Kultur: Zwölf Kultur-Monate
Musik, Theater, bildende Kunst, Film und Bücher bereicherten das zu Ende gehende Jahr
Stand:
GROSSBRITANNIEN, VOCALISE
UND DER HEILIGE SEE
Von den zwölf Monaten des heute zu Ende gehenden Jahres gehörte der Juni zu den schönsten. In Sachen Musik. Nach Großbritannien entführten uns die Musikfestspiele Postdam-Sanssouci. Neben den hoch zu lobenden Konzerten und Opernaufführungen war dieses Musikfestival von einer besonders heiteren und lockeren Atmosphäre geprägt. Die wunderbar musizierenden britischen Künstler haben das Publikum derart verzaubert, so dass sich bei ihm eine gewisse britische Leichtigkeit einstellte. Mit Musikfesten ging es im Herbst weiter. Der Oratorienchor Potsdam und die Potsdamer Kantorei feierten ihre 50jährigen Jubiläen. Sie bewiesen mit eindrucksvollen Konzerten, dass sie zwei prägende Klangkörper der Landeshauptstadt sind. Auch die „Vocalise“, veranstaltet von „Musik an der Erlöserkirche“ hat sich mit ihrem innovativen Programm unter der Leitung von Ud Joffe zu einem Musikfestival ersten Ranges entwickelt. Auch die Potsdamer Bachtage („Musik an St. Nikolai“, Leitung Björn O. Wiede) haben deutlich gemacht, dass die Kirchenmusik Potsdams ein wesentlicher Bestandteil des kulturellen Lebens dieser Stadt ist.
Im November und im Dezember kamen Buchprojekte ans Tageslicht, über die man in Potsdam intensiv spricht und von denen man begeistert ist. Monika Schulz-Fieguth machte mit ihrem Fotoband vom Heiligen See die Schönheiten dieser landschaftlichen Perle zwischen Neuem Garten und Berliner Vorstadt mit sensiblen Bildern deutlich. Und sie bewies erneut, dass sie eine Fotografin ist, die sich mit poetischer Ausdruckskraft ihren Motiven widmet. Der Maler Olaf Thiede sowie der Gartenhistoriker Jörg Wacker haben gleich drei Bücher der Öffentlichkeit vorgestellt: die Chronologie Potsdams, Brandenburgs und Berlins vom Jahre 800 bis 1918. Bewundernswert der Fleiß der beiden Autoren. Sie geben aber auch dem Leser mit diesem eindrucksvollen Kompendium die Möglichkeit, sein kulturgeschichtliches Wissen über die Kulturlandschaft Potsdams und darüber hinaus wesentlich zu bereichern. Erinnert sei auch an die Ausstellung zum 100. Geburtstag der bedeutenden deutschen Keramikerin Hedwig Bollhagen im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte, die bis zum 13. Januar einen Vorgeschmack auf die ab 2008 vorgesehene Bollhagen-Dauerschau im Museumshaus „Im Güldenen Arm“ gibt. Klaus Büstrin
VERBRENNUNGEN
Gute Inszenierungen sind nicht unbedingt Selbstläufer. Will man Leute auf Nummer sicher ins Theater locken, sind bekannte Titel und Stars der beste Garant. Doch schade um die „No-Names“. Gerade ein Stück wie „Verbrennungen“, das als letztes auf die 2007er Premierenbühne des Hans Otto Theaters gelangte, zeigte den drohenden Verlust. Dieses mit kriminalistischer Finesse gestrickte Drama des libanesischen Autors Wajdi Mouawad zieht den Zuschauer in Abgründe hinein und bewegt auch über den Abend hinaus - wenn man sich denn auf ihn einlässt. Petra Luisa Meyer verschrieb sich darin den finsteren Kapiteln einer von Verrohung gezeichneten Welt. Diese Familientragödie führt in den Bürgerkrieg des Libanons zurück und könnte sich doch genauso in anderen von Gewalt durchzogenen Krisenregionen abspielen, dort, wo Menschen vor anderen Menschen fliehen und religiöser Fanatismus wilde Triebe schießt. Und selbst wenn Kriege vorbei sind, zeigen sich oft noch Jahrzehnte später die Folgen: bis in die nächsten Generationen hinein wuchern seelische Pein und Rache wie bösartige Geschwüre.
