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Von Kay Grimmer und Jana Haase: Auf eigenen Wegen

Wenig Preußen, viel Geschichte und digitale Zukunft: Bundespräsident Wulff auf Potsdam-Tour

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Die Polit-Prominenz bastelt sich ihr eigenes Programm. Schon beim Start des Antrittsbesuches von Bundespräsident Christian Wulff im Land Brandenburg wurde das Protokoll gestern Vormittag Nebensache – und Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) ein Bundesland-Eroberer. Nicht wie abgesprochen am weißen Strich, der auf der Glienicker Brücke Berlin und Brandenburg trennt, wartete er auf Wulff. Mit Ehefrau Jeanette Platzeck eilte der Ministerpräsident auf die parkende Limousine mit der Bundespräsidenten-Standarte zu. Und begrüßte Wulff auf Berliner Gebiet „herzlich in Brandenburg.“ Auf der einstigen Agentenbrücke zwischen Ost und West rief Wulff die wechselvolle Bedeutung des 9. November ins Gedächtnis. 1938 hatte mit der Pogromnacht die systematische Verfolgung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland begonnen. „Der 9. November ist ein schwieriger Tag in der deutschen Geschichte“, so Wulff. Der 9. November 1989 sei aber auch der „glücklichste Tag in der deutschen Geschichte“.

GESCHICHTE AN DER VILLA SCHÖNINGEN

Wulff begrüßte, dass endlich auch Brandenburg einen Stasi-Beauftragten eingesetzt hat – als letztes der neuen Länder. Es sei wichtig, an die Verbrechen kommunistischer Herrschaft, von SED und Stasi zu erinnern, „die Interessen der Opfer immer im Blick zu haben“, erklärte er später nach einer Runde mit dem rot-roten Kabinett in der Staatskanzlei. Es dürfe nichts unter den Teppich gekehrt, „nichts abgehakt“ werden: Das sei auch die Lehre aus der zunächst zögerlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in Westdeutschland. Überdies nahm Wulff an der Villa Schöningen, dem deutsch-deutschen Museum, die Einladung Richard Buchners nach Sachsenhausen an. Buchner, brandenburgischer Regionalbeauftragter der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e.V., will den Bundespräsidenten in der dortigen Gedenkstätte begrüßen. Dort werde nicht nur an Opfer der NS-Diktatur sondern auch an nach 1945 Internierte des sowjetischen Speziallagers erinnert. Die Besichtigung der Villa Schöningen wurde durch einen ungeplanten Ausflug des Bundespräsidenten in den Skulpturengarten verlängert. Wulff versicherte Ulrike Döpfner, Ehefrau des Museums-Eigentümers Matthias Döpfner, mit seinen Kindern wiederzukommen – ohne Protokoll-Tross.

EIN SCHLOSS UND EINE KIRCHE

Eskortiert von sieben Polizei-Motorrädern – insgesamt sicherten gut 100 Polizisten den Besuch des Bundespräsidenten in Potsdam ab – fuhr Wulff zur Landtagsbaustelle am Alten Markt. Schon zuvor hatte Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) mit einem Augenzwinkern erklärt, um die Relation von einem Schloss auf 10 000 Potsdamer zu halten, sei bei der wachsenden Landeshauptstadt ein weiteres Schloss nötig gewesen: „Das hat der Landtag übernommen.“ Auch am Alten Markt kam wieder der präsidiale Eigensinn durch. Spontan beschlossen Wulff und Platzeck, einen Besuch der St. Nikolaikirche einzuschieben.

EHRENAMT IST HERZENSSACHE

Zeit für Gespräche fand Wulff anschließend beim Mittagessen mit Brandenburger Ehrenamtlern im Restaurant Hammer am Neuen Markt. Das Treffen, darunter mit der Potsdamerin Rotraut Rothe, sei Wulff ein Herzensanliegen gewesen, hieß es. „Man ist angespannt, wenn man neben einem solch bedeutenden Menschen sitzt“, sagte Rothe, die sich im Mehrgenerationenhaus Nuthetal engagiert. Doch Wulff sei „sehr natürlich“ und habe sich von den Engagements berichten lassen.

ILLUSIONSKUNST IN BABELSBERG

Im Studio Babelsberg erlebte der Präsident exklusiv den Dreh der 3-D-Filmproduktion „Die drei Musketiere“ mit. Dass sich dabei ein havariertes Luftschiff auf den Turm der Kathedrale von Reims bohrt, zeigt, dass in der Klassikerverfilmung mit den Hollywood-Stars Orlando Bloom und Milla Jovovich einiges anders läuft als bei Alexandre Dumas. Matthias Platzeck hatte beim Rundgang durch die Studio-Werkstätten das Arbeitsprinzip schnell verstanden: „Es muss so aussehen, als ob.“ Das sei ja wohl auch Job von Politikern, konterte Kulissenspezialist Robert Krüger. Mit der Einladung zum 100. Studio-Geburtstag 2012 im Gepäck ging es zum Filmorchesters Babelsberg, wo Udo Jürgens derzeit seine neue CD aufnimmt. Nach einer Kostprobe – dem lyrischen Stück „Oktoberwind“ – lobte Wulff Jürgens’ Musik, die nicht nur emotional berühre, sondern auch gesellschaftskritische Themen aufgreife. Jürgens, der zum ersten Mal mit dem Filmorchester zusammenarbeitet, zeigte sich begeistert von den Musikern. Er hoffe auf weitere gemeinsame Projekte, sagte er.

DIGITALE DEMOKRATIE MIT DEM HPI

Am Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik (HPI) in Griebnitzsee, wie die Villa Schöningen an der früheren Grenze gelegen, endete Wulffs Potsdam-Tag. Institutsstifter und SAP-Mitgründer Hasso Plattner führte durch das Haus. Der Bundespräsident setzt hohe Erwartungen in die digitale Welt, sie könne „die Demokratie reaktivieren“, sagte er beim Gespräch mit Studenten. Vor dem Hintergrund sinkender Wahlbeteiligung und steigender Politikverdrossenheit könne das Netz zur neuen Plattform für Bürgerbeteiligung werden. Dafür erhofft sich Wulff auch Impulse vom HPI: „Ihr Wissen kann eine erhebliche Rolle spielen“, sagte er und regte einen zweiten Besuch mit seinem Beraterteam an. Institutsdirektor Christoph Meinel: „Das könnte der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit werden.“ (mit thm)

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