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Das Vermächtnis von Kay Bernstein: Eine Biografie über den früheren Präsidenten von Hertha BSC
Kay Bernstein war nur anderthalb Jahre Präsident von Hertha BSC. Trotzdem hat er den Verein geprägt wie kaum ein Zweiter. Eine Biografie schreibt nun seine Geschichte nach.
Stand:
Im Mai 2023 hat die letzte Mitgliederversammlung stattgefunden, an der Kay Bernstein als Präsident von Hertha BSC teilgenommen hat. Sie fällt in eine Zeit, in der es für den Berliner Fußball-Bundesligisten denkbar schlecht läuft. Zwei Tage zuvor hat die Profi-Mannschaft 2:5 beim 1. FC Köln verloren. Der Abstieg, der siebte der Vereinsgeschichte, ist so gut wie besiegelt.
Bei der Mitgliederversammlung ist davon wenig zu spüren. Heiterkeit und Einigkeit dominierten die Veranstaltung, schreibt Sebastian Stier in seiner jetzt erschienenen Biografie über Kay Bernstein. „Dass der Verein in eine historische Schieflage geraten war, dass die sportliche und finanzielle Bilanz einer Katastrophe glich, all das spielte nicht die Rolle, die im Vorfeld zu erwarten gewesen wäre.“
Bernstein, sein Stellvertreter Fabian Drescher sowie Tim Kauermann aus dem Präsidium erhielten auf der Bühne trotz allem großen Applaus. „Vorgestellt wurden sie als Kay, Fabi und Tim“, schreibt Stier. „Das suggerierte Nähe, der Funke sprang über.“
In Stiers Buch firmiert Kay Bernstein auch vornehmlich als Kay so wie Fabian Drescher als Fabi und Benjamin Weber, der Sportdirektor des Klubs, als Benni. Das wirkt nicht nur ziemlich kumpelig, sondern suggeriert – siehe oben – auch eine gewisse Nähe. Diese Nähe ist sowohl die größte Stärke von Stiers Biografie als auch deren größte Schwäche.
Die Idee zu diesem Buch, das durch den frühen Tod des Hertha-Präsidenten auch so etwas wie sein Vermächtnis geworden ist, kam noch von Bernstein selbst, beziehungsweise aus seinem direkten Umfeld. Dadurch hatte Stier bei seiner Recherche Zugang zu Menschen, zu denen andere keinen Zugang haben oder hatten.
Kay Bernstein war der erste Vertreter der Basis im Rang eines einflussreichen Präsidenten. Kein Politiker, kein Wirtschaftsboss, kein Strippenzieher – ein ehemaliger Kurvengänger.
Autor Sebastian Stier in seiner Biografie über Kay Bernstein
Der freie Journalist hat mit Bernsteins Eltern gesprochen, mit seiner Frau, mit früheren Weggefährten und engen Freunden. Dieser Zugang ermöglichte ihm eine intime Kenntnis der Kinder- und Jugendjahre Bernsteins, in denen die Ursprünge für seine spätere Präsidentschaft lagen. „Er war kein Schläger, seine Waffe war das Wort“, schreibt Stier über Bernsteins Zeit bei den Ultras von Hertha BSC am Ende der 1990er-Jahre.
Bernstein war schon damals jemand, der Menschen einnehmen und hinter sich vereinen konnte – vor allem, wenn es um seine Überzeugungen ging. Und je mehr Hertha sich dem Größenwahnsinn hingab und dabei immer kleiner wurde, desto mehr wuchs in ihm die Überzeugung, dass es auch anders gehen müsse. Dass ein anderer Fußball, wie es Bernstein propagiert hat, möglich ist.
Stier zeichnet diesen Prozess akribisch nach: wie aus der scheinbar spinnerten Idee, für das Amt des Präsidenten bei Hertha BSC zu kandidieren, ein konkreter Plan und ein durchorganisiertes Konzept wurde. Wie er das Establishment herausforderte und bei der Mitgliederversammlung im Juni 2022 über dessen Vertreter Frank Steffel triumphierte. Es ist – wie Stier schreibt – ein historischer Versuch und verwegener Traum.
Bernstein hat sich im Amt verzehrt
Nur knapp anderthalb Jahre, bis zu seinem plötzlichen Tod am 16. Januar dieses Jahres, war Bernstein Präsident von Hertha BSC. Und trotzdem hat er den Verein nicht nur geprägt wie kaum ein Zweiter; er hat auch über Hertha hinausgewirkt. „Kay Bernstein war der erste Vertreter der Basis im Rang eines einflussreichen Präsidenten. Kein Politiker, kein Wirtschaftsboss, kein Strippenzieher – ein ehemaliger Kurvengänger.“
Der frühere Vorsänger der Ultras war auch als Mann an der Spitze seines Vereins nahbar und authentisch. Er hat die Mitglieder mit ihrem Klub versöhnt. Hat Hertha nach Jahren des grassierenden Größenwahns wieder geerdet – vielleicht notgedrungen sogar ein bisschen mehr als ursprünglich geplant. Und er hat sich bei all dem regelrecht verzehrt. Die Haare ergraut, der Ausdruck müde, die Augen matt: „Nach einem Jahr hatte er mehr erlebt als andere in zwanzig Jahren Amtszeit.“
Dass Bernstein über seinen Tod hinaus in den Verein hineinwirkt, das hat die Mitgliederversammlung Mitte November erst wieder gezeigt, bei der die Wahl seines Nachfolgers anstand. Keiner der Kandidaten für das Präsidentenamt hat den von Bernstein initiierten „Berliner Weg“ auch nur ansatzweise infrage gestellt. Im Gegenteil. Und dass Fabian Drescher, der frühere enge Weggefährte Bernsteins, die Wahl mit großem Abstand gewonnen hat, war letztlich nur logisch.
Die Erinnerung an Bernstein hat längst Züge von Heiligenverehrung. Sein Wirken gilt vielen als sakrosankt. Dass Kay Bernstein Fehler gemacht hat, sich stärker eingemischt hat, als es die Vereinssatzung vorgibt, dass er sich vielleicht in manchem auch übernommen hat: All das wird inzwischen allenfalls am Rande erwähnt. In der Biografie von Sebastian Stier ist es nicht anders. Stören wird es wohl die wenigsten.
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