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Wenn es mit dem Fußball nicht mehr läuft - steigen immer mehr Ex-Profis wie Philipp Lahm in die Start-up-Szene ein.

© dpa

Wenn Fußballer Investoren werden: Früher Zeitungskiosk, heute Start-up

Früher übernahmen Fußballer nach der Karriere einen Kiosk oder eine Kneipe. Heute investieren Ehemalige wie Philipp Lahm oder Marcell Jansen lieber in Start-ups.

Marcell Jansen hat es wirklich gut getroffen. Er residiert in der Alten Oberpostdirektion in der Hamburger Innenstadt, in einem Neorenaissance-Palast aus dem 19. Jahrhundert, mit Türmen und Kuppeln, Marmorsäulen und Kassettendecken. Hier ist Jansens neuste Unternehmung untergebracht – ein Sanitätshaus. Der frühere Fußball-Nationalspieler wird deshalb jetzt häufiger gefragt, warum er denn Stützstrümpfe verkaufe.

Ja, Marcell Jansen, früherer Profi bei Borussia Mönchengladbach, Bayern München und beim Hamburger SV, verkauft jetzt auch Stützstrümpfe. Oder besser: Er lässt verkaufen. Operativ tätig ist er nicht, eher sieht er sich als Visionär und Entwickler. Im Juni hat Jansen mit dem Koch Steffen Henssler am Flughafen Köln-Bonn ein Restaurant eröffnet. Seine MJ Beteiligungs-Gesellschaft hält Anteile an sechs verschiedenen Unternehmen, zwei, drei weitere Dinge seien in der Schwebe, erzählt Jansen, darunter ein digitales Projekt, „das komplett meine Idee ist und das ich unbedingt auf den Markt bringen will“. Überhaupt hat er zu all seinen Unternehmungen einen persönlichen Bezug. Es geht um Sport, Lifestyle, Gesundheit, Digitales. „Ich mache nur Dinge, mit denen ich mich zu hundert Prozent identifizieren kann“, sagt er.

Das sagen vermutlich viele. Aber man muss Jansen nur einmal erlebt haben, wie er über seinen Partner Smartbets und die Transparenz im Wettmarkt spricht, über Lachs-Massala mit schwarzem Reis oder mit dröhnender Stimme die Segnungen richtiger Einlagen preist: „Krass, wie wichtig das ist. Das müssen die Menschen doch auch wissen!“ Am liebsten würde man sich auf der Stelle selbst mal vermessen lassen, um herauszufinden, ob die anhaltenden Rückenschmerzen vielleicht mit einer Fehlstellung der Füße zu tun haben. „Es macht mir Spaß, mein Wissen zu teilen“, sagt Jansen, der Anfang nächsten Monats 32 wird. „Ich könnte auch das ganze Jahr auf Mallorca verbringen und chillen – aber das interessiert mich null.“

Start-up analog. Katsche Schwarzenbeck hatte einen Schreibwarenladen.
Start-up analog. Katsche Schwarzenbeck hatte einen Schreibwarenladen.

© imago sportfotodienst

Früher haben Fußballer nach ihrer Karriere eine Lotto-Toto-Annahmestelle eröffnet, eine Tankstelle übernommen oder eine Kneipe betrieben – heute gründen sie ein Start-up.

Philipp Lahm investiert in ein Berliner Start-up

Berlin, Kreuzberg, ein Gewerbehof in der Oranienstraße. Im Keller hat Konrad Zuse 1941 den ersten Computer zusammengeschraubt, aber das hat Fabian Schmidt erst erfahren, nachdem er mit seinem Unternehmen Fanmiles hier eine 650 Quadratmeter große Büroetage bezogen hatte. Viel wichtiger findet der 30-Jährige sowieso, dass hier andere „coole Firmen“ aus der Digitalbranche beheimatet sind. Okay, im Erdgeschoss gibt es auch noch eine analoge Bäckerei. Aber wer weiß, wie lange noch?

Vier Jahre sind Schmidt und sein Kompagnon Alan Steinberger, 32, von Zwischenlösung zu Zwischenlösung gezogen, ehe sie Anfang des Jahres in Kreuzberg sesshaft geworden sind. Hinter der Stahltür riecht es noch wie frisch eingezogen. 30 Leute arbeiten hier, Platz wäre für 30 weitere. „Wir wollen ein Start-up sein, das profitabel wächst“, sagt Schmidt. Fanmiles ist so etwas wie Miles & More für Fußballfans, die bei bestimmten Firmen Bonuspunkte sammeln können. Wie viele Kunden Fanmiles inzwischen hat? Schmidt beugt sich kurz vor, um aus dem verglasten Besprechungszimmer auf einen der Bildschirme an der Wand zu schauen. „357.508“, antwortet er.