Das war auch während der Libanon-Filmtage und während des Jewish Filmfestivals im Filmmuseum zu sehen. Die dort gezeigten Filme und anschließenden Gespräche holten Konflikte in greifbare Nähe und formten aufwühlende Geschichten und Gesichter hinter den kaum noch fassbaren Nachrichtenbildern im Fernsehen.
Überhaupt laufen sich inzwischen Thalia und Filmmuseum mit spannenden Filmgesprächen fast den Rang ab. Gut fürs Publikum, das sich gern auf hintergründige Diskussionen mit Regisseuren und Schauspielern einlässt. Das steht einer Filmstadt wie Potsdam bestens zu Gesicht. Wie auch das Open-Air-Kino, das inzwischen nicht nur am Waschhaus - das durch die Bauarbeiten bis ins nächste Jahr hinein arg gebeutelt ist - sondern auch auf dem schönen Eiland Karl Foersters seinen wetterfühligen Sommersitz gefunden hat.
Dass Potsdam nicht nur Nabelschau hält, sondern sich gern bunter Farbtupfer von außerhalb bedient, erfreute auch beim Afrikafestival, bei den Internationalen Tanztagen der fabrik oder während des experimentierfreudigen Theaterfestes Unidram. Allesamt sind sie längst an der Schiffbauergasse beheimatet, wo sie in ihrer vielfältigen Mischung durch das Junge Theater weitere kunstvolle Blüten treiben.
Obwohl in diesem Jahr vielleicht nicht die ganz großen Highlights die Gemüter bewegten, fädelten sich immer wieder leise funkelnde Kulturperlen durch die Monate hindurch: wie der Wende-Bildband „Linienuntreue“ von Bernd Blumrich, die naiv expressiven Bilder des einstigen HOT-Intendanten Ralf-Günter Krolkiewicz, die kess auftrumpfende „Pippi Langstrumpf“ im morbiden Q-Hof des Poetenpacks oder die hellsichtige Nacht auf dem Pfingstberg mit Grillparzers „Ein Leben ein Traum“.
Heidi Jäger
TASTENFESTE
Und jedes Jahr das gleiche Spiel: wird genügend Geld vorhanden sein, um die inzwischen überregional bekannte „Potsdamer Winteroper“ finanzieren und damit stattfinden lassen zu können? Erfolg kennt viele Väter, ums damit verbundene Alimentieren kümmern sie sich weit weniger. Die Kooperation von Kammerakademie und Hans Otto Theater lockte mit der vergnüglich inszenierten Rossini-Farce „La scala di seta“ und der Mozart-Wiederaufnahme der „Cosi fan tutte“ die Musiktheaterfans ins Schlosstheater im Neuen Palais. Dort gab es mit der Comique „The Dragon of Wantley“ von John Frederick Lampe und Purcells Halboper „King Arthur“ barocke Bühnenraritäten im Rahmen der an Besucherzahlen und Finanzen erneut erfolgreichen Musikfestspiele Sanssouci zu erleben, die diesmal der „Musica britannica“ verpflichtet waren. Darüber hinaus sorgten das Ensemble „I Confidenti“ mit Scarlattis „Il giardino d“amore“, die Staatsoper Bytom mit Verdis „Nabucco“ und die Ballettakademie Perm (Delibes: „Coppelia“) für weitere musiktheatralische Offerten.
