
© Manfred Thomas
Kultur: „Ich hatte nie ganz große Lebensträume“
Der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen, der heute 50 Jahre alt wird, über das Älterwerden, die Lust auf Familie und neue Film- und Opernprojekte
Stand:
Herr Dresen, Sie werden heute 50 Jahre. Macht Ihnen das Älterwerden ein bisschen Angst?
Ich bin überhaupt nicht derjenige, der sich aufgrund des Alters in die Trauerecke zurückzieht. Ganz im Gegenteil. Ich lasse es ordentlich krachen und mache ein großes Fest mit Freunden und Weggefährten. Und dann geht das Leben ganz normal weiter. 50 ist wie 49.
In Ihren Filmen ist das Alter aber durchaus ein Thema.
Ja, ich habe mich schon mit den Endlichkeiten des Lebens auseinander gesetzt: in „Halt auf freier Strecke“ oder in „Wolke 9“. Diese Themen kamen aber nicht zu mir, weil ich jetzt 50 werde, sondern begleiten mich schon ein paar Jahre. Wenn man älter wird, beginnt man, sich mit diesen Fragen zu beschäftigen und das spiegelt sich dann eben auch in den Geschichten wider.
In den beiden genannten Filmen geht es um Sex im Alter, um Krankheit und Tod. Gab es dazu einen persönlichen Anstoß?
„Wolke 9“, in dem ich über Liebe und Sexualität im Alter erzähle, war ein Thema, das mir immer wieder in unterschiedlicher Form begegnet ist. Vor vielen Jahren, noch zu DDR-Zeiten, gab es eine tolle Ausstellung auf der Potsdamer Freundschaftsinsel mit Fotos älterer Menschen: Die standen nackt in ihren Wohnungen mit all ihren Defiziten, die man physisch im Alter eben hat, aber auch mit ganz viel Würde und Schönheit. Das fand ich beeindruckend. Dann gab es in den 90er-Jahren einen Dokumentarfilm von einem Freund: „Die Männer meiner Oma“ über die Sexualität seiner Großmutter. Und dagegen stehen dann die Illustrierten, in denen uns von allen Seiten nur die Jungen und Schönen entgegenlächeln. Der überwiegende Teil des Landes ist aber älteren Semesters und ich muss mich nicht dafür schämen, dass ich Falten habe und graue Haare bekomme. Ich finde es einfach absurd, dass älteren Menschen offenbar nicht zugestanden wird, dass sie noch Sexualität und wirkliche Leidenschaften haben. Günstigstenfalls sieht man im Fernsehen in Sepiafarben getaucht, wie alte Menschen mit netten Hütchen Händchen halten. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun.
Jetzt haben Sie das Thema Alter aber erst einmal hinter sich gelassen und wenden sich der Jugend zu.
Ich möchte den Clemens-Meyer-Roman „Als wir träumten“ verfilmen. Er spielt vor allem in den Jahren nach der Wende: in einem gesellschaftlichen Freiraum, wo das alte System nicht mehr und das neue noch nicht existiert. Es geht um eine jugendliche Clique, die diesen Raum von Freiheit zu nutzen versucht, mit aller dazu gehörenden Euphorie, aber auch den Abstürzen. Der Titel sagt es schon: „Als wir träumten“. Diese Phase ist dann irgendwann Präteritum. Brecht hat das sehr schön formuliert: „Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die schönste Zeit.“
Also ein Film über gesellschaftliche Freiräume, die heute viele vermissen?
Es ist für mich ein Blick auf die Umbruchzeit, wie es ihn bisher im Film noch nicht gibt. Es wurden schon oft Stasiverstrickung und Ideologie der DDR thematisiert. Aber dass dieser Umbruch auch eine unglaublich vitale Zeit war, gerade für Heranwachsende, darüber wurde kaum erzählt. Ich will von diesem anarchischen Geist, der in jungen Menschen steckt, berichten. Von dem Mut, von der Wildheit. Und auch davon, dass sich nicht alle Träume erfüllen. Wie das so ist, irgendwann beginnt der Gang in das bürgerliche Leben. Insofern hat das Thema auch etwas sehr Universelles.
Welche Lebensträume haben Sie?
