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Bundeskanzler Olaf Scholz (l., SPD) spricht nach seinem Besuch bei der Landesvertreterversammlung auf dem Europafest vor der Stadthalle. Im Hintergrund steht Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg.

© dpa/Monika Skolimowska

„Wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet“ : Emotionaler Kanzler-Auftritt in Falkensee

Pfiffe und Kriegstreiber-Rufe: Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach auf einem Europafest in Falkensee bei Berlin. Er verteidigte die Ukraine-Politik.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich für eine Reform der Europäischen Union ausgesprochen. Man müsse alles „für eine entscheidungsfreudigere EU unternehmen, die ihre geopolitische Rolle auch wahrnehmen kann“, sagte Scholz am Freitagabend auf einer Landesvertreterversammlung der Brandenburger SPD in Falkensee.

Er setze sich dafür ein, dass dort „Mehrheitsentscheidungen in der Außenpolitik möglich werden oder dass wir Entscheidungen zu Steuern treffen können“. Bislang gilt in der EU das Einstimmigkeitsprinzip, so dass ein Staat alles blockieren kann. Ein Auftritt von Scholz draußen vor der Stadthalle auf einem Europafest mit rund 300 Teilnehmern wurde von Pfiffen, Buhrufen und Kriegstreiber-Rufen von Störern und Kritikern begleitet.

„Liebe Schreihälse“, hielt Scholz dagegen. Russlands Präsident Wladimir Putin sei „der Kriegstreiber, der hier von euch ausgeschrien wird, wenn ihr irgendeinen Verstand in euren Hirnen hättet“. Der Kanzler machte deutlich, dass er keine Alternative zur Unterstützung für die Ukraine auch mit Waffen wegen des russischen Angriffskriegs sieht.

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„Ja, das ist notwendig, wenn ein Land angegriffen wird, dann muss es sich, dann darf es sich verteidigen, was denn sonst?“, rief Scholz. Putin wolle die Ukraine zerstören. Russlands Präsident habe viele Bürgerinnen und Bürger, auch Kinder und alte Menschen, getötet. „Das ist Mord.“ Scholz betonte: „Frieden und Freiheit sind von diesem Angriffskrieg bedroht.“

Scholz auf der Bühne beim Europafest. Es gab Störrufe.
Scholz auf der Bühne beim Europafest. Es gab Störrufe.

© dpa/Monika Skolimowska

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte: „Diese Demo gehört doch eigentlich auf den Roten Platz in Richtung des Kreml.“ Es gehe um Freiheit, um Demokratie und um soziale Gerechtigkeit. „Freiheit ist auch, dass ihr hier krakeelen könnt.“

Scholz für EU-Beitritt von Westbalkanstaaten

Auch vor den Genossen drinnen in der Stadthalle verurteilte der Kanzler den „imperialistischen Angriffskrieg Russlands“ gegen die Ukraine. Es werde versucht, wie im 17., 18. und 19. Jahrhundert Grenzen zu verschieben. „Deshalb ist und bleibt es richtig, die Ukraine in ihrem Verteidigungskampf zu unterstützen.“ Finanziell, humanitär, mit Waffenlieferungen. „Wir werden das so lange gemeinsam tun, wie es notwendig ist“, versicherte Scholz. „Unsere europäische Geschlossenheit ist eine Bastion gegen Diktatoren wie Putin“, erklärte Woidke.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht während der Landesvertreterversammlung der SPD.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht während der Landesvertreterversammlung der SPD.

© dpa/Monika Skolimowska

Deutschland als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land habe dabei eine besondere Verantwortung in der EU, betonte Scholz. Er sprach sich dafür aus, Staaten des westlichen Balkan wie Mazedonien und Albanien in die EU aufzunehmen, was vor 20 Jahren zugesagt worden sei. Das müsse nun ernsthaft vorangetrieben werden. „Das gilt auch für die Aussagen, die wir in Richtung Ukraine, Moldau und Georgien gemacht haben.“

Unter Verweis auf die weltweiten Flüchtlingsströme warnte Scholz vor der Illusion, dass Lösungen mit einem Federstrich möglich seien. „Das wird uns noch lange begleiten“, so der Kanzler. „Man schaue sich nur die Grenze zwischen Mexiko und den USA an.“ Ziel seien eine geordnete Zuwanderung auch wegen der Fachkräfteprobleme, aber ebenso das Verhindern von irregulärer Migration, so Scholz. Wer erfolglos Asyl beantragt habe, müsse auch zurückgeschickt werden.

Marie Glißmann führt Brandenburger SPD in Europawahl 2024

Scholz hielt in Falkensee eine allein außenpolitische Rede, ohne auf den aktuellen bundesweiten Umfrageabsturz der SPD auf 18 Prozent - gleichauf mit der AfD - oder die Konflikte in der Ampel-Bundesregierung einzugehen.

Es war sein erster Auftritt auf einem Parteitag der Brandenburger Landespartei, nachdem Ende April Bildungsministerin Britta Ernst, seine Ehefrau, ihren Rücktritt aus dem Kabinett von Ministerpräsident Dietmar Woidke erklärt hatte, begründet mit fehlender Unterstützung der SPD-Landtagsfraktion. Vor den Genossen in der Stadthalle demonstrierten Scholz und Woidke heitere Eintracht.

In heiterer Eintracht: Olaf Scholz und Dietmar Woidke (beide SPD).
In heiterer Eintracht: Olaf Scholz und Dietmar Woidke (beide SPD).

© dpa/Monika Skolimowska

Es werde nicht möglich sein, dass bei einer EU von 36 Staaten jeder Kommissar sein eigenes Ressort bekomme, sagte Scholz etwa. „Und ich gucke Dietmar an: Kannst Du Dir eine Regierung mit 36 Ministerien vorstellen?“ Woidkes Antwort aus dem Saal: „Nicht als Chef.“ Aus dem Woidke-Kabinett war keine Ministerin und kein Minister vor Ort, aus der Landtagsfraktion nur vereinzelt Abgeordnete.

Wichtigster Tagesordnungspunkt der Landesvertreterversammlung war die Nominierung des Spitzenkandidaten oder der Spitzenkandidatin der Brandenburger SPD für die Europawahlen im nächsten Jahr. Unter fünf Kandidatinnen und Kandidaten setzte sich im ersten Wahlgang Marie Glißmann durch, Studentin an der Viadrina Frankfurt (Oder). Sie wolle, dass „Brandenburg endlich wieder eine starke sozialdemokratische Stimme in Brüssel bekommt“, erklärte die 28-Jährige.

Seit der letzten Europawahl 2019 hat Brandenburg keinen SPD-Vertreter im EU-Parlament. Nach einem Lügen-Skandal hatte die SPD damals den Wahlkampf für den damaligen Spitzenkandidaten Simon Vaut gestoppt. Mit dem Votum aus Falkensee steht bislang allerdings nur fest, dass Glißmann für die Bundesliste der SPD kandidiert.

Ob sie dort einen aussichtsreichen Listenplatz bekommt, ist unklar, es hängt von den Mehrheitsverhältnissen innerhalb der Bundespartei ab. Sie werde sich dafür einsetzen, sagte Glißmann. Brandenburg sei schließlich „ein Brennglas für die deutsch-polnischen Beziehungen“. (mit dpa)

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