Die musica sacra, Mitaushängeschild von Potsdams auch 2007 reichhaltigem Musikangebot, fand sowohl in der Friedenskirche mit dem rührigen KMD Matthias Jacob und seinem 50 Jahre jubiläumsfeiernden Oratorienchor und der „Sommerkonzert“-Reihe als auch in der Erlöserkirche mit Auftritten der vom Neuen Kammerorchester begleiteten Potsdamer Kantorei (Ud Joffe) eine behütete Heimstatt. Des letzteren verdienstvolle „Vocalise 2007“ erfreute sich regen Zuspruchs. Beide Gotteshäuser lockten mit dem Internationalen Orgelsommer und seiner Buxtehude-Hommage erfreulich viele Zuhörer an, und auch der „Caputher Orgelsommer“ sorgte vor den Toren der Stadt für manche erbauliche Begegnung. Auf eher gleich bleibende Resonanz stießen die Orgelkonzerte in St. Peter und Paul sowie in St. Nikolai, wo Kantor Björn O. Wiede mit seinen experimentierfreudigen Bachtagen erneut für manchen frischen interpretatorischen Wind sorgte.
Ferner gab es das 15-jährige erfolgreiche Wirken des Landesjugendsinfonieorchester zu feiern, den „Wasser-thematisch orientierten „Potsdamer Hofkonzerten“ ihre Reverenz zu erweisen, den begeisternden Auftritten von Geigerin Antje Weithaas, diesjährigem Kammerakademie-„Artist in residence“, zu lauschen. Verbeugung auch in Richtung Nikolaisaal-Leitung, die diesmal den Klavierfans mit Auftritten von Rudolf Buchbinder (alle Beethoven-Konzerte), Nikolai Lugansky u. a. den (Tasten-)Tisch reichlich und hochkarätig deckte.
Peter Buske
„BADEN“ UND GEBURTSTAG
Mit dem Schlachtruf „Anbaden!“ lud das „Junge Theater“, die neue Sparte des Hans Otto Theaters, im September zur Eröffnung in die Reithalle A. Die hat Bühnenbildner Matthias Schaller für die gesamte Spielzeit in ein Schwimmbad verwandelt. Die blaue Bühne, Hintergrund für alle Inszenierungen, geriet 2007 zum geheimen Star des Jungen Theaters: wandelbar, wunderbar bespielbar, vielseitig interpretierbar. Mit „Kamikaze Pictures“ von Jan Liedtke gab einer der Spielzeithöhepunkte den Auftakt. Das Stück ab 16, eine zeitgenössische Aschenputtel-Variante ohne Happy End, war in der mit einem kraftstrotzdenden Moritz Führmann gesegneten Umsetzung von Petra Luisa Meyer so gesellschafts -wie medienkritisch. Weniger leicht, aber genauso aktuell für junge Erwachsene war Tobias Rotts Inszenierung von „Krankheit der Jugend“, das die Engen und Ängste der Jugend aus den 20igern ins Heute holt.
Auch die Kinderstücke nahmen die Gesellschaft unter die Lupe – kritisierten etwa Rassismus und Gleichmacherei anhand eines armen Königs in Afrika in „Der Barfusskönig“ und blindes Buckeln vor Autorität mit „Der nackte Kaiser“, Gert Knappes moderner Fassung von Andersens Märchen. Auch in Kästners „Püntkchen und Anton“ ging es um soziales Ungleichgewicht – allerdings ging der sonst so innovativen Spielzeit hier etwas die Puste aus. Außer der herrlich frechen Jennipher Antoni als Pünktchen und Eva Brunner als Dienstmädchen kam die Produktion recht bieder daher. Dennoch: Das Junge Theater machte Lust aufs Baden. Und neugierig auf neue Gewässer 2008.
Für das T-Werk war 2007 nicht irgendein Jahr. Es feierte seinen ersten runden Geburtstag. So schenkte sich das kleine Theater zum zehnten Jubiläum einen zusätzlichen Höhepunkt: die „Lange Jubiläums Nacht“. Vor allem alte Bekannte wie Theater Nadi oder die Leipziger Gruppe Wilde und Vogel traten auf und erinnerten daran, um welche vielfältige Theaterformen das T-Werk Potsdam bereichert.
