadt zu gehen. Ihr Sohn studiert nun in Bremen. „Ich habe da den Glauben an die Politik verloren“, sagt Natter. Zur Wahl geht sie trotzdem jedes Mal. „Sonst darf man auch nicht meckern.“ Nur an Veränderung, die von der Politik bis zu ihnen hier nach draußen reichen könnte, glaubt sie nicht mehr. Die Entfernung scheint einfach zu groß.

Fünfzehn Stunden später schüttelt Natter dem Bundespräsidenten und seiner Frau die Hand und heißt sie willkommen. Soeben sind die Limousinen mit Standarte durch Tantow gerollt, Dutzende Sicherheitsleute und Journalisten sind schon früher angereist. Es ist Teil zwei der Landtour des Bundespräsidenten. Die erste Station an diesem Tag ist ein deutsch-polnischer Kindergarten. Die Kinder singen ein zweisprachiges Willkommenslied, der Präsident klatscht dazu und lacht. Gut die Hälfte der Kinder hier ist polnisch, ohne sie wäre die Kita dichtgemacht worden. Dann gibt es Gespräche mit Eltern und Erziehern. „Die Kinder kennen das Wort Grenze nicht“, berichtet ein Vater. Steinmeier und Büdenbender nicken und wirken ehrlich interessiert am Zusammenleben im Grenzgebiet. Die polnische Community verändert etwas in Tantow und der Uckermark. Die Einwohnerzahl nimmt wieder zu. Obwohl das nächste Kino in Schwedt, die Disko in Stettin und die Einkaufszentren in Berlin sind, ziehen viele junge Polen aus Stettin ins nahe deutsche Umland. Jeder siebte im Amtsgebiet sei polnisch, sagt Amtsleiter Gotzmann. Sie kämen wegen der niedrigen Bodenpreise, sagt er. Gotzmann begrüßt das.

Als er vor ein paar Jahren als Amtsleiter anfing, prognostizierte das Land ihm, die Bevölkerung im Kreis werde sich bis 2030 halbieren. „Ich wollte aber nicht nur Insolvenzverwalter werden“, sagt er. Er orientierte sich in Richtung Stettin und suchte Kontakt zu den polnischen Kollegen. Seine nächste Hoffnung: der zweispurige Ausbau der Bahnlinie zwischen Stettin und Berlin. 2024 könnte das Vorhaben vollendet sein. „Wir wollen hier unsere Zukunft gestalten können“, sagt Gotzmann – gerne mit den neuen polnischen Nachbarn.

Eine von ihnen ist Edyta Szczepanska. Seit vier Jahren wohnt sie mit ihrem Mann Jaroslaw in Tantow, arbeitet für SAP in Schwedt. Seit drei Jahren ist sie Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr in Tantow. „Wir wollten hier Leute kennenlernen“, sagt sie. Nun spricht sie fließend Deutsch und trifft sich regelmäßig auch privat mit den Kameraden. Anfeindungen habe sie in der Uckermark nie erlebt. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt sie vor dem Haus der Feuerwehr.

Dann rollt der Konvoi des Bundespräsidenten vor. Steinmeier und seine Frau haben etwas Verspätung, weil sie zu lange mit den Kindern gespielt haben. Ortswehrführer Sy begrüßt seine Gäste. „Herzlich willkommen, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Ehefrau.“ Auch der Eintrag ins Gästebuch gelingt. Der Bundespräsident blättert nicht, sondern will lieber mehr über das deutsch-polnische Zusammenleben erfahren. Auch hier ist die Hälfte der Kameraden polnisch. Ohne sie wäre der Trupp nicht mehr einsatzfähig.

Für Steinmeier ein Exempel. „Tantow ist ein Ort, der aus einer schwierigen Lage heraus Möglichkeiten gefunden hat, eine eigene Zukunft zu finden“, sagt der Präsident. Man habe aus der Randlage einen Vorteil geschaffen und mit viel ehrenamtlichem Engagement Lebensqualität halten und schaffen können. Dies allein reiche aber nicht. „Das Grundgesetz hat der Politik die Aufgabe zugeschrieben, für gleichwertige Verhältnisse im Land zu sorgen.“ Seine Währung als Bundespräsident sei es, Aufmerksamkeit zu schaffen, sagt er in die Mikrofone der Presse. Dann bedankt er sich noch bei den Einsatzkräften beim Großbrand in Treuenbrietzen und verabschiedet sich.

„Bis zum nächsten Mal“, ruft ein älterer Feuerwehrmann. Der Bundespräsident lacht herzlich und steigt in seinen Wagen. Schnell kehrt wieder Ruhe ein. Bei der Feuerwehr gibt es jetzt Mittagessen. Schweinekrustenbraten mit Sauerkraut.

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