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Geflüchtete Kinder spielen Fußball an der Corniche in Beirut.

© Imago/Middle East Images/Nael Chahine

Das Leben wird als „sinnlos“ angesehen: Wie Sport und Bewegung Kindern in Kriegszeiten helfen können

Der Libanesische Fußballverband unterstützt geflüchtete Familien und bietet Trainingseinheiten für Kinder an. Zwei Experten erklären, welche positiven Effekte Sport auf Psyche und Körper haben kann.

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Es ist noch nicht lange her, da gehörte die Corniche zu den beliebtesten Orten Beiruts. Auf der von Palmen gesäumten Mittelmeerpromenade flanierten Bewohner der libanesischen Hauptstadt, Jogger drehten ihre Runden und ältere Männer warfen ihre Angelruten aus.

Heute ist von dem idyllischen Anblick nicht mehr viel übrig. Stattdessen reihen sich provisorisch aussehende Zelte aneinander und über der Brüstung hängen Hosen und Shirts. Denn seit Beginn des Krieges zwischen Israel und der Terrormiliz Hisbollah suchen hier tausende Menschen Zuflucht, die aus dem Süden des Landes vertrieben wurden.

Ein besonders großes Zelt hat Bassem Mohamad mitorganisiert und aufgebaut. Er ist technischer Leiter des Libanesischen Fußballverbandes. Normalerweise würde er sich zu dieser Zeit mit Spielergebnissen, Torschützen und der Organisation der Saison beschäftigen. Doch sportliche Aktivitäten ruhen seit einem Monat.

Der Fußballverband hat sich dazu entschieden, auf unbestimmte Zeit keine Spiele auszurichten. Die meisten ausländischen Spieler reisten daraufhin zurück in ihre Heimat. Auch die Nationalmannschaft wird vorerst an keinen internationalen Turnieren teilnehmen. „Die meisten Fluglinien haben ihre Flüge eingestellt. Daher gibt es kaum Möglichkeiten, auszureisen“, erklärt Mohamad am Telefon.

Er und seine Kollegen nutzen die Zeit stattdessen, um geflüchteten Familien in Beirut zu helfen. „Viele Menschen mussten ihr Zuhause verlassen und bei Bekannten oder in öffentlichen Schulen unterkommen. Doch diese Orte werden immer voller, es sind einfach zu viele Menschen. Viele müssen am Strand oder auf den Straßen schlafen.“

Insbesondere der Sport mit Gleichbetroffenen, wie in diesem Fall der geflüchteten Kinder, kann eine gute Möglichkeit bieten, das Erlebte besser hinter sich zu lassen.

Marion Sulprizio, Psychologin an der Sporthochschule Köln

Sein Freund kam daher auf die Idee, eine Unterkunft zu bauen, die Platz für möglichst viele Familien bietet. Er lieh ein Zelt, das normalerweise für Events genutzt wird, und teilte es in viele kleine Räume. Nun finden in dem Zelt, das in der Nähe der Bucht Zeitouna Bay steht, rund 60 Familien Platz.

Von anderen Mitarbeitenden des Fußballverbandes sowie Trainerinnen und Trainern werden die Familien mit Essen und Kleidung versorgt. „Viele haben sich freiwillig gemeldet, um zu helfen. Außerdem bieten wir psychologische Hilfe für Kinder und Eltern an“, sagt Mohamad.

Ein Zelt an der Promenade in Beirut.

© Imago/Zuma Press/Marwan Naamani

Viele der Geflüchteten hätten durch Bombenangriffe ihre Häuser verloren. Einige berichteten, dass ihre Nachbarn oder Angehörigen ums Leben gekommen seien. „Jede Familie hat eine eigene Geschichte. Besonders betroffen sind die Kinder, die unter den Geräuschen der Explosionen leiden“, sagt Mohamad.