Ich hatte nie ganz große Lebensträume. Na klar, ich wollte immer gerne Filme machen und jetzt bin ich in der schönen Position, dass ich das darf. Das funktioniert mal mehr und mal weniger gut, aber ich habe tolle Freunde, mit denen ich immer wieder gemeinsam auf berufliche Entdeckungsreisen gehe. Dafür bin ich sehr dankbar. Nicht viele Leute haben die Möglichkeit, das zu tun, was ihnen Spaß macht und davon auch noch halbwegs leben zu können.
Sie haben sich im vergangenen Jahr entschieden, politisch mitzumischen als Verfassungsrichter. Warum?
Als ich den zweiten Film über den CDU-Politiker Henryk Wichmann gedreht habe, erlebte ich häufig Bürger, die den Politikern mit großer Skepsis begegneten und ihnen nur meckernd gegenüber saßen. Selbst mitzumachen sind indes die wenigsten bereit. In dem Zusammenhang habe ich auch einen Blick auf mich selbst geworfen und mich gefragt: Jetzt könntest du dich einbringen, aber wie nutzt du das?
Ihre Filme sind doch auch ein Einmischen.
Klar erzähle ich in meinen Filmen über dieses Land, aber das ist ja kein direktes Einbringen in demokratische Prozesse. Und dann kam diese Anfrage, Verfassungsrichter zu werden. Das war genau das, wonach ich gesucht habe.
Wie ist Ihre bisherige Erfahrung?
Ich habe dieses halbe Jahr nur als positiv erlebt. Es ist eine große Bereicherung für mich. Man kann im Detail schon etwas erreichen und vielleicht so dem einen oder anderen Bürger auch den Glauben an die Demokratie zurückgeben. Es werden ja nicht alle Beschwerden abgewiesen bei uns, es kommen auch viele durch.
Im Thalia-Kino werden anlässlich Ihres Geburtstages alle Ihre Filme gezeigt. Ist Ihnen einer besonders wichtig?
Durchaus. Filme, die an Umbruchpunkten in meinem Leben standen, wie „Halbe Treppe“, der sehr experimentell ist. Da haben wir ausprobiert, was mir später ganz wichtig wurde: einen Film ohne Drehbuch mit ganz kleinem Team. Der Anfang eines neuen Weges, den ich später mit „Wolke 9“ und „Halt auf freier Strecke“ fortgesetzt habe. Film als Abenteuer, als Versuchsanordnung jenseits eingefahrener Gleise.
Gibt es zu Ihrem Geburtstagsspezial auch etwas Neues zu sehen?
Es gibt einen neuen Dokumentarfilm, den ich im Frühjahr im Tagebau in der Lausitz gedreht habe für „16 mal Deutschland“, ein ARD-Projekt, das im Oktober gesendet wird. Da haben 16 Dokfilmregisseure ihr Bundesland porträtiert und ich übernahm den Brandenburg-Teil. Ich habe ja vor zwei Jahren für den RBB die Reihe „20 x Brandenburg“ geleitet und mich damals geärgert, dass ich niemanden meiner Kollegen begeistern konnte, in den Tagebau zu fahren. Ich finde schon, dass diese Landschaften zu Brandenburg gehören. Also habe ich das jetzt selbst gemacht.
Ein Landschaftsporträt?
Es ist das Porträt über eine 28-jährige zierliche Frau, die einen 4000-Tonner bedient, der über riesige Förderbänder den Abraum zurück in die Landschaft wirft, der auf der anderen Seite des Tagebaus abgebaggert wurde. Dani ist eine sehr fröhliche Person, die keineswegs mit ihrem Job hadert – trotz der ja sehr archaischen Arbeit. Für mich ist das ein kleines Abfeiern der Menschen, die für andere da sind. Ich finde, dass heute Arbeiter viel zu wenig in den Medien vorkommen, obwohl sie doch die Hauptlast unserer Wirtschaft tragen.
Drehzeit ist Lebenszeit. Arbeiten Sie auch deshalb so gern mit Freunden zusammen?
Ich habe am Theater immer das geliebt, was man Ensemble nennt, dass Leute, die eine bestimmte Auffassung von Kunst und Leben haben, über Jahre hinweg zusammenarbeiten, dass man auf Dinge aufbauen kann und sich ohne Misstrauen begegnet. In einem vertrauten Team kann man sofort auf einem sehr hohen Level einsteigen. Man muss aber auch aufpassen, dass man sich nicht zu sehr einkuschelt, dass es immer neu und provokant bleibt und dass man nicht bequem wird miteinander. Deshalb ist es gut, wenn auch immer mal wieder jemand von außen dazu kommt.