Auch jenseits des Jubiläums gab es 2007 wieder viele schlaflose Nächte: die „Märchennacht“ im Februar etwa, die „Lange Nacht der Theater“ im Mai – oder die „Lange Nach der Experimente“ im UNIDRAM Festival. Besonders letzteres zeigte erneut, wie vielgesichtig das Programm im T-Werk ist. Neben Festivalhighlights wie der Mensch und Marionette verbindenden Inszenierung von „King Lear“ (Vogel und Wilde) und innovativem Materialtheater aus Minsk (The New Stage Company) blieb vor allem „In X“, zeitgenössisches Tanztheater aus Russland, in Erinnerung. ÿd, die Gruppe aus St. Petersburg, war die wohl interessanteste Neuentdeckung.
Mit „Enigma“ brachte Jens-Uwe Sprengel zudem eine sehenswerte Eigenproduktion auf die Bühne. Eric-Emmanuel Schmitts Kammerstück um zwei Männer und deren Versuch, ins Gespräch zu kommen, zeigte, wie gekonnt das T-Werk mit wenig Mitteln spannendes Theater liefern kann. Lena Schneider
BEWEGUNG IN GALERIESZENE
Im Rückblick ergibt sich für die Gegenwartskunst in Potsdam ein lebendiges Bild. Publikumswirksame Events wie die 2. Potsdamer Kunst-Genuss-Tour und die auf Initiative des BVBK ebenfalls zum zweiten Mal durchgeführte Künstlermesse Art Brandenburg sorgten als Leuchttürme im Kunst-Herbst auch für überregionale Attraktivität.
Zur gleichen Zeit wurde durch den nicht mehr aufzuhaltenden Abriss der Panzerhalle in Groß Glienicke die in zehn und mehr Jahren gewachsene Atelierhausgemeinschaft Brandenburger und Berliner Künstler einer Zerreissprobe unterstellt, die mit gemeinsamer Kraft gemeistert wurde. Auch in der Galerienszene gab es Bewegung. Auf die Schließung der in Potsdam etablierten Galerie Ute Samtleben öffnete bald darauf die Galerie Kunst-Kontor von Friederike Sehmsdorf in der Bertinistraße ihre Pforten.
Deutlicher als bisher ist Künstlern, Kunstvereinen und Galeristen in diesem Jahr bewusst geworden, dass es sich lohnt, gemeinsame Sache zu machen. Als Katalysator für die 2007 intensivierte Vernetzung zwischen den Potsdamer Kunst-Akteuren haben mit Sicherheit die ausführlich diskutierten kulturpolitischen Leitlinien gewirkt. In diesem Zusammenhang haben die vielen Zusammenkünfte an den runden Tischen den gemeinsamen Nenner der Kunst-Anbieter in Bezug auf Zielsetzung, Bedarf und Interessen immer mehr ins Blickfeld gerückt.
Und so war es wohl nur eine Frage der Zeit, dass sich im August die Arbeitsgemeinschaft für Gegenwartskunst konstituierte. Sie wird sich künftig nicht nur für eine bessere Förderung der Gegenwartskunst einsetzen, sondern den Aktionsradius der Gegenwartskunst in Potsdam durch gemeinsame Veranstaltungen erweitern.
Jede Initiative – ob von innen oder außen – die dazu angetan ist, die Position der zeitgenössischen Kunst zu stärken, ebnet einer engagierten Arbeit, die auf Kontinuität angelegt ist, den Weg. Das erreichte Niveau in Potsdam gilt es zu halten und weiter zu entwickeln.
Nur so ist die Durchführung anspruchsvoller Ausstellungsprojekte oder ein Event wie die Potsdamer Kunst-Genuss-Tour auf Dauer zu sichern. Almut Andreae
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