Vor anderthalb Jahren hat Fanmiles zuletzt Geld für eine Kapitalerhöhung eingesammelt, 2,7 Millionen Euro, vor allem für die IT-Entwicklung. Damals ist auch Philipp Lahm mit seiner Holding als Investor eingestiegen. „Super easy“ sei das gewesen, erzählt Schmidt. Er und Steinberger seien zwar Bayern-Fans, „aber wir haben uns nicht zwangsläufig davon beeindrucken lassen“. Business ist Business. Lahm ist schließlich auch nicht bei Fanmiles eingestiegen, weil er mit deren Machern über alte Fußballzeiten plaudern kann. Schmidt zitiert aus einer Studie, wonach der Wert solcher Loyalty-Programme wie Fanmiles auf 54 Milliarden Dollar geschätzt wird. Lahms Investition war eine unternehmerische Entscheidung, die irgendwann Geld abwerfen soll. Dafür profitiert Fanmiles vom Netzwerk des früheren Profis „und von den Werten, für die Philipp steht“, wie Schmidt sagt: „Er ist bodenständig und macht keine verrückten Sachen.“

Dass Fußballer, ehemalige und aktive, vermehrt in Start-ups investieren, kann Schmidt sehr gut verstehen. Zum einen verfügten sie in der Regel über das nötige Kapital; zum anderen hätten sie selbst nach ihrer Karriere noch eine PR-Reichweite, die sie nutzen könnten. Robert Lewandowski, Jens Lehmann, Gerald Asamoah, sie alle haben Geld in Start-ups gesteckt. Für Marcell Jansen aber sind das nicht zwangsläufig auch Gründer. Man dürfe nicht alles in einen Topf werfen, sagt er: „Du musst immer unterscheiden, ob du reiner Investor bist, weil du viel Geld zur Verfügung hast, oder ob du eine Vision verwirklichen willst.“ Ein typischer Gründer ist für ihn Stefan Reinartz, der ein neues Modell zur Analyse von Fußballspielen (Packing) entwickelt hat.

Viele Unternehmungen haben einen Bezug zum Fußball

Philipp Lahm investiert nicht nur in Fanmiles. Er hat auch die Traditionsunternehmen Schneekoppe und Sixtus übernommen. Simon Rolfes gehört mit einem Partner die Firma Goal Control. René Adler ist bei einem Start-up eingestiegen, das Torwarthandschuhe produziert und online vertreibt. Und Thorben Marx hat vor zwei Monaten mit seinem früheren Gladbacher Mitspieler Mike Hanke das Lifestyle-Portal Tivela gelauncht, mit dem sie Klamotten vertreiben, die auch Fußballer tragen. Der Bezug zum Fußball habe sich einfach angeboten, sagt Marx. Trotzdem hat er in den vergangenen Monaten gemerkt: „Wir sind schon Anfänger auf dem Gebiet.“ Die Gespräche, die er jetzt beruflich führe, fänden eben auf einer anderen Ebene statt als früher in der Kabine.

Lahm, Hanke, Jansen, sie alle gehören der Generation Klinsmann an. Jürgen Klinsmann hat als Bundestrainer nicht nur den deutschen Fußball reformiert, er hat auch einen anderen Geist mitgebracht – einen amerikanischen Unternehmergeist. Klinsmann hat seine Spieler immer dazu angehalten, über die Kreidelinien des Fußballplatzes hinauszuschauen.

Marcell Jansen, Nationalspieler unter Klinsmann, war Profi bei den Bayer. Er verdiente bei den Bayern eine Menge Kohle, saß irgendwann zu Hause in seinem Büro, obwohl er gar kein Büro brauchte, und fragte sich: „Ist es das jetzt? Was ist, wenn morgen die Kreuzbänder weg sind?"

Gründergeist. Marcell Jansen ist an sechs Firmen beteiligt. Foto: Imago/Future Image
Gründergeist. Marcell Jansen ist an sechs Firmen beteiligt. Foto: Imago/Future Image

© imago/Future Image

Zum Unternehmer ist er auch durch den Fußball geworden. Durch den modernen Fußball. „Fußball und Business wachsen immer mehr zusammen – weil Fußball mittlerweile auch nur noch ein Business ist“, sagt er. Ein Profi verdient heute nicht nur ungleich mehr als Spieler in den Siebzigern und Achtzigern; er kommt darüber hinaus auch viel leichter mit dem Big Business in Kontakt. Wenn Jansen früher nach Spielen im Vip-Raum war, hat er es erlebt, dass gestandene Unternehmer mit ihm ein Selfie machen und über Fußball reden wollten. Er hat das immer als günstige Gelegenheit gesehen, den Unternehmer nach geschäftlichen Dingen zu fragen.

Irgendwas im Fußball zu machen – das ist immer noch die letzte Möglichkeit, wenn die Karriere als Spieler vorbei ist: Trainer, Manager, TV-Experte. Philipp Lahm hätte Sportdirektor bei Bayern werden können, hat sich aber dafür entschieden, erst einmal seine eigenen Unternehmungen voranzutreiben. Genauso wie Thorben Marx, der das Angebot hatte, bei seinem letzten Verein Borussia Mönchengladbach ein Praktikum zu machen. Marx hat es nie angetreten.

Perfekter Businessplan? Marcell Jansen vertraut auf seinen Bauch

„Die Welt wartet nicht auf den Fußballer, der aufhört“, sagt Marcell Jansen. Bei ihm hat die zweite Karriere schon parallel zur ersten begonnen. Ein paar Monate vor der EM 2008 hat er sich überlegt, zur Europameisterschaft ein selbst designtes T-Shirt auf den Markt zu bringen. Jansen engagierte einen Kunststudenten und kontaktierte mit dem Entwurf ein großes Kaufhaus. Das war sogar recht angetan – das Problem war nur: Jansen kam ungefähr ein Jahr zu spät. Heute muss er selbst lachen, wenn er von seiner „glorreichen Idee“ spricht und seiner Naivität. Aber solche Fehler gehören dazu. Genauso wie bei seiner Poker-Plattform. Nachdem die „Bild“ darüber berichtet hatte, krachte der Server zusammen. Nichts ging mehr.

Scheitern, aufstehen, weitermachen – genau das ist der Geist der Gründerszene. Am Ende hat Jansen einen befreundeten Hotelier gefragt, ob er nicht Interesse an den T-Shirts hätte. Hatte er. 50.000 Euro sprangen für Jansen heraus, abzüglich der 400 Euro, die er dem Kunststudenten gezahlt hatte. „Da hat’s mich gepackt“, erzählt er. „Dieses Gefühl, anders Geld verdient zu haben, das hat mir einen Riesenkick gegeben.“ Die Betonung liegt auf anders, nicht auf Geld.

Die Gründerszene fasziniert ihn, vielleicht auch wegen der Parallelen zum Fußball. Talent allein reicht nicht – und das Team ist entscheidend. Jansen verfügt nicht über die finanziellen Möglichkeiten, in 30 Sachen gleichzeitig zu investieren. Die Idee muss ihn reizen. So wie bei seinem alten Kumpel Roberto, den er seit der fünften Klasse kennt und der sich mit Gymjunky, einem Modelabel für Fitnesssportler, selbstständig machen wollte. „Das ist doch geil. Du bist mit jungen, kreativen Leuten zusammen. Und es macht Spaß, wenn du Leute hast, die arbeiten wollen“, sagt Jansen. Für ihn ist das wichtiger als der perfekte Business-Plan. Er vertraut da auf seinen Bauch und sein Menschengespür. „Ich scheitere lieber, als dass ich so ein müder Laden bin, der in 50 Sachen investiert, in der Hoffnung, dass zwei durch die Decke gehen und du deinen Profit machst.“

Als Marcell Jansen mit 29 als Profi aufgehört hat, hat ihm der frühere Bundestrainer Rudi Völler vorgeworfen, er habe den Fußball nie geliebt. Das ist Quatsch. Jansen liebt den Fußball immer noch. Er kickt noch heute regelmäßig mit Freunden . Aber er liebt nicht mehr allein den Fußball. „Ich habe eine Liebe und Leidenschaft entdeckt für andere Sachen“, sagt er. „Dafür wollte ich die höchstmögliche Energie aufbringen.“

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