Haben Sie noch Sehnsüchte?
Familie, das wäre noch mal was. Es ist mir noch nicht geglückt, wirkliche Stabilität ins Privatleben zu bringen. Das ist vielleicht der Preis, den man für das unstete Leben bezahlen muss. Interessanterweise ist das bei einigen Freuden aus meiner Generation auch so. Wir sind an einem ganz bestimmten Punkt in unserem Leben mit dem gesellschaftlichen Umbruch konfrontiert worden. Bei mir war das genau mit Abschluss des Studiums 1990/91. Das ist eine Zeit, in der sich die Menschen normalerweise konsolidieren, eine Familie gründen, sich ein bisschen sortieren, heimischer, häuslicher und bürgerlicher werden. Ich habe zwar noch keine soziologische Studie dazu gelesen, aber es geht ganz vielen so, dass sie diesen Absprung verpasst haben, weil sie sich damals um ganz andere Fragen kümmern mussten. Wir hatten uns auf einem ganz neu strukturierten Markt zurechtzufinden, mussten den Einstieg ins Berufsleben schaffen, um davon leben zu können. Die Gesellschaft hatte sich ja um und um gewendet. Das setzte andere Prioritäten, vielleicht auch falsche.
Viel Zeit für Privates bleibt offensichtlich auch jetzt nicht bei all Ihren Projekten. Was ist aus Ihrem Filmvorhaben über den mit 43 Jahren verstorbenen DDR-Liedermacher Gerhard Gundermann geworden?
Das ist nicht vom Tisch, es gibt eben sehr langfristige Projekte, die sehr kompliziert sind in der Entwicklung. Gundermann ist so ein Projekt. Es hat eine schwierige Drehbuchentwicklung und braucht seine Zeit. Wir wollen ja einen Film machen, der auch im Westen Interesse findet, obwohl Gundermann dort leider weitestgehend unbekannt ist. Gemeinsam mit der Drehbuchautorin Laila Stieler suche ich nach einer filmischen Sprache, die den Film zu einem gesamtdeutschen machen könnte. Da haben wir gerade einen großen Schritt getan. Aber es wird dennoch wohl etwa noch zwei Jahre dauern, bis wir drehen können. So verschiebt sich das manchmal. Film braucht auch Geduld. Davor werde ich noch meinen ersten Kinderfilm machen. Das habe ich mir schon lange gewünscht. Ich verfilme das schöne Kinderbuch „Tim Thaler oder Das verkaufte Lachen“ von James Krüss. Das Drehbuch ist weitestgehend fertig.
Was interessiert Sie jetzt am Kinderfilm?
Kinder sind das Publikum von morgen. In der DDR gab es eine ganz tolle Tradition von Kinderfilmen. Auch heute gibt es hin und wieder sehr gute, aber vieles ist mir zu kommerziell und zu glatt gedacht, einfach zu poppig.
Sie lieben offensichtlich den künstlerischen Spagat. Inzwischen haben Sie sich ja auch schon als Opernregisseur überzeugend ausgewiesen. Gibt es da neue Pläne?
Im Sommer 2015 werde ich an der Bayrischen Staatsoper „Arabella“ von Richard Strauss inszenieren, in einem Haus mit 2200 Plätzen und einer Auslastung von 99,9 Prozent. Das glaubt man einfach nicht. Dieses Theater ist jeden Abend bis unters Dach voll, bei dekadenten Eintrittspreisen von teilweise 240 Euro. Das geht wohl nur in München. Und danach kommt hoffentlich der Gundermann. So weit möchte ich aber noch gar nicht denken. Dann werde ich ja schon 52 ...
Also doch etwas Nachdenklichkeit?
Nein. Wenn man das Thema Alter komplett aus dem Leben verdrängt, ist so eine Jahreszahl vielleicht das Schockerlebnis. Aber ich gehe mit diesen Dingen anders um. Ich habe über so vieles schon bei „Halt auf freier Strecke“ nachgedacht, deswegen ist heute ein Tag wie jeder andere. Ich habe ohnehin am Verfassungsgericht in der Jägerallee Sitzung. Und irgendwie finde ich das auch gut, da macht man wenigstens was Vernünftiges und ist von der Straße weg.
Das Gespräch führte Heidi Jäger
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