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„Es kann etwas Neues entstehen“: DFB-Frauen zwischen Experimenten und Weiterentwicklung
Bis zur EM ist nicht mehr viel Zeit. Trotzdem beruft Bundestrainer Christian Wück drei junge Talente in den Kader und verzichtet eher auf etablierte Kräfte. Das birgt ein gewisses Wagnis.
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Mit der Nations League ist es so eine Sache. Der Wettbewerb galt bei deutschen Fußballfans von Anfang an als unbeliebt. Bei den Sportlern und Sportlerinnen selbst war er ebenso wenig willkommen.
Zumindest bei den Männern hat sich der Beliebtheitsgrad in den vergangenen zwölf Monaten etwas erhöht, wenn auch mehr aus Not als aus Tugend.
Schließlich musste die Nationalmannschaft mit guten Ergebnissen die unzufriedenen Fans wieder auf ihre Seite ziehen vor der Heim-EM im Sommer. Und es standen eben überwiegend Spiele in der Nations League an.
Ähnlich ist es nun bei den DFB-Frauen. Bis zum Startschuss der Europameisterschaft im Juli, die in der Schweiz ausgetragen wird, sind es noch drei Monate. Und bis dahin finden vor allem Duelle im einst so ungeliebten Wettbewerb statt. Zweimal geht es gegen Schottland, zunächst am Freitag in Dundee (20.35 Uhr, ZDF), vier Tage später gastieren die Schottinnen in Wolfsburg (17.45 Uhr, ARD).
Das Team von Bundestrainer Christian Wück befindet sich nach zahlreichen Rücktritten – unter anderem von Alexandra Popp, Marina Hegering und Lina Magull – weiterhin mitten im Umbruch. Erst am Montag beendete Almuth Schult ihre langjährige Karriere im deutschen Nationalteam.
Wir haben viel Potenzial, dass etwas Neues entstehen kann.
Klara Bühl, deutsche Nationalspielerin
Es ist also Zeit, dass sich ein neues Grundgerüst an Spielerinnen findet. „Es ist wichtig, dass wir diese Spiele nutzen, um im Endeffekt das Team herauszubilden“, meint Wück. „Wir haben viel Potenzial, dass etwas Neues entstehen kann“, sagt Klara Bühl, die mit ihren 24 Jahren bereits unangefochtene Stammspielerin ist. „Wir glauben daran, und jetzt geht es darum, an Details zu arbeiten und den Feinschliff hinzubekommen.“
Nach den jüngsten Auftritten gegen die Niederlande (2:2) und Österreich (4:1) dürfte es allerdings nicht nur um Details in den kommenden Monaten gehen. Dazu waren die Leistungen trotz der guten Ergebnisse zu durchwachsen und vor allem in der Defensive von zu vielen einfachen Fehlern geprägt. Und wenn die vermeintlich etablierten Spielerinnen patzen, gibt Christian Wück eben der jüngeren Generation eine Chance, es besser zu machen.
Beim letzten Lehrgang verzichtete er noch auf die Nominierungen von Cora Zicai und Alara Sehitler, die infolge von Verunglimpfungen in den sozialen Medien aufgrund ihres Nachnamens inzwischen nur noch mit ihrem Vornamen Alara auf dem Trikot aufläuft. Wück wollte ihnen in der U23 mehr Spielzeit zu geben. Diesmal wurden die beiden Shootingstars der Bundesliga aber wieder in den Kader berufen.
Weiterentwicklung statt kurzfristiger Erfolg
Christian Wück geht damit den womöglich risikoreicheren Weg, denn auf allerhöchstem Niveau haben sich beide noch nicht allzu oft beweisen können. Zicai avancierte beim SC Freiburg in der laufenden Spielzeit zwar zur Leistungsträgerin auf dem linken Flügel und wurde erst kürzlich zu Freiburgs Sportlerin des Jahres 2024 gekürt, auf internationalem Niveau fehlen der 20-Jährigen allerdings die Erfahrungen.
Anders ist es bei Alara, die beim FC Bayern von den Verletzungen Georgia Stanways sowie Sarah Zadrazils profitierte und damit auch in der Champions League zu deutlich mehr Spielminuten kam als noch in ihrer Premierensaison im Jahr zuvor. Die Münchner Verantwortlichen verlängerten folgerichtig vor drei Wochen vorzeitig den Vertrag des 18-jährigen Toptalents, das im zentralen Mittelfeld beheimatet ist.

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In der Defensive hat Wück nun auch eine Grundsatzentscheidung getroffen. Statt die erfahrene Caro Simon vom FCB zu nominieren, die im Verein auf der linken Abwehrseite gesetzt ist, entschied sich der Bundestrainer dazu, ihrer 20-jährigen Teamkollegin Franziska Kett eine Chance zu geben – obwohl diese lange verletzt war und eigentlich keine gelernte Linksverteidigerin ist. „Wir haben Franziska Kett und ihre Entwicklung schon länger im Blick. Mit ihren Fähigkeiten trauen wir ihr den Schritt in die Nationalmannschaft zu“, sagte Wück.
Er setzt damit den Fokus mehr auf die langfristige Weiterentwicklung des Nationalteams, was möglicherweise zulasten des kurzfristigen Erfolgs geht. Darin liegt ein gewisses Wagnis, denn viel Zeit bis zur EM ist nicht mehr und die Zeit der Experimente eigentlich vorbei.
Die Vergangenheit hat allerdings auch gezeigt, dass nicht nur die Spielerinnen selbst davon profitieren, sondern das gesamte Team. „Konkurrenzkampf hat viele positive Seiten. Man kann sich einander zu Höchstleistungen pushen“, meint Klara Bühl. Auch ihre Entwicklung dürfte dem Bundestrainer Mut gemacht haben, künftig mehr auf die ganz jungen Talente zu setzen.
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