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Ungemütliche Zeiten. Bundestrainer Löw muss mit den erschwerten Corona-Bedingungen zurechtkommen.

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Der Fußball und die vermeintliche Normalität: Joachim Löw übt sich in der Kunst der Improvisation

Der Ball rollt, der Betrieb läuft. Doch im Fußball ist längst nicht alles normal. Das merkt auch Bundestrainer Löw vor dem Länderspiel gegen Tschechien.

Als Ilkay Gündogan vor gut einem Monat krank zu Hause lag, meldete sich sein Großvater aus der Türkei. Es war ein ganz besonderer Anruf für den Mittelfeldspieler des englischen Erstligisten Manchester City. Gündogans Großvater weinte vom Anfang des Telefonats bis zu seinem Ende, aus Sorge um seinen Enkel, von dem gerade bekannt geworden war, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. „Dieses Telefongespräch mit meinem Opa werde ich niemals vergessen – weil es mich so berührt hat“, sagt Gündogan, der sich gerade mit der deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Leipzig aufhält.

Womöglich war es dieser Anruf, verbunden mit den Auswirkungen der Krankheit, der etwas mit ihm gemacht hat. Bis dahin, so erzählt es Gündogan, habe er das Coronavirus „nicht für voll genommen“.

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Vermutlich hat er mit dieser Haltung im professionellen Fußball nicht allein dagestanden. Fußballer sind jung, gesund und austrainiert; wenn sie sich infizieren, ist in der Regel von einem asymptomatischen Verlauf der Krankheit die Rede. Ilkay Gündogan, 30 Jahre alt, hatte nach eigener Aussage relativ starke Symptome. „Die ersten drei, vier Tage waren schlimm“, sagt er. Und auch die Rückkehr auf den Fußballplatz gestaltete sich nicht so geschmeidig, wie er sich das erhofft hatte.

In anormalen Zeiten wie diesen hat der Fußball insgesamt vielleicht noch den größten Anschein von Normalität gewahrt. Der Ball rollt längst wieder, der Betrieb funktioniert, doch das ist womöglich nicht die ganze Wahrheit. „Die Pandemie überstrahlt vieles, sie tangiert natürlich auch den Fußball“, sagt Bundestrainer Joachim Löw. „Für uns ist es nicht ganz so einfach, mit der Situation umzugehen.“

Kai Havertz ist mit dem Coronavirus infiziert und fehlt

An diesem Mittwoch beginnt mit dem Test gegen Tschechien in Leipzig (20.45 Uhr, live bei RTL) der dritte und letzte Länderspielblock dieses Jahres unter Corona-Bedingungen. Das heißt nicht nur, dass Zuschauer im Stadion erneut nicht zugelassen sind; das heißt für den Bundestrainer auch, dass er auf Kai Havertz und Niklas Süle verzichten muss, die positiv auf das Coronavirus getestet worden sind. „Die Vorbereitung ist für alle Trainer nicht ganz einfach, weil sich alles in ein, zwei Tagen drehen kann. Man muss viel improvisieren“, sagt Löw, der am Montag, beim ersten Training in Leipzig, mit sieben Feldspielern und einem Torhüter auf dem Platz stand.

Der Gegner Tschechien war in den vergangenen Monaten – wie das gesamte Land – noch deutlich stärker von der Pandemie betroffen. Die nationale Liga musste zwischenzeitlich komplett ihren Spielbetrieb einstellen. Nationaltrainer Jaroslav Silhavy war im Oktober selbst infiziert, und unmittelbar vor dem Auftritt in Leipzig hat er erneut einen positiv getesteten Spieler aus seinem Kader streichen müssen.

Auch Joachim Löw muss mit den erschwerten Bedingungen zurechtkommen. Wie schon im Oktober hat er einige Spieler berufen, die unter normalen Umständen vielleicht nicht, noch nicht oder noch nicht wieder für die Nationalmannschaft in Frage kämen. Nach Felix Uduokhai (FC Augsburg) und Philipp Max (PSV Eindhoven) hat er kurzfristig auch noch den U-21-Nationalspieler Ridle Baku vom VfL Wolfsburg nachnominiert. „Sie werden höchstwahrscheinlich die Gelegenheit bekommen, ihr erstes Länderspiel zu bestreiten“, kündigte der Bundestrainer an.

Wie wird es bei der EM im kommenden Sommer aussehen?

Allzu überraschend kommt das nicht, weil Löw bemüht ist, die Belastungen möglichst gleichmäßig zu verteilen und einige Spieler daher erst am Donnerstag für die beiden Partien in der Nations League gegen die Ukraine und Spanien in Leipzig erwartet werden. Zudem ist der Einsatz von Robin Gosens und Benjamin Henrichs für die Begegnung mit den Tschechen fraglich; der am Montag operierte Joshua Kimmich fehlt definitiv. „Er fällt auch als Typ weg“, sagt Ilkay Gündogan.

Mit seinen 25 Jahren zählt Kimmich vom Alter her eigentlich noch zum Mittelbau; in der Hierarchie des Teams aber ist der Münchner längst weit oben angelangt. Natürlich trifft sein Ausfall die Mannschaft und den Bundestrainer, gerade in einer Phase, in der das ganze Gebilde noch ein wenig wackelig daherkommt. Generell aber macht sich Löw keine großen Sorgen. „Wenn der ganze Kader da ist, haben wir echt gute Qualitäten“, sagt er.

Der Bundestrainer fürchtet eher, dass ihm dieser Kader eben nicht in Gänze zur Verfügung stehen wird, wenn es im kommenden Frühjahr mit Blick auf die Europameisterschaft ernst wird. Die richtig harten Monate mit Spielen im Dreitagesrhythmus kommen erst noch. „Die Probleme sind jetzt nicht beendet“, sagt Joachim Löw. „Die werden noch viel größer, die Probleme.“

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