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Altanschließer in Brandenburg: Warum das Land in der Pflicht ist

Brandenburgs Landesregierung reagiert auf das Altanschließer-Urteil aus Karslruhe - ein bisschen. Eigene Schuld an der Misere sieht es nicht. Das könnte sich rächen. Auch bei der Landtagwahl 2019. Eine Analyse.

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Potsdam - Diese Angelegenheit stinkt zum Himmel. Es geht um rund 100 000 Märker, die für Anschlüsse ihrer Grundstücke an die Kanalisation zu Unrecht abkassiert worden sind, weil die Bescheide dafür ein Jahrzehnt zu spät kamen. So hat es das Bundesverfassungsgericht 2015 entschieden. Und es hat damit – ähnlich wie früher der Spruch des Bundesgerichtshofs zur Bodenreform-Affäre – ein Institutionenversagen, bei Zweckverbänden, Kommunen, Landtag, Regierung und Justiz samt Landesverfassungsgericht gestoppt. Am Dienstag fasste das rot-rote Kabinett  nun den Beschluss, dass ein Abwasser-Hilfspaket über 250 Millionen Euro aufgelegt werden soll. Klingt viel, klingt gut. Ist es das?

Ein Verfassungsminister klagt über das Verfassungsgericht

Man darf daran erinnern, dass Ministerpräsident Dietmar Woidke und sein Innenminister Karl-Heinz Schröter (beide SPD) ursprünglich nichts aus der Landeskasse zahlen wollten, weil es ja angeblich allein um kommunale Fehler ging. Die Nulllösung ist, dank erster Linke-Nachhilfe, vom Tisch. Allerdings wird Schröter in der aktuellen Pressemitteilung der Landesregierung so zitiert: „Mit diesem Hilfepaket kann es gelingen, die durch die Rechtsprechung entstandene schwierige Problematik Zug um Zug vernünftig und dauerhaft zu lösen.“ So, so, die Justiz ist also schuld, also auch das höchste deutsche Gericht? Das sagt ein Verfassungsminister? Ist das die Auffassung der Landesregierung?

Attitüde vermeintlicher Großzügigkeit

Dazu passt, dass man vergeblich einen Hinweis darauf sucht, dass das Land selbst maßgeblich zur verfahrenen Abwasser-Lage beigetragen hat. Stattdessen regiert die Attitüde vermeintlicher Großzügigkeit. Man helfe, obwohl man das eigentlich gar nicht müsse. Sind hier die Abwassersamariter am Werk?

Etwas Erinnerungsarbeit täte gut – und zwar über die Perspektive des Landkreises Oberhavel hinaus, in dem es dank eines guten Landrates wirklich besser als anderswo gelaufen sein mag. Natürlich haben Zweckverbände – anfällig für Missmanagement und Intransparenz – und Kommunen versagt. In einem Ausmaß aber, an dem das Land seinen Anteil hatte.

Die Verfehlungen der 90er-Jahre

Es begann in den 90ern, als unter einem Umweltminister Matthias Platzeck überdimensionierte Großkläranlagen in die Provinz geklotzt wurden. Da waren die Vorgaben, selbst das letzte Einzelgehöft an das Kanalisationsnetz anzuschließen und nicht weniger wirksame Kleinkläranlagen zu torpedieren. Da war die Linie der Stolpe-Regierung in den Anfangsjahren, dass Grundstückseigner, deren Häuser schon zu DDR-Zeiten an die Kanalisation angeschlossen waren, nicht noch mal zur Kasse gebeten werden. Das hatte mit dem Anspruch zu tun, Ostdeutsche vor Benachteiligungen zu schützen, in jenen Jahren, als besonders im Berliner Umland um Rückgabe-Ansprüche gestritten wurde.

Fehlurteile und eine untätige Kommunalaufsicht

Es folgten später Fehlurteile von Gerichten, auch des Oberverwaltungsgerichtes (OVG), bestätigt vom Landesverfassungsgericht, dass man alles rückwirkend korrigiert; egal, wie lange es her war, nach der Logik: In Brandenburg mag ja alles verjähren, außer ein Abwasserbescheid.

Und das Land hatte nichts damit zu tun? Als das OVG-Urteil von der SPD- CDU-Koalition in ein Gesetz gegossen wurde, gab es wieder Warner und Mahner. Da hatte ein früherer Bundesverfassungsrichter in Anhörungen den Schiffbruch in Karlsruhe prophezeit, der nun eintrat. Man könnte die Liste fortsetzen: Gab es in Brandenburg, wo so viele Zweckverbände in Schieflage sind, keine Kommunalaufsicht?

Das Kreditprogramm geht am Problem vorbei

Das Land ist wegen seiner Versäumnisse in der Pflicht, die Lage zu befrieden, zu helfen. Bislang ist die rot-rote Koalition bereit, 50 Millionen Euro tatsächlich zu zahlen. Das parallel angekündigte Kreditprogramm der Landesinvestitionsbank über 200 Millionen Euro geht am Problem vorbei. Damit droht in Brandenburg ein Flickenteppich, neuer Unfriede, weil nach der Regierungsempfehlung alle jene, die brav die Bescheide zahlten, die keinen Widerspruch einlegten, ihr Geld nicht zurückbekommen sollen. Von einigen Glückspilzen abgesehen. Einige Zweckverbände zahlen an alle zurück.

Warum diese Abwasserrechnung eine politische ist

Und nun? Klar ist, dass „nur das Land der weiße Ritter sein kann“, wie es der Gutachter des Innenministeriums formulierte. Die Abwasserrechnung ist jetzt eine politische, mit Nebenwirkungen: Je weniger das Land Zweckverbänden hilft, umso mehr steigen Abwassergebühren. Nicht überall, das nicht. Aber viel regionaler Frust, hier um Kreisreform, da um Windkraft, dort um Abwasser, Fluglärm, kann sich bis zur Wahl 2019 summieren. Brandenburg ist von Berliner Verhältnissen, einem Dreier-Regierungsbündnis nicht weit entfernt.

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