Um die rund 60 Kinder in der Unterkunft auf andere Gedanken zu bringen, organisieren er und seine Kollegen sportliche Aktivitäten, darunter auch Fußballturniere. „Wir versuchen, einen kleinen Fußballplatz in der Nähe zu organisieren, damit wir dort Trainingseinheiten anbieten können. Die Kinder haben viel Energie und wissen nicht, wohin damit. In dem Zelt ist nur wenig Platz.“

Sport lenkt von Belastungen ab

Sport und Bewegung hätten grundsätzlich einen positiven Einfluss auf die körperliche und auch auf die psychische Gesundheit, sagt die Psychologin Marion Sulprizio von der Sporthochschule Köln. „Vor allem in seelischen Krisen, bei besonderen Belastungen wie zum Beispiel auch in Kriegszeiten oder nach traumatischen Erlebnissen, kann Sport eine wichtige Hilfe bieten.“

Zum einen würden das eigene Körperbild, das Selbstvertrauen und die Freude an der Bewegung gestärkt. „Positive Emotionen wie Spaßempfinden und Kompetenzgefühl werden geweckt“, erklärt Sulprizio.

Zum anderen lenke Sport von den Belastungen ab, weil man in dem Moment ganz bei der sportlichen Sache sei, sich auspowere und dabei alle körperliche und psychische Energie in das sportliche Spiel stecke. „Insbesondere der Sport mit Gleichbetroffenen, wie in diesem Fall der geflüchteten Kinder, kann eine gute Möglichkeit bieten, das Erlebte besser hinter sich zu lassen.“

Sport ist ein wichtiger, fester Teil des Tagesablaufs, etwas, auf das man sich verlassen kann.

Jens Kleinert, Leiter des Psychologischen Instituts an der Sporthochschule Köln

Jens Kleinert, Leiter des Psychologischen Instituts an der Sporthochschule Köln, sieht das ähnlich: „Sportprogramme für Flüchtlinge, insbesondere für Jugendliche, haben nachweislich positive psychosoziale Effekte auf die Teilnehmenden.“ Er hebt insbesondere die Aspekte Gemeinschaftsgefühl und soziale Integration hervor.

„Integration ist entscheidend, da gerade bei Flüchtlingskindern und -jugendlichen das Zerreißen der ursprünglichen sozialen Bindungen hochproblematisch ist“, sagt Kleinert. „Das gemeinsame Sporttreiben geht aber auch mit der Stärkung sozialer Kompetenz einher, zum Beispiel der Kommunikation, der gegenseitigen Unterstützung oder des Respekts. Insbesondere solche Werte sind durch den Flüchtlingsstatus gefährdet.“

Sport kann zur Routine beitragen

Überdies würden regelmäßige Sporteinheiten zu einer geordneten Alltagsstruktur beitragen, was gerade in Krisenzeiten hilfreich sei. „Sport ist dann ein wichtiger, fester Teil des Tagesablaufs, etwas, auf das man sich verlassen kann“, erklärt Kleinert. Sport könne zumindest teilweise den Verlust an Kontrollgefühl und Selbstwirksamkeit kompensieren, der bei Flüchtlingen häufig erlebt werde.

„Das Flüchten führt oft dazu, dass das Leben als unkontrollierbar und sinnlos erlebt wird. Sport und die hiermit einhergehende Kontrolle des Körpers oder einer Technik kann hier ein vielleicht kleiner, aber wichtiger Baustein für die Förderung von Kontrollerleben und Selbstwirksamkeit sein“, sagt Kleinert.

Mohamad und seine Kolleginnen und Kollegen vom Fußballverband blicken nun mit Sorge auf die kommenden Wochen und Monate. Aktuell sind es in Beirut rund 27 Grad und es scheint die Sonne. Doch schon bald werden die Temperaturen sinken und es wird häufiger regnen. „Der Winter naht und damit gehen neue Herausforderungen einher“, sagt Mohamad. „Aktuell sind die meisten Menschen draußen, aber im Winter müssen sie sich drinnen aufhalten. Und wenn 300 Menschen auf 900 Quadratmetern zusammenkommen, wird das laut und anstrengend. Wir alle hoffen, dass der Krieg aufhört und wir zurückkehren können in unser normales Leben.“

Wenn das geschieht, dann können Mohamad und der Verband sich vielleicht auch wieder ihren eigentlichen Tätigkeiten widmen: der Organisation des Ligabetriebs, Spielergebnissen und der Weiterentwicklung der Nationalmannschaft.

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