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Fabienne Michel gehört zu den besten Schiedsrichterinnen Deutschlands.

© imago/Beautiful Sports/IMAGO/BEAUTIFUL SPORTS/Bosco

„Ich hatte bis dahin noch nie so eine Erfahrung gemacht“: Der schwierige Weg von Schiedsrichterinnen an die Spitze des Fußballs

Frauen sind im Schiedsrichterwesen unterrepräsentiert. Bibiana Steinhaus-Webb und Fabienne Michel erklären, wo Defizite bestehen und was sich ändern muss.

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Es ist ein Armutszeugnis für den deutschen Fußball: Weder bei der Europameisterschaft in der Schweiz in diesem Jahr noch bei der Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland stand eine deutsche Schiedsrichterin auf dem Feld. Zuletzt leitete Riem Hussein ein internationales Spiel – 2022 bei der EM in England. Doch woran liegt das?

Diese Frage diskutierten Bibiana Steinhaus-Webb und Fabienne Michel beim „Hamburg Sports Summit“ am vergangenen Donnerstag. „Meine Vorstellung war: Wenn ich aufhöre, dann drehe ich mich um und dann stehen da ein Dutzend anderer Frauen, die nur darauf warten, diese Rolle zu übernehmen, aber das war leider nicht so“, sagt Steinhaus-Webb, die als erste Schiedsrichterin im deutschen Männer-Profifußball Spiele pfiff und heute Leiterin der Frauenabteilung beim Weltverband Fifa ist.

Sie fordert einen besseren Zugang zu Ressourcen für Schiedsrichterinnen. „Ob das nun Fitnesscoaches sind oder bessere Trainingsbedingungen, Instruktoren oder sportpsychologische Betreuung. Darauf sollte der Zugriff erleichtert werden.“ 

Auch Michel kritisiert: „Es fehlt in Deutschland ein Stück weit Professionalität.“ Sie selbst pfeift aktuell in der dritten Liga der Männer und wurde in der Saison 2023/24 als Schiedsrichterin des Jahres ausgezeichnet. Sie gilt als eines der vielversprechendsten Talente – doch die Rahmenbedingungen erschweren den Weg nach oben. Michel arbeitet in Vollzeit, Schiedsrichterin ist sie nur nebenbei. „Dadurch, dass wir alle keine Profis sind, ist da überall noch Luft nach oben.“

Bibiana Steinhaus-Webb zu ihrer Zeit als Schiedsrichterin, mittlerweile ist sie für die Fifa tätig.

© imago/osnapix/osnapix / Titgemeyer

Steinhaus-Webb betont zudem die Bedeutung der Rolle von Schiedsrichter:innen im Fußball. „Wir müssen sie als feste Säule im Fußball etablieren. In erster Linie denken wir an die Fußballspielerinnen, dann kommen die Coaches und erst dann irgendwann fällt auf: Wir brauchen ja einen Schiedsrichter.“ Besser sei es, Spielerinnen, Coaches und Schiedsrichter „im Dreierdialog“ zu betrachten und verstärkt miteinander in den Austausch zu bringen.

Es mangelt an Vorbildern und Sichtbarkeit

Eine zentrale Herausforderung ist die mangelnde Sichtbarkeit: Gerade junge Frauen und Mädchen benötigen oftmals Vorbilder, an denen sie sich orientieren können und die ihnen Wege aufzeigen. Doch dafür mangelt es an Schiedsrichterinnen sowohl in der Spitze als auch in der Breite. Einem Bericht der „Sportschau“ zufolge waren in diesem Jahr mehr als 60.000 Unparteiische aktiv – so viele wie zuletzt vor knapp zehn Jahren. Der Frauenanteil lag allerdings bei gerade einmal 4,5 Prozent, was nicht einmal 3000 Schiedsrichterinnen entspricht.

Jeder hat eine Meinung. Aber es gibt auch Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und in diese Rolle zu gehen.

Bibiana Steinhaus-Webb über die Tätigkeit als Schiedsrichterin

Eine, die weiß, wie man insbesondere Mädchen und junge Frauen für das Schiedsrichterwesen gewinnt, ist Schiedsrichterin Kirstin Warns-Becker, die sich beim Hamburger Fußball-Verband für genau dieses Thema einsetzt. „Man muss sie von Beginn an die Hand nehmen“, sagt sie. „Dadurch knüpfen sie Kontakte mit anderen Schiedsrichterinnen, die sie unterstützen. Das ist das Wichtigste: Füreinander da sein. Wenn wir sie alleine lassen, brechen sie schnell weg.“

Warns-Becker führte beispielsweise einen Lehrgang durch, der sich ausschließlich an Frauen richtete. Das habe den Vorteil, dass die Mädchen und Frauen in „einem geschützten Raum“ seien. „Dadurch trauen sie sich viel eher, Fragen zu stellen und auch sich selbst mehr zu. Man merkt aber insgesamt, dass man bei Mädchen und Frauen das Selbstbewusstsein viel mehr stärken muss.“

Sexistische Anfeindungen gegen Unparteiische

Das ist auch deshalb entscheidend, weil gerade Unparteiische häufig unter Druck stehen. Ihre Entscheidungen werden öffentlich angezweifelt und kritisiert. Immer wieder berichten Schiedsrichter:innen von Anfeindungen, die weit über den Platz hinausgehen. „Jeder hat eine Meinung“, sagt Steinhaus-Webb. „Aber es gibt auch Menschen, die bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und in diese Rolle zu gehen.“ Dafür würden Schiris mehr Anerkennung verdienen.

Bei Schiedsrichterinnen kommt außerdem Sexismus hinzu, das musste Fabienne Michel in diesem Jahr selbst erfahren. Beim Spiel zwischen den Drittligisten SC Verl und Rot-Weiß Essen im März stimmten Gästefans Gesänge an, in denen sie Michel sexistisch beleidigten und ihr Gewalt androhten.

„Ich hatte bis dahin noch nie so eine Erfahrung gemacht“, sagt Michel rückblickend. Gleichzeitig sei sie dankbar für die Solidarität und Unterstützung, die sie anschließend insbesondere in den sozialen Medien von Fans und Spieler:innen erfahren habe. „Ich habe mich in der Zeit super unterstützt gefühlt von vielen Seiten. Deswegen war es für mich ein Learning: Ich habe gemerkt, dass ich ein gutes Umfeld habe und viel Zuspruch erhalte.“

Michel wünscht sich, dass künftig mehr positive Geschichten von Schiedsrichterinnen Aufmerksamkeit erhalten. „Gerade der Sexismus-Vorfall hat gezeigt: Darüber wird gesprochen, darüber kennt man mich jetzt noch mehr. Aber dass ich in meinem Leben viele tolle Momente als Schiedsrichterin erlebt, viele schöne Stadien gesehen und mit Spielerin witzige Jokes gemacht habe – darüber wird leider nicht gesprochen